Kommentar zur US-Wahl
Die deutsche Politik muss sich auf Trump einstellen

Ein Wahlsieg Donald Trumps ist so wahrscheinlich wie nie. Doch weder Berlin noch Europa sind auf eine zweite Amtszeit des Republikaners vorbereitet. Die deutsche Politik hat kaum Kontakte zu dessen Lager. Das muss sich ändern.

Ein Kommentar von Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur STERN |
Eine Frau hält einen Pappaufsteller im Arm, auf dem Donald Trump abgebildet ist.
Hat gute Aussichten auf eine zweite Amtszeit: Donald Trump. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Joe Cavaretta)
Donald Trump ist vor einer Woche das Leben geschenkt worden. Das muss jeden Menschen freuen, auch wenn wahrlich nicht jeder Mensch Trump schätzt. Es ist aber keineswegs zynisch, auch darauf hinzuweisen, dass Trump mit dem Attentatsversuch TV-Bilder geschenkt wurden, die selbst er sich in seinen kühnsten Träumen so nicht hätte ausmalen können.
Ein Ex-Präsident (und Präsidentschaftskandidat), der angeschossen, blutverschmiert, seinen Sicherheitsleuten „Wait, Wait“ zuruft, um die Faust hochzurecken in den Himmel, zu seinen Anhängern, die in „USA, USA“-Rufe ausbrechen. So etwas gibt es sonst nur in Hollywood-Filmen über heroische Präsidenten. Es ist davon auszugehen, dass Trump jeden davon gesehen hat. 

Trump präsentiert sich als eine Art Erlöser

Die Republikaner haben ihren gesamten Nominierungsparteitag in Wisconsin um diese Bilder inszeniert. Trump hat sich dort zwar nicht als Versöhner präsentiert, wie er versprochen hat, der wütende Trump brach bald wieder durch. Er hat sich aber in jedem Fall als eine Art Erlöser vorgestellt – und zugleich mit dem 39 Jahre jungen Vizepräsidentschaftskandidaten J. D. Vance einen Erben für seine Bewegung präsentiert.
Der Senator aus Ohio ist in manchen Punkten, vor allem dem Kampf gegen Freihandel und der Betonung von „America First“, radikaler als Trump selbst – und der gibt sich mit Vances Nominierung gar keine Mühe mehr, breitete Wählerschichten anzusprechen. Trump geht es allein um die Demonstration von „America First“, so siegessicher ist er für die Wahl im November.

Europa und Berlin haben lange auf Biden gesetzt

Warum sollte er das auch nicht sein? Die Wahrscheinlichkeit eines Trump-Sieges ist hoch, und weder Berlin noch Europa sind darauf vorbereitet. Sie haben lange auf Joe Biden gesetzt, der aber wegen einer Corona-Erkrankung seinen Wahlkampf schon wieder unterbrechen musste – und vielleicht schon bald gar nicht mehr Kandidat sein wird.
In so gut wie allen Umfragen liegt Trump aktuell vorne. Vermutlich wird ihm in den nächsten Monaten zudem helfen, dass das Attentat jene Rolle akzentuiert, die Trump sein gesamtes politisches Leben ohnehin gespielt hat: die des Opfers oder Märtyrers. Als jemand, der sich mutig in die Gefahr stürze, um jene zu verteidigen, die eigentlich von den „Eliten“ attackiert würden: die einfachen Leute. 
Amerikanische Präsidenten, die Attentatsversuche überlebten, wurden danach sofort populärer. Ronald Reagan etwa, wenige Monate erst im Amt, prägte 1981 sein Bild vom heiteren Staatsmann, als er vor der Operation nach dem Attentat mit den Ärzten im Krankenhaus scherzte: „Ich hoffe, Sie sind alle Republikaner.“ Es gibt keine Erfahrungswerte, wie dies bei einem Ex-Präsidenten aussieht, der zurück ins Weiße Haus will, noch dazu bei so einem kontroversen wie Trump.

US-Wahlkämpfe werden über Bilder entschieden

Erfahrungswert ist aber, dass US-Wahlkämpfe nicht durch Politikdetails oder Wahlprogramme entschieden werden. Sie werden über die Images der Kandidaten entschieden, über Bilder. Das Image von Joe Biden ist seit kurzem das eines alten Mannes, der Mühe hat, bei einer Debatte wach zu bleiben. Das Image von Donald Trump wird künftig, trotz aller unfassbaren Schwächen, die hochgereckte Faust sein, das blutverschmierte Gesicht, der entschlossene Blick.
Gerade das Team um Kanzler Olaf Scholz hat lange eisern an Biden festgehalten und beteuert, dieser sei fitter als alle wüssten. Zu Trumps Lager unterhält die deutsche Politik so gut wie keine Kontakte, was aber nötig wäre, denn schon in Trumps erster Amtszeit hat dieser Deutschland besonders offen kritisiert. Es ist wahrscheinlich, dass die US-Demokraten nun noch zur Besinnung kommen und jemand anderen aufstellen, die Kritik an Biden wird in seiner eigenen Partei mit jeder Minute lauter. Aber selbst wenn dies rasch passiert: Trump wird nun auch für jeden Biden-Ersatz nur noch schwer zu schlagen sein.