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Trümmer als Kulisse

Vor drei Monate bebte in den Abruzzen die Erde und verwandelte ganze Orte in Schutthalden. Ganz besonders schlimm traf es L'Aquila, die Hauptstadt der Region. Ausgerechnet hier treffen sich nun die Staatschefs der G8. Viele Einwohner, von denen die meisten in provisorischen Zeltstädten leben, fühlen sich als Statisten missbraucht.

Von Kirstin Hausen |
    Wo vorher ein Feld war, ist nun eine Baustelle, so groß wie vier Fußballfelder. Bagger graben Erde weg, ein Kran hebt Betonwände von einem Lkw. Ende August sollen hier an der Peripherie von L'Aquila fast 500 Menschen in Fertighäusern unterkommen.

    "Dann wird die Zeltstadt auf dem Rugbyplatz geräumt", sagt dieser Arbeiter, der im Auftrag des Katastrophenschutzes Strom- und Wasserleitungen verlegt.

    Bis September soll jeder Aquilaner wieder in seinem Haus leben, so hatte Silvio Berlusconi es wenige Tage nach dem verheerenden Erdbeben versprochen. Doch daraus wird nichts. 23.000 Menschen leben immer noch in Zeltstädten des Katastrophenschutzes, zirka 20.000 wurden in Hotels entlang der Küste einquartiert. "Die Leute wollen zurückkehren, sie wollen ihre Stadt wiederaufbauen" sagt Massimo Cialente, der Bürgermeister von L'Aquila. Er lebt seit dem 6. April im Wohnmobil. Zusammen mit seiner Frau, drei Kindern, fünf Katzen und einem Hund. Das schlimmste sind für ihn die unregelmäßigen Nachbeben, weil die Angst dann wieder hoch kommt.
    "Psychologisch ist das schwer zu ertragen", meint der Bürgermeister. Das Zentrum seiner Stadt ist ein Trümmerfeld und: Sperrgebiet. Noch immer ist man damit beschäftigt, die Schäden zu beziffern. Der Wiederaufbau hat noch gar nicht begonnen, auch wenn die wenigen verbliebenen, gleichwohl einsturzgefährdeten Gebäude inzwischen professionell abgestützt wurden.

    "Vier bis fünf Jahre wird es dauern bis die Altstadt wieder bewohnbar ist", schätzt dieser italienische Fernsehjournalist, der am Tag nach dem Erdbeben in L`Aquila eingetroffen ist und die Entwicklungen seitdem verfolgt. Die Stimmung vor dem G8-Gipfel beschreibt er als skeptisch. Die anfängliche Freude über die Verlegung des Treffens nach L`Aquila habe sich abgeschwächt, seitdem Sicherheitsleute und Journalisten aus der ganzen Welt eingetroffen sind.

    "Die Aquilaner halten zusammen. Sie stehen nicht gern im Rampenlicht der Fernsehkameras, weil sie wie alle Abruzzesen eher zurückhaltend sind."
    Nicht wenige Aquilaner fühlen sich durch den G8-Gipfel in eine Statistenrolle gezwängt. Die Trümmer als Kulisse - für den Soziologen Roberto Biorcio ist Berlusconis Entscheidung, das Treffen der G8 nach L`Aquila zu verlegen, Propaganda ohne praktischen Nutzen.
    "Er macht aus jedem Notfall einen Werbespot", sagt der Soziologe und führt aus:

    "Die Technik besteht darin, persönlich am Ort des Geschehens aufzutauchen, die Minister dort zu versammeln und als derjenige zu erscheinen, der das Problem löst, auch wenn das gar nicht der Fall ist. Das vordringlichste ist nicht die reale Lösung des Problems, sondern den Eindruck zu vermitteln, dass die politischen Institutionen und er persönlich sich um das Problem kümmern."

    In L`Aquila lässt dieser Eindruck von Tag zu Tag nach. Auf achteinhalb Milliarden Euro schätzen Experten die Schäden, die das Erdbeben in den Abruzzen angerichtet hat. Die Regierung hat bisher vier Milliarden für den Wiederaufbau veranschlagt.