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Trümmer auf Irrflug

Raumfahrt. - Mehrere Nationen entwickeln Raketenabwehrsysteme. Doch mit den Tests dazu produzieren sie auch jede Menge Müll, der mit irrwitziger Geschwindigkeit um die Erde kreist. Der rasende Schrott ist damit eine echte Gefahr für die Raumfahrt.

Von Jan Lublinski |
    Am 11. Januar 2007 startete eine zweistufige ballistische Mittelstreckenrakete aus China in den Himmel. Statt eines Gefechtskopfes hatte sie einen Abfang-Flugkörper an Bord. Dieser zerstörte einen alten Wettersatelliten in 850 Kilometern Höhe. Geoffrey Forden, Verteidigungsexperte vom MIT in Boston, war schwer beeindruckt.

    "Ich fand das beeindruckender als ihr bemanntes Raumfahrtprogramm. Aus der Analyse der Flugbahnen der Trümmerstücke wissen wir jetzt, dass der Abfang-Flugkörper den Satelliten frontal getroffen hat. Mit acht Kilometern in der Sekunde. Das ist sehr anspruchsvoll. Die chinesische Technologie ist damit hier in etwa so weit wie die Abfangflugkörper der US-amerikanischen Raketenabwehr."

    Prompt demonstrierte das amerikanische Militär im vergangenen Februar ebenfalls einen Abschuss: Der Spionage-Satellit USA 193 sei außer Kontrolle geraten, hieß es – eine dreistufige Abfangrakete holte ihn vom Himmel. Schon seit langem warnen US-Militärs vor einem "Pearl Harbour des Raumfahrtzeitalters", also der Möglichkeit, dass ein feindlich gesinnter Staat die wichtigsten amerikanischen Satelliten lahmlegt. Geoffrey Forden hält diese Gefahr jedoch für gering. Die Amerikaner hätten so viele Satelliten, dass genügend Redundanz vorhanden sei, sagt er. Auch sei es möglich, über Bahnmanöver einem Beschuss auszuweichen. Ganz anders stellt sich die Sache für kleinere Mächte wie Indien dar. Für sie sind die chinesischen Anti-Satelliten Raketen eine echte Bedrohung. Die Folge: ein neues Wettrüsten. Die größte Gefahr aber sieht Forden in den Trümmern, die bei dieser Art von Tests entstehen: Die Zahl der Bruchstücke im All ist im Jahr 2007 sprunghaft angestiegen: Im viel genutzten erdnahen Orbit hat sie sich in etwa verdoppelt. Hauptursache für den Anstieg: Der chinesische Satelliten-Abschuss. Nun sind es 370.000 Trümmer, die noch eine ganze Weile um die Erde kreisen werden.

    "Das ist die eigentliche Gefahr des Weltraumkrieges: Auch wenn den USA ein Satelliten-Angriff kurzfristig nichts ausmacht: Die ganze Welt kann bei einem Angriff im Weltraum Schaden nehmen. Der Test der Chinesen im Jahr 2007 hat die Wahrscheinlichkeit, dass ein Satellit im Laufe eines Jahres von Schrott im Orbit getroffen wird, von zwölf auf 18 Prozent erhöht. Also ein Anstieg der Wahrscheinlichkeit um 50 Prozent. Der Satelliten-Abschluss der Amerikaner produzierte derweil deutlich weniger Trümmerteile, denn die Verantwortlichen hatten sich an eine internationale Richtlinie zur Reduzierung von Weltraumschrott gehalten."

    Diese sieht vor, dass alte Satelliten rechtzeitig auf wenig bevölkerte Umlaufbahnen manövriert werden, bevor ihnen der Treibstoff ausgeht. Und die Raketen sollten so konstruiert werden, dass beim Flug möglichst wenig Müll anfällt. Die chinesischen Militärs aber hielten sich nicht an diese Regeln. Käme es zu mehreren Tests dieser Art, wären die Konsequenzen dramatisch: Andere Satelliten wären vor den Trümmern nicht mehr sicher. Denn die Bruchstücke bleiben für Jahrzehnte im Orbit, und wenn es viele sind, krachen sie ineinander und erzeugen so immer neue Bruchstücke. David Wright, Raumfahrtexperte der Union of Concerned Scientists in Cambridge, USA.

    "Es wird schon seit längerem darüber diskutiert, ob eine Kettenreaktion zwischen den Trümmerteilen ihre Zahl weit nach oben treiben könnte. Und in der Tat hat die Raumfahrtbehörde NASA vor zwei Jahren eine Studie veröffentlicht, nach der bereits jetzt der Bereich zwischen 900 und 1000 Kilometer Höhe "überkritisch" ist. Das heißt, selbst wenn keine neuen Raketen starten, würde sich die Zahl der Bruchteile dort langfristig verdreifachen."

    Das heißt: eine größere Zahl von Satelliten-Abschuss-Tests verschiedener Staaten könnte dazu führen, dass die Orbits verstopfen. Alltägliche Dinge wie Telekommunikation oder die Wettervorhersage würden nicht mehr so funktionieren, wie wir es gewohnt sind. Die Welt braucht also keine weiteren Satelliten-Abschüsse, sondern vielmehr geeignete Abkommen zur Rüstungskontrolle.