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Trügerische Stille in Damaskus

Freitagsgebet in einer Moschee in Damaskus. Die Stimmung ist angespannt - wird es im Anschluss wieder zu Unruhen kommen? Ein Polizeioffizier nutzt die Wartezeit, um Syriens Position zu erklären - als letzter Hort des Widerstands gegen Israel. Ein Untergrundkämpfer hält dagegen - er würde eine ausländische Besatzung bevorzugen.

Von Björn Blaschke |
    Freitags in Syrien. Eine Stadt so groß wie Hamburg, mit offiziell fast zwei Millionen Einwohnern. Es ist Mittag, die Sonne scheint aus einem strahlend blauen Himmel und die Stadt ist: leer. Lediglich ein paar Autos - überwiegend Taxis - kreuzen durch die Straßen. Die Fahrer sind auf der Suche nach Kundschaft; vielleicht sind sie aber auch getarnte Geheimdienstler auf mobilen Aussichtsposten.

    An den großen Verkehrskreuzungen stehen sich Verkehrspolizisten die Beine in den Bauch - und junge Männer in schwarzen Kunstlederjacken. Aber ansonsten ist es - wie gesagt - leer. Beklemmend leer. Eine Geisterstadt? Filmkulisse eines Endzeitfilms? Nein, in Damaskus, der Hauptstadt von Syrien, sieht es seit einiger Zeit jeden Freitag so aus.

    Nur an den Moscheen ergibt sich ein anderes Bild: Sicherheitskräfte sind in Reisebussen herangeschafft worden; die wenigsten tragen Gummiknüppel, die meisten Kalaschnikows oder Vorderschaftrepetiergewehre - sogenannte Pumpguns. An der Kleidung ist nicht zu erkennen, ob die Männer Soldaten sind, Polizisten oder Milizionäre. Manche sind ganz in zivil gekleidet, andere haben Uniformjacken an und Jeans. Oder Uniformhosen und dazu neutrale Pullover. "Wir sind Polizisten, aber in dieser Situation müssen wir improvisieren", sagt einer.

    Auf den Dächern der umstehenden Häuser sind Leute auszumachen, wahrscheinlich Scharfschützen. Das Sicherheitsaufgebot sei ausschließlich bestellt, um die zu schützen, die die in der Moschee beten wollen. Es könnte ja Provokateure geben, die Unruhe stiften wollen, sagt der kommandierende Polizist, der Rang, Namen und Einsatzort in Damaskus ungenannt lassen möchte, weil er nicht zum Ziel von Terroristen werden wolle. "Terroristen", damit meint er Untergrundkämpfer, die gegen das Regime sind.

    Sie, die Polizisten, würden grundsätzlich nie schießen. Allenfalls zur Selbstverteidigung. Aber von sich aus würden die Beamten das Feuer nie eröffnen, das sei verboten.

    Ortswechsel. In einem anderen Stadtteil von Damaskus, an einem anderen Tag: Für das Versprechen, dass seine Stimme unkenntlich gemacht werde, hat sich ein junger Mann zu einem Interview bereit erklärt - über seine Arbeit im Untergrund für eines der so genannten Lokalen Koordinierungskomitees, die Protestaktionen organisieren überall in Syrien, jeden Freitag nach dem Mittagsgebet, aber immer an wechselnden Moscheen.

    Jeder, der zu ihnen gehöre, wisse, an welcher Moschee es nach dem Freitagsgebet Proteste geben soll. Die Polizei allerdings auch. Die warte immer schon auf sie. Und wenn die Demonstranten dann nach dem Gebet aus der Moschee kämen und regimefeindliche Parolen skandierten, fingen die Polizisten an zu schießen. Oder sie jagten die Demonstranten, um sie zu verhaften.

    Wenn es Verletzte oder Tote unter den Demonstranten gibt, versuchten die anderen sie mitzunehmen. Es seien Ärzte auf ihrer Seite, die Notfallstationen in Privathäusern eingerichtet hätten. Bleiben Verletzte zurück, dann würden die von den Sicherheitskräften verhört, Namen erpresst. Und am Schluss würden die Verletzten dazu gezwungen, zu unterschreiben, dass Terroristen auf sie geschossen hätten.

    Der Polizeioffizier zieht seine Gäste in eine improvisierte Wache neben der Moschee, an der er diesen Freitag den Einsatz leitet. Das Gebet nähert sich dem Ende. Und offensichtlich will er nicht ausschließen, dass es "ungemütlich" wird. Das Regime habe eben Feinde. Die Waffen kämen von außen. Die Waffen in Homs, Hama, Idlib - alles komme aus Libanon oder der Türkei. Hundertprozentig. Auch viele der Kämpfer, das seien Islamisten vom Schlage Al Kaidas - aus der ganzen arabischen Welt - und dazu bekannte syrische Gangster.

    Es gehe darum, Syriens Position - als letzter Hort des Widerstandes gegen Israel - zu brechen. Die Amerikaner - und selbstverständlich die Israelis - steckten letztlich hinter der Krise in Syrien. Sie wollten immer die großen Linien vorgeben - mit Demokratie und Kultur und Pressefreiheit -, aber selbst setzten die Amerikaner davon kaum etwas um. Sie seien unehrlich.

    Dazu die anderen arabischen Staaten, gerade die am Golf: Qatar sei doch nur ein Handlanger der Amerikaner. Die Position des Emirates sei so klar wie die Saudi Arabiens: Beide stünden an der Seite der Amerikaner gegen die Außenpolitik Syriens.

    Und deshalb finanzierten diese Staaten diejenigen, die gegen das Regime kämpfen. Und sie unterwanderten die, die Reformen wollen. Obwohl der Präsident doch längst Reformen eingeleitet habe. Erstmalig habe es in Syrien Kommunalwahlen gegeben, zur Stärkung der Gemeinden. Nur leider rede niemand außerhalb Syriens über diese Reformen, weder die Medien noch die Politik.

    Der junge Mann, der mit verfremdeter Stimme vom Untergrund erzählt, hält dagegen. Präsident Assad und sein Regime müssten weg. 42 Jahre lang Assad-Clan, das seien 42 Jahre Korruption, die das Land in die Rückständigkeit geführt, zu einem Entwicklungsland gemacht habe.

    Er und seine Gruppe hätten niemals Geld aus dem Ausland erhalten. Auch keine Waffen. Wenn ihn einer der Deserteure, die sich in der sogenannten "Freien Syrischen Armee" zusammengeschlossen haben und Regierungsstellen attackieren, wenn ihn einer dieser Rebellen anriefe und ihm eine Waffe böte, würde er sie nehmen. Auch auf die Gefahr hin zu sterben. Damit rechne er, zwei seiner Freunde seien bereits umgekommen. Aber wenn am Ende die Freiheit komme, würde er dafür auch sein Leben geben.

    Aber bisher seien kaum Mitglieder der Freien Syrischen Armee in Damaskus; der Sicherheitsapparat des Regimes sei sehr präsent. Er und seine Freunde im Untergrund hätten allerdings mittlerweile gute Drähte zu allen Sicherheitskräften: den Geheimdiensten, der Polizei, dem Militär. Sie lieferten Informationen über Gefangene und Tote, trauten sich jedoch noch nicht, offen überzulaufen. Sie warteten noch auf ein Signal, von außen, von den Vereinten Nationen.

    Sie könnten ihnen Schutzzonen einrichten und ein Flugverbot über Syrien aussprechen. Angst vor einer ausländischen Besatzung habe er nicht. Das Regime sei eine Besatzung, sogar die allerschlimmste. Wenn die Syrer die Wahl hätten, würden sie eine ausländische Besatzung bevorzugen.

    Ein paar Dutzend bewaffneter Männer gehen in Stellung - nur einen Steinwurf entfernt vom Eingang der Moschee. Das Freitagsgebets ist jetzt gleich vorbei. Wenn die, die gebetet haben, die Moschee verlassen, wird sich zeigen, ob sie protestieren werden. Der Polizeioffizier ist angespannt - aber beantwortet trotzdem noch Fragen. Meint er nicht, dass die Umstürze in Tunesien, Ägypten und Libyen eine Signalwirkung für das Regime Syriens haben sollten?

    In Libyen gebe es keinen Umsturz, dort gebe doch jetzt einen Bürgerkrieg. Mord und Zerstörung. Den libyschen Präsidenten (also Gaddafi) hätten Amerikaner getötet, das sei bekannt.

    Wenn die großen Sender BBC, Al-Jazeera, Al-Arabiya oder wie sie auch immer alle heißen mögen, aufhören würden, ihr Propaganda zu betreiben, wäre die Krise in Syrien binnen zweier Tage vorbei. Wenn nicht, werde er auf jeden Fall hinter Präsident Assad stehen und notfalls für ihn sterben. Denn: Ihm, dem Polizeioffizier, gehe es um den Schutz der politischen Kultur. Die basiere auf dem Widerstand gegen Israel, der Einheit des Landes und der Liebe zu Syrien. Das sei die bekannte politische Kultur.

    Das Freitagsgebet ist zu Ende. Für ein paar Sekunden ist die Spannung zum zerreißen. Wird es zu einer Demonstration kommen? Wird geschossen? Oder bleibt alles ruhig? Die Spannung löst sich erst, als die Gläubigen aus der Moschee strömen. Schweigend. Und tunlichst darauf bedacht, sich schnell zu verteilen, keine Grüppchen zu bilden, nicht aufzufallen, nicht zu reden. Es bleibt ruhig, nein, still. Für dieses Mal.