
Ja, der Schock ist groß über den drohenden Zusammenbruch der transatlantischen Allianz. Jetzt ist Klarheit, Ruhe und vor allem Resilienz gefragt. Und hier können wir alle von der ukrainischen Gesellschaft lernen.
So ist es doch in den vergangenen drei Jahren vor allem die Gesellschaft gewesen, die sich mutig und entschlossen einem vermeintlich übermächtigen Angreifer entgegengestellt hat. 3 Tage Überlebenschance haben die westlichen Geheimdienste der Ukraine eingeräumt. Drei Jahre später verteidigt sich die Ukraine noch immer.
Unter Druck, aber nicht gebrochen
Ja, die Ukraine steht militärisch unter Druck. Und ja, die Spannungen in der Gesellschaft nehmen zu. Und natürlich sind die Menschen kriegsmüde. Jeder, der einmal in einem Bombenschutzkeller gesessen hat, der von Raketeneinschlägen aus dem Bett gerissen wurde oder das eigene Kind an der Front verloren hat, ist kriegsmüde.
Aber Russland – das größte Land der Welt mit der zweitgrößten Armee der Welt – reibt sich an der widerspenstigen Ukraine auf. Hunderte russische Soldaten werden täglich getötet – für Bachmut, Torezk, Pokrowsk, Tschassiw Jar, Wowtschansk. Nicht für Kyjiw, Dnipro, Charkiw oder Odessa. Nicht für große Städte, die Prestige, Kontrolle, wirtschaftliche Entwicklung und somit Macht bringen würden.
Die russische Armee hat in drei Jahren Krieg gegen die Ukraine mehr Soldaten verloren als in zehn Jahren Afghanistan und in den Jahren der Tschetschenien-Kriege.
Europa sollte mehr auf die Ukraine schauen statt auf Trump
Europa sollte daher einen genauen Blick auf die Ukraine werfen – anstatt sich über jede falsche und anstandslose Aussage des gewählten US-Präsidenten aufzuregen. Wie kann es weitergehen? Mit dieser Frage müssen wir uns jetzt beschäftigen.
Europa muss die Situation annehmen und akzeptieren. Ärger bringt da nicht viel. Das ist Schritt eins. Und dann müssen die europäischen Regierungen nach vorne denken. Einerseits sollte alles daran gesetzt werden, die diplomatischen Beziehungen, die es noch zu den Vereinigten Staaten gibt, nicht abreißen zu lassen. Dazu sind alle – die Ukraine und Europa – zu abhängig von den USA. Das ist Ergebnis der eigenen Faulheit, Ignoranz und Dekadenz Europas. Auch das müssen sich die europäischen Gesellschaften eingestehen.
Europa muss die Herausforderung annehmen
Politisch benötigt es jetzt Ehrlichkeit und Führung. Denn es wird ungemütlich. Milliarden müssen aufgewendet werden – unter anderem für Verteidigung. Ohne Einsparungen an anderer Stelle wird das nicht gehen. Und das müssen wir als Gesellschaft akzeptieren und uns darauf vorbereiten.
Denn das alles wird zu noch mehr Konflikten innerhalb unserer Gesellschaft führen – und Russland wird versuchen, das auszunutzen und zu verstärken. Deswegen sollte sich Europa die Ukraine zum Vorbild nehmen. Diese Gesellschaft, die so viel politische Instabilität erlebt hat in den vergangenen Jahrzehnten und so viel Versagen der eigenen politischen Machtelite. Gegen die Russland seit elf Jahren einen konventionellen Krieg führt und noch viel länger einen hybriden Krieg.
In ihren schwersten Momenten ist die ukrainische Gesellschaft am stärksten. Manche hier sagen sogar: Wolodymyr Selenskyj ist vor drei Jahren im Land geblieben, weil die Ukrainer gekämpft haben. Nicht umgekehrt. Das unterstreicht die Stärke der Zivilgesellschaft.
Es kommt auf die Zivilgesellschaft an
Wenn der Druck also auch in Deutschland wächst, auf unsere Gesellschaft – dann sollten alle auf die Ukraine schauen und sich fragen: Was kann ich tun?
Ja, die politisch Verantwortlichen waren zu lange nicht entschlossen genug. Sie haben sich von Wahl zu Wahl gehangelt und dachten, Probleme verwalten zu können.
Aber wir lösen die Herausforderungen unserer Zeit nicht, indem wir wütend und frustriert sind, indem wir uns von der Politik abwenden oder uns als Gesellschaft spalten lassen. All das stärkt die Feinde von Freiheit und Demokratie.
Also schauen wir auf die Ukraine. Bleiben wir offen, diskutieren, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Und schieben wir nicht alles allein auf „den Staat“ oder „die Politik“. Die Ukraine überlebt wegen ihrer starken Zivilgesellschaft. Wegen der Menschen, die dieses Land ausmachen. Davon können alle etwas lernen. Davon müssen wir lernen und wir müssen handeln.