Christine Heuer: Als Donald Trump seine Kandidatur fürs Weiße Haus erklärte, da hielten das die meisten Beobachter für einen Witz. Aber dann wurde der Immobilienunternehmer tatsächlich gewählt und seitdem hält er die Welt jeden Tag mit seinen Tweets und seinen politischen Ankündigungen auf Trab. Morgen ist Donald Trump auf den Tag genau ein Jahr im Amt. Bei seiner Amtseinführung versprach er seinen Landsleuten in einer etwas düsteren Antrittsrede, dass es ab jetzt nur noch um sie gehen sollte.
Ein Jahr Donald Trump – wir wollen jetzt Bilanz ziehen mit dem früheren CDU-Politiker und Vorsitzenden der Atlantik-Brücke. Guten Morgen, Friedrich Merz.
Friedrich Merz: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Nach der ärztlichen Untersuchung des US-Präsidenten weiß die Öffentlichkeit nun unter anderem, Donald Trump ist in der Lage, ein Nashorn von einem Kamel zu unterscheiden. Beruhigt Sie das, was seine geistigen Fähigkeiten angeht?
Merz: Na ja. Das gehört zu den Ritualen in Amerika dazu, dass nicht nur Steuererklärungen, sondern auch Arztberichte veröffentlicht werden. Es ist eher ein kleines Aperçu am Rande.
Unkalkulierbarkeit als Merkmal der Außenpolitik
Heuer: Aber in der Außenpolitik, finden die Europäer vor allem, ist Donald Trump ziemlich unberechenbar, auch ganz anders als alle seine Vorgänger. Ist er gefährlich für den Weltfrieden?
Merz: Zumindest ist der Friede auf dieser Welt mit dieser amerikanischen Regierung nicht sicherer geworden und wir wissen bis heute nicht, welche Außen- und Sicherheitspolitik die amerikanische Regierung insgesamt eigentlich will. Das können Sie bis hin in Personalentscheidungen sehen. Es sind immer noch über 100 Führungsstellen im State Departement nicht besetzt, und dazu zählen auch wichtige Botschafterposten. Nehmen Sie Südkorea und nehmen Sie Deutschland - sicherlich zwei nicht gerade unbedeutende Länder, auch aus der Sicht der Vereinigten Staaten von Amerika, sind bis jetzt ohne amerikanische Botschafter. Die Ungewissheit über die amerikanische Politik ist ein Teil des Problems.
Heuer: Aber gerade über das Beispiel Nordkorea, darüber sprechen viele, dieser Streit zwischen Kim Jong-un und Donald Trump, wer am größeren Atomknopf sitzt. Das beunruhigt ja sehr viele. Andererseits scheint das aber zu funktionieren mit der Abschreckung.
Merz: Es scheint zu funktionieren und die Beunruhigung geht eher von Amerika aus als von Nordkorea, jedenfalls wenn man die Beobachter hört, die etwa in Südkorea die Lage beurteilen, oder in Japan. Dies gehört ganz offensichtlich auch zu seinem Politikstil, die Welt und diejenigen, die es angeht, im Ungewissen darüber zu lassen, was er eigentlich wirklich tut, und es ist ja häufig das genaue Gegenteil von dem, was er ständig sagt. Unkalkulierbarkeit zum Politikmerkmal der Außenpolitik zu erheben, ist jedenfalls in dieser Form neu in der neueren Geschichte.
"Spaltung der amerikanischen Gesellschaft nicht überwunden"
Heuer: Es scheint aber zu funktionieren. Nordkorea redet wieder mit Südkorea. Es gibt Fortschritt.
Merz: Über die Kausalitäten müsste man sich dann vielleicht noch einmal getrennt unterhalten. Aber wir Europäer haben ja nun auch unsere eigenen Themen mit dieser amerikanischen Regierung, und wenn Sie mal Bilanz ziehen nach einem Jahr, dann muss man wohl sagen, der politische Stil oder die politischen Umgangsformen sind auf einem vorläufigen Tiefpunkt angekommen. Aber dem amerikanischen Volk, der amerikanischen Wirtschaft und damit den amerikanischen Arbeitnehmerhaushalten geht es so gut wie seit zehn Jahren nicht. Es ist ein durchaus sehr gemischtes Bild, was wir da aus Amerika sehen.
Heuer: Ja, in der Tat. Auf die Innenpolitik, in diesem Fall vor allen Dingen die Wirtschafts- und die Steuerpolitik, wollte ich auch zu sprechen kommen mit Ihnen, Herr Merz. In der Tat: Die Börse boomt. Apple, haben wir gestern gehört, holt nach Trumps Steuerreform Milliarden-Gewinne nach Amerika zurück und investiert viel von diesem Geld wieder in die Infrastruktur, in Arbeitsplätze. Also man kann doch sagen, 'America first' funktioniert.
Merz: Zumindest hat er vorläufig einigen Erfolg auch mit seiner Steuerpolitik. Das hat allerdings auch Schattenseiten. Zum selben Zeitpunkt, wo diese Steuerreform erste Wirkungen zeigt, redet Washington wieder über einen Government Shutdown, also über eine Krise im Staatshaushalt.
Heuer: Aber darüber reden die Amerikaner immer mal wieder.
Merz: Darüber reden sie in der Tat immer wieder. Aber es zeigt, dass die amerikanische Staatsverschuldung ständig größer wird. Das ist ohnehin die Achillesferse dieser Finanz- und Steuerpolitik. Und es kommt ja nun auch hinzu: Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ist ja nicht überwunden, sondern sie wird eigentlich, jedenfalls was die Politik aus Washington ausmacht, eher größer. Das, finde ich, sind schon besorgniserregende Zwischenbilanzen, die man da wohl ziehen muss nach einem Jahr Trump.
"Steuerwettbewerb um Standorte nimmt drastisch zu"
Heuer: Aber den Bürgern geht es besser.
Merz: Den Bürgern ging es auch schon vor Trump ganz gut. Die amerikanische Volkswirtschaft hat ständige Wachstumsraten in den letzten Jahren gehabt. Obama hat vor einem Jahr übergeben mit einer historisch niedrigen Arbeitslosigkeit. Das ist nun kein Verdienst von Trump allein, aber er hat es in der Wirtschaftspolitik auch nicht schlechter gemacht, sondern es hat sich tatsächlich einiges auch zum weiter Guten hin entwickelt.
Heuer: Wenn man das mal alles mit Deutschland vergleicht, Friedrich Merz, muss man dann nicht sagen, dieser Präsident, dieser US-Präsident Donald Trump tut etwas, was die Deutschen irgendwie nicht machen? Er macht nämlich Politik fürs eigene Land in allererster Linie.
Merz: Ja, zumindest ist er präsent. Ob er nun wirklich konsistent etwas tut, das sei nun mal dahingestellt. Aber er ist präsent mit seinen Tweets, er ist präsent mit seinen Auftritten, er ist präsent mit seinen Reden. Und in der Steuerpolitik tut er etwas, was nach meiner Einschätzung zumindest einmal politische Reaktionen aus Europa, auch aus den Mitgliedsstaaten erfordern würde.
Heuer: Welche?
Merz: Wenn die amerikanische Regierung eine solche radikale Steuerreform macht, dann, finde ich, können wir Europäer, dann können wir auch in Deutschland darüber nicht einfach hinweggehen und sagen, bei uns ist das alles gut, wir brauchen keine Diskussion über die Steuerpolitik. Der Steuerwettbewerb um die Standorte, der nimmt durch diese amerikanische Steuerpolitik drastisch zu, und darauf müssten wir zumindest mal durch einige Gedanken reagieren, vielleicht sogar durch politische Entscheidungen.
Heuer: Nämlich?
Merz: Das wird Sie nicht überraschen, wenn ich das jetzt sage. Ich bin der Auffassung, dass eigentlich eine größere Steuerreform, gar nicht mal nur eine Steuersatz-Senkung, sondern eine Steuer-Strukturreform jetzt nach diesen amerikanischen Steuerentscheidungen dringlicher denn je wäre. Und da die Europäische Union für die direkten Steuern, für Einkommenssteuer und Unternehmenssteuer, keine Kompetenz hat, müssen das die Mitgliedsstaaten machen, und der größte Mitgliedsstaat der Europäischen Union müsste das eigentlich auch tun.
"Große Koalition - die einzige, die noch geht"
Heuer: Überrascht mich nicht, dass Sie das sagen, Herr Merz, aber ich wollte es doch gerne noch mal von Ihnen hören und vor allen Dingen den Hörern die Möglichkeit geben, das noch mal anzuhören. Daran schließt sich natürlich die Frage an nach dem, was sich jetzt in Berlin tut in der Regierungsbildung, der möglichen Neuauflage einer Großen Koalition, die Steuersenkungen im Grunde auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben haben. Sie können das nicht gut finden. Wünschen Sie sich eine Neuauflage dieser Koalition? Finden Sie das gut?
Merz: Ich bin da, offen gestanden, ziemlich hin- und hergerissen. Wir haben früher, ich habe früher selber auch immer gesagt, Große Koalitionen müssen die Ausnahme bleiben. Nun ist dies bei Licht betrachtet keine Große Koalition mehr, sondern die einzige, die überhaupt noch geht mit zwei Fraktionen aus dem Deutschen Bundestag mit gerade einmal 53 Prozent Stimmanteilen. Es spricht viel dafür, sie zu machen, aber es spricht mindestens genauso viel dagegen, sie zum jetzigen Zeitpunkt zu machen. Das größte Unbehagen habe ich, ganz offen gestanden, bei der Konsequenz, dass dann die AfD die größte Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag wird. Ich weiß, was man als Oppositionsführer machen kann, und das bringt mir doch ziemliches Unbehagen. Also es ist eine schwierige Entscheidung, wie sie auch ausfällt. Sie ist halb richtig und halb falsch.
Heuer: Und Ihr Bauchgefühl? Was sagt das? Wie wünschen Sie sich, dass das am Sonntag bei der SPD beim Parteitag ausgeht? Daumen hoch oder runter?
Merz: Ich habe so richtig kein Bauchgefühl. Wenn ich die Fernsehsendung gestern abend sehe - ich habe sie mir kurz angesehen -, die Talkshow bei Frau Illner, dann muss ich sagen, da spricht doch einiges dafür, diese Koalition nicht wieder zu machen. Im Übrigen wird es für beide Parteien danach nicht viel besser. Es ist das Programm für U20 für die SPD und für U30 für die Union, und ob das für die beiden Volksparteien, wenn es denn überhaupt noch Volksparteien sind, wirklich richtig sein kann, ich habe große Zweifel.
Heuer: Der CDU-Politiker und Atlantik-Brücke-Vorsitzende …
Merz: Sagen Sie der ehemalige.
Heuer: Na ja, jetzt waren wir gerade noch ein bisschen politisch, Herr Merz, zum Schluss.
Merz: Ich bin ein politisch denkender Mensch, Frau Heuer, aber kein aktiver Politiker, und deswegen halte ich mich auch mit Kommentaren und Bewertungen zu dieser aktuellen Lage, soweit es mir möglich ist, zurück.
Heuer: Gott sei Dank, so ganz zurückgehalten haben Sie sich nicht. - Der ehemalige CDU-Politiker und Atlantik-Brücke-Vorsitzende Friedrich Merz im Interview mit dem Deutschlandfunk. Es ging um Donald Trump, die USA und natürlich auch ein bisschen um die Regierungsbildung hier in Deutschland. Herr Merz, haben Sie vielen Dank.
Merz: Vielen Dank, Frau Heuer.
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