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Trump und das transatlantische Verhältnis
"Der Graben wird breiter"

Es sei dringend notwendig, schnell Kontakt zur neuen US-Administration aufzubauen, sagte Publizist Richard Kiessler im DLF. Es bestünde die Gefahr, dass der designierte US-Präsident Donald Trump seine Entscheidungen zukünftig allein nach amerikanischen Interessen ausrichte. Helfen könne er aber möglicherweise dabei, das Verhältnis zwischen der EU und Russland zu verbessern.

Richard Kiessler im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Donald Trump während seiner Rede in New York nach seinem Wahlsieg bei der US-Präsidentschaftswahl
    Donald Trump während seiner Rede in New York nach seinem Wahlsieg bei der US-Präsidentschaftswahl (AFP/ Mandel Ngan)
    Jürgen Zurheide: Um 6:48 Uhr wollen wir noch einmal in die Vereinigten Staaten schauen, genau genommen das transatlantische Verhältnis bewerten. In den USA selbst gibt es Proteste gegen Trump und das, obwohl er inzwischen das eine oder andere versöhnliche Signal schickt, allerdings herrscht eben immer noch große Unsicherheit, weil niemand weiß, was will er denn eigentlich tun? Wer weiß, ob er es selbst weiß.
    Über die neue Rolle der Europäischen Union, die sich daraus dann möglicherweise ergibt, wollen wir jetzt reden, und das wollen wir tun mit Richard Kiessler, dem Publizisten und früheren Chefredakteur der "NRZ", den ich erst mal am Telefon begrüße, guten Morgen, Herr Kiessler!
    Richard Kiessler: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Wissen wir eigentlich wirklich so wenig über Trump und was er will, wie wir im Moment immer hören und lesen, oder ist alles so unklar?
    Kiessler: Es ist noch vieles unklar, allerdings kann man aus früheren Äußerungen natürlich den Weg schon einigermaßen bestimmen, wohin die Reise geht. Wir müssen davon ausgehen, dass der transatlantische Graben breiter wird, dass wir es mit einem Präsidenten in Washington zu tun haben, der bisher jedenfalls nicht hat erkennen lassen, welchen Wertekanon er verfolgt. Und es war deshalb richtig und keineswegs arrogant, dass die deutsche Bundeskanzlerin an diesen Wertekanon erinnert hat in ihrer ersten Stellungnahme.
    "Es ist wichtig einen Interessenausgleich mit Russland zu finden"
    Zurheide: Kommen wir zum Beispiel auf das Verhältnis zu Russland, da sagen ja viele, dass er möglicherweise näher bei Putin ist, als das Hillary Clinton gewesen ist. Was heißt das für uns hier in Europa? Denn der eine oder andere hier sagt ja auch, wir müssen eigentlich, egal wie, uns mit Putin arrangieren.
    Kiessler: Ja, es ist ganz paradox, dass es einige durchaus gemeinsame Ansichten gibt. Wir haben in Europa im Grunde ein Interesse daran, das Verhältnis zu Russland zu verbessern. Allerdings haben wir es mit einer gespaltenen atlantischen Gemeinschaft zu tun, mit einer gespaltenen NATO insofern, als die früheren osteuropäischen Staaten ja mehr Sicherheit vor Russland suchen und etwa die Deutschen, die Italiener, die Franzosen, die Spanier suchen eher Sicherheit mit Russland.
    Eine zweite Parallele neben dem Verhältnis zu Putin ist etwa die kritische Einstellung zum transatlantischen Freihandel. Eine weitere Parallele ist durchaus unsere Haltung gegenüber Putin. Und es muss im Interesse der Europäer liegen, hier einen Interessenausgleich mit Russland zu finden, und eventuell könnte der neue Präsident in Washington dabei behilflich sein.
    "Wir brauchen hier in Europa ein stabiles Russland "
    Zurheide: Das ist ja auch geradezu anders, als wir da in der öffentlichen Wahrnehmung bisher so hatten. Sie sagen, dass Trump möglicherweise sich mit Putin einigen könnte oder zumindest einige Hindernisse aus dem Weg räumt, wohingegen Hillary Clinton da möglicherweise einen anderen Kurs gefahren wäre?
    Kiessler: Ja, wir hätten bei einer Administration Clinton durchaus mit einer Verschärfung des Kurses gegenüber Putin rechnen müssen. Ich möchte daran erinnern, dass die Neokonservativen durchaus erhebliche Einflüsse auf Hillary Clinton hatten, etwa in Gestalt der stellvertretenden Außenministerin Nuland, die durchaus im Gespräch war, das State Departement zu übernehmen. Und hier geht es also um einen scharfen amerikanischen Kurs gegenüber Russland, der nicht in unserem Interesse sein kann.
    Wir brauchen einen Interessenausgleich mit Russland, wir müssen weg von den Sanktionen, wir brauchen hier in Europa ein stabiles Russland. Ein instabiles Russland liegt überhaupt nicht in unserem Interesse. Und wir haben vielfach übersehen, dass Russland natürlich eigene Interessen hat, dass Russland aber nicht dem westlichen Wertekanon folgt. Das heißt, wir müssen zur Kenntnis nehmen, auch wenn wir es nicht akzeptieren wollen, dass Russland einen anderen Weg gehen wird.
    "Es ist dringend wichtig, dass wir den Kontakt zur neuen Administration finden"
    Zurheide: Die Frage ist natürlich immer, wie hoch ist dann der Preis für so eine mögliche Einigung zwischen Trump und Putin? Da werden natürlich die baltischen Staaten, aber auch Polen und die Ukraine ganz genau hingucken. Wo, glauben Sie, könnte da so ein Preis liegen?
    Kiessler: Ja, hier liegt in der Tat eine große Gefahr. Denn wir müssen damit rechnen, dass Trump viel mehr einsame oder, sagen wir mal, auf die amerikanischen Interessen ausgerichtete Entscheidungen fällt, ohne dass er damit unbedingt die NATO-Partner in Europa miteinbezieht. Und deshalb ist es dringend wichtig, dass wir den Kontakt zur neuen Administration finden, wobei wir noch gar nicht wissen, wer die handelnden Personen im Einzelnen sein werden.
    Der Interessenausgleich könnte etwa darin bestehen, dass man die Sanktionen lockert und aufhebt allmählich und dass man dann auf Augenhöhe wirklich mit Russland verhandelt und auch die Interessen Russlands mit in unser Kalkül miteinbezieht. Dieses bedeutet etwa, dass wir im Fall der Ukraine nicht darauf drängen wie einige in der früheren amerikanischen Administration, dass die Ukraine unbedingt NATO-Mitglied werden muss. Ich empfehle hier eher, dem Altmeister Henry Kissinger zu folgen, der gesagt hat, eine neutrale Ukraine wäre sicherlich ein solcher Gegenstand des Interessenausgleichs.
    Zurheide: Das war Richard Kiessler mit Einschätzungen zu möglichen Entwicklungen beim transatlantischen Verhältnis und auch zu Trump, was uns denn dort erwarten könnte. Herr Kiessler, ich bedanke mich heute Morgen ganz herzlich für das Gespräch, danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.