Parteien wie die AfD in Deutschland oder der Front National in Frankreich vertreten zum Teil rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Positionen. Aber sie werden auch von Juden gewählt. Das gilt auch für Donald Trump. Zwar haben ihn nur 25 Prozent der jüdischen US-Amerikaner gewählt - dennoch setzt in jüdischen Gemeinden eine selbstkritische Debatte ein.
Dies- und jenseits des Atlantiks fragen sich Juden, wie sie reagieren sollen auf die Wut in den eigenen Reihen. Wie in allen Teilen der Gesellschaft - egal ob konfessionsfrei, christlich oder muslimisch - gibt es auch unter Juden Unzufriedenheit mit dem politischen System - auch Verdrossenheit, Ablehnung bis hin zu Hass. "Juden sind auch nur Menschen", sagt Günther Bernd Ginzel. Er ist Publizist und seit Jahrzehnten im Dialog der Religionen engagiert. Und er kennt jüdische Gemeinden von innen - egal ob orthodox oder liberal.
Das Gespräch in voller Länge:
Monika Dittrich: In den USA hat der Polarisierer Donald Trump die Wahl gewonnen, die Österreicher könnten an diesem Sonntag den Rechtspopulisten Norbert Hofer zum Bundespräsidenten machen, in Frankreich will Marine Le Pen im kommenden Jahr Präsidentin werden und in Deutschland hat sich die AfD in der politischen Landschaft etabliert. Die Beispiele ließen sich fortsetzen und sie alle zeigen, dass Politiker und Parteien mit extremen oder populistischen Haltungen derzeit Mehrheiten gewinnen können.
Das Verblüffende daran ist, dass sie durchaus auch im jüdischen Milieu Anhänger finden. Einige dieser Parteien in Europa umgarnen sogar geradezu jüdische Wähler, wohl auch, um dem Vorwurf des Antisemitismus etwas entgegenzusetzen. Ein Donald Trump, der zwar nur von 24 Prozent der US-amerikanischen Juden gewählt wurde, genießt in bestimmten Kreisen Israels hohes Ansehen. Und über einen jüdischen AfD-Politiker in Baden-Württemberg haben wir auch bereits berichtet. Nur: Wie passt das alles zusammen? Und wie wird darüber in jüdischen Gemeinden diskutiert?
Darum geht es jetzt im Gespräch mit Günther Bernd Ginzel: Er ist Jude, Journalist und Filmemacher, seit Langem engagiert er sich für den christlich-jüdischen Dialog und heute Morgen ist er zu uns ins Studio gekommen. Guten Morgen, Herr Ginzel!
Günther Bernd Ginzel: Guten Morgen.
Gefühl der Bedrohung durch anti-jüdische Islamisten
Dittrich: Herr Ginzel, in vielen Ländern sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch. Sind die islamfeindlichen Haltungen dieser Parteien verlockend für jüdische Wähler?
Ginzel: Also ich denke mal, für eine Minderheit mit Sicherheit. Es schmerzt mich, wenn ich in dem Kontext feststellen muss, dass natürlich Juden häufig nicht anders ticken als der Rest der Gesellschaft. Mit anderen Worten: Wir haben auch dort einen rechten Bodensatz, dem das vielleicht gar nicht so sehr bewusst ist. Aber die Angst vor dem Islam, so ganz pauschal, die ist sicherlich auch in jüdischen Gemeinden vorhanden.
Dittrich: Wie viel hat das mit den Flüchtlingen zu tun, mit muslimischen Flüchtlingen, die aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus gesellschaftsfähig ist?
Ginzel: Ehrlich gesagt: gar nichts. Es gibt keinen Fall in Deutschland oder darüber hinaus, wo aus diesem Bevölkerungsteil der Flüchtlinge Antijüdisches passiert ist. Es ist ein grundsätzliches Gefühl, es ist natürlich die Erfahrung und die Erkenntnis von Jahrzehnten des Terrors und der Tatsache, dass die Islamisten grundsätzlich antijüdisch sind. Sie sind nicht einfach antiisraelisch, sie sind antijüdisch. Es gibt viele Anschläge in der Welt, auch auf Juden. Das heißt, es existiert ein grundsätzliches Bedrohungspotential. Man kann das aber nicht festmachen an den Flüchtlingen, die jetzt kommen. Und das ist genau der Zwiespalt: Es ist ein Gefühl der Bedrohung und die AfD versucht, dem hier einen politischen Ausdruck zu verleihen.
Jüdisches Engagement für Flüchtlinge
Dittrich: Haben es die anderen Parteien dann vielleicht versäumt, diese Angst zu adressieren, anzusprechen, ihr zu begegnen?
Ginzel: Ach, das ist einfach viel zu einfach, generell dann immer zu sagen: Ja, die Parteien, die haben immer alles versäumt. Ich meine, hier musste ja auch reagiert werden und jetzt wollen wir doch mal sehen. Die Mehrzahl der Juden setzt sich ein für die Ausländer, sie setzt sich ein gegen Islamophobie, gerade jetzt der Gemeindetag. Auch vom Zentralrat der Juden in Deutschland war ein Schwerpunkt: Juden gehen in Asylantenheime, Juden gehen in Flüchtlingsheime, wir zeigen Solidarität. Die kleine liberale Gemeinde in Köln hat Flüchtlingskinder an diesem Tag eingeladen, um gemeinsam mit den jüdischen Kindern etwas zu machen. Das heißt, hier gibt es auch ein großes Engagement.
Wir müssen aufpassen. Wir reden zu Recht immer über die Gefahr und über die Rechten und was da los ist. Und dass Juden für die AfD Sympathien entwickeln, ist ja ein Beispiel für etwas. Das eigentliche Problem ist, dass wir zunehmend in den jüdischen Gemeinden eine Situation haben, wo man einander nicht mehr versteht. Ich begreife nicht, wie ein Jude denken und fühlen kann, dass er Sympathien für die AfD entwickeln kann. Es ist mir ein Rätsel. Und umgekehrt fühlen sich diese Leute als die wahren Vertreter jüdisch-deutscher Interessen. Für mich ist das krank.
Frankreich: Zwischen Antirassismus und Terrorangst
Dittrich: Wenn wir mal nach Frankreich schauen - da gab es ja eine hitzige Debatte darüber, wie sicher Juden dort leben können oder ob sie sogar nach Israel auswandern sollten. Diese Angst scheint real zu sein, gerade Marine Le Pen und der Front National sind dieser Angst begegnet. Wie hätten sich die anderen Parteien denn verhalten können? Oder wie reagieren die jüdischen Gemeinden darauf?
Ginzel: Also gerade in Frankreich gibt es ja eine breite Antirassismus-Bewegung und zwar generell in der Gesellschaft, in der Politik, in den jüdischen Gemeinden. Es gibt ein sehr breites islamisch-jüdisches Gespräch, traditionell. Es gibt genügend muslimische Oberhäupter, die den Antisemitismus verurteilen.
Nichtsdestotrotz haben gerade die französischen Juden unter einem islamistischen Terror in Frankreich außerordentlich gelitten, mit vielen Toten. Das heißt, es ist dieser Minderheit der Islamisten gelungen, Misstrauen generell gegen Menschen zu säen, die man eventuell als Muslime einstufen könnte. Andererseits haben wir in Frankreich generell ein Land, das seine Identität sucht. Wir erleben es ja gerade. Es ist nicht mehr die Grande Nation. Es ist ein Land, das an zweiter oder dritter Stelle in Europa steht. Es ist ein Land mit enormen Problemen. Das alles schafft Identitäts- und Existenzprobleme und da haben die Rechten es leicht. Da stellt man sich hin uns sagt: Wir müssen ja nur … Und raus aus der EU! Und die Muslime! Und die schmeißen wir alle raus! Endlich geschieht was! So einfach ist das! Rausschmeißen, irgendwie!
Dass man in der heutigen Zeit immer noch diesen dümmlichen Parolen folgt, das ist erschreckend. Und ich glaube, das trifft auch bei Juden in Frankreich das Gefühl: Die Frau Le Pen hat sich von ihrem Vater mit der Holocaustleugnung eindeutig distanziert, vielleicht schafft sie hier Ordnung.
"Die gesamte amerikanische Gesellschaft hat Migrationshintergrund"
Dittrich: Dieses Thema "Alle rausschmeißen", damit hat auch Donald Trump in den USA viele Wähler gewonnen. Was erwarten jüdische Gemeinden von Donald Trump und seiner Regierung?
Ginzel: Nichts Gutes. Absolut nichts Gutes. Es ist ein solches anhaltendes Entsetzen. Sie müssen sehen, zwei Drittel! Sie haben es in der Anmoderation gesagt. Keine andere Bevölkerungsgruppe hat in diesem Ausmaß die Demokraten und Clinton gewählt wie die Juden. Das ist eine traditionelle Position. Man ist bürgerlich-liberal, man ist voller Solidarität mit Minderheiten. Juden erinnern gerade jetzt dieses lächerliche weiße Gesindel von rechts daran: Welcher Weiße ist in Amerika nicht in seiner Familiengeschichte der Nachfahre einer Migrantenfamilie?
Die gesamte amerikanische Gesellschaft hat einen Migrationshintergrund: mit Menschen, die geflüchtet sind, mit Menschen, die vor der Armut geflüchtet sind, mit Menschen, die eine Vision hatten von Freiheit und von Fortschritt. Das hat Amerika groß gemacht. Dieser weiße Rassismus ist für Juden erschreckend. Und gleichzeitig gibt es im Gegensatz zu Europa offenen Widerstand, anhaltenden, offenen Widerstand. Und es gibt eine bittere innerjüdische Diskussion drüber, wie einige amerikanisch-jüdische Organisationen - wie die amerikanisch-zionistische Organisation - auf Druck von Israel versuchen, jetzt diese Trump-Regierung, die man ja nicht verhindern kann, einzubinden. Nach dem Motto: Wenn ihr hier weiter diskutiert, wenn Trump mit seiner Gleichsetzung von Juden und freier Presse, von Juden und Medien, von Kritik, von Intellektuellen, die das Recht haben nachzudenken, Kritik zu üben. Das ist doch alles unamerikanisch. Diese Stimmung, die Trump hochgebracht hat. Wenn Juden weiter ihre offene Ablehnung dokumentieren, was sie ja zu Tausenden und Zehntausenden auf den Straßen tun, dann schürt das Antisemitismus.
Es ist eine Ur-Angst, dass, wenn Juden gegen so etwas protestieren, es ihnen im Endeffekt am meisten schadet. Und die amerikanischen Juden haben sich zum großen Teil in den letzten Jahren davon befreit.
"Wir lieben Israel, aber wir lehnen diese Politik ab"
Dittrich: Aber wie sehen Sie zum Beispiel Trumps Haltung zu Israel? Er hat ja im Wahlkampf beispielsweise versprochen, das ungeteilte Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen zu wollen. Kommt er damit nicht auch bei jüdischen Wählern, im jüdischen Milieu an?
Ginzel: Das ist genau die Schwierigkeit von Juden in Amerika. Die Mehrheit der amerikanischen Juden - das zeigen die Untersuchungen - teilt nicht die israelische Politik. Man geht davon aus, dass die Werte des Judentums in der rechts-nationalen Politik, der Siedler-Politik, nicht mehr vertreten werden. Die Diaspora ist zunehmend dabei, deutlich zu machen: Wir stehen in der prophetischen Tradition. Wir stehen in der Tradition der Gerechtigkeit, der Gleichheit der Menschen, der Mitbestimmung von allen. Wir machen dieses Spiel - auch der Ultra-Orthodoxie mit ihrer Frauenfeindlichkeit - nicht mit. Wir sind nicht bereit, zurück in die Steinzeit zu fallen. Mit anderen Worten: Wir lieben Israel - das ist die amerikanische Position -, wir verteidigen Israel, aber wir lehnen diese Politik ab. Das ist jetzt schwierig geworden, wo ausgerechnet die Rechten um Trump herum sagen: Aber wir sind doch für Israel.
Dittrich: Sagt Günther Bernd Ginzel, jüdischer Publizist und heute unser Gesprächsgast bei Tag für Tag, Ihrem Magazin mit Informationen aus Religion und Gesellschaft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.