Nie hätten Juden einen besseren Freund im Weißen Haus gehabt als ihn, so Donald Trump Ende 2019. Immer wieder verweisen die Republikaner in diesem Wahlkampf auf die Erfolge seiner Israel-Politik wie etwa die Verlegung der US-Botschaft in Israel nach Jerusalem. In einer aktuellen Umfrage des "Jewish Electorate Institute" gaben 30 Prozent der jüdischen Wähler an, für Trump stimmen zu wollen – das wären sogar sechs Prozentpunkte mehr als bei der vergangenen Wahl. Doch Steven Windmueller, Professor Emeritus für Jüdische Studien am Hebrew Union College in Los Angeles, hält das für unwahrscheinlich.
"Ich nehme an, dass die Zahl derjenigen Juden, die für Donald Trump stimmen, eher noch abnehmen wird im Vergleich zu 2016. So um vier bis sechs Prozentpunkte. Denn viele amerikanische Juden, die Trump beim letzten Mal gewählt haben, sind mittlerweile desillusioniert und – wie auch andere Wählergruppen – zunehmend abgeneigt, diese Regierung weiter zu unterstützen."
Jüdische Interessen
Diese Einschätzung teilt auch Hannes Stein, selbst Jude, der als Schriftsteller und Korrespondent seit vielen Jahren in New York lebt:
"Juden sind immer für die Demokraten gewesen, und das hat sich unter Donald Trump nicht verändert, es hat sich, glaube ich eher noch verschärft. Es gibt nur eine Gruppe von Juden, die sozusagen im Trump-Lager sind, das sind die Ultra-Frommen. Das ist die einzige Gruppe, unter der es eine große Menge gibt, die pro-Trump sind. Aber ansonsten findet Trump unter Juden wenige Fans."
Umfragen bestätigen, dass Donald Trumps Israel-Politik bei jüdischen Wählern wenig bewirkt. Steven Windmueller:
"Amerikanische Juden machen sich über einiges Sorgen. Zunächst, weil wir es hier mit einer vergleichsweise alten Wählergruppe zu tun haben, sind sie interessiert an Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung. Wichtig sind Ihnen Fragen wie Einwanderung, der Supreme Court oder die Waffengesetze. In Umfragen sieht man, dass Israel auf ihrer Prioritäten-Liste irgendwo zwischen Nummer 7 und Nummer 12 rangiert."
Hannes Stein, Schriftsteller und Korrespondent:
"Letztlich würden amerikanische Juden nicht für einen Kandidaten stimmen, der rapidly anti-Israel ist, also der sagt, dieser Staat muss irgendwie von der Landkarte geputzt werden. Das würde amerikanische Juden abschrecken. Aber das tut Joe Biden ja nicht. Mehr wird nicht verlangt. Es wird nicht verlangt, dass ein amerikanischer Präsident dauernd beteuert, wie toll er Netanjahu findet. Das interessiert hier wirklich niemanden."
Trump bedient Stereotyp
Der Präsident leitet aus seiner selbst attestierten Juden-Freundlichkeit ab, dass amerikanische Juden bei der Wahl für ihn – und nur für ihn – stimmen könnten.
Jeder Jude, der die Demokraten wähle, sei entweder sehr unwissend – oder sehr illoyal. Später ergänzte er: Illoyal gegenüber dem jüdischen Volk und dem Staat Israel. Damit zitiert Trump das antisemitische Stereotyp der doppelten Loyalität: Juden könnten gar keinem anderen Land gegenüber loyal sein, weil sie in Wahrheit immer eine heimliche Loyalität zu Israel hätten. Schriftsteller Hannes Stein:
"Unter Juden löst so etwas… entweder es wird gar nicht wahrgenommen oder wenn, dann löst es eher Heiterkeit aus. Weil es natürlich völliger Quatsch ist. Die Demokraten sind eine von zwei Parteien hier. Die Parteiplattform der Demokratischen Partei ruft immer noch nicht dazu auf, jetzt die diplomatischen Verbindungen zu Israel zu kappen. Die Demokraten sind immer noch für eine Zwei-Staaten-Lösung. Die meisten amerikanischen Juden, jedenfalls sofern sie sich überhaupt wirklich Gedanken darum machen, sind auch für eine Zwei-Staaten-Lösung."
Lauren Berkun ist Rabbinerin und stellvertretende Vorsitzende des jüdischen Think Tanks "Shalom Hartman Institute of North America", einer Institution, die sich für die Stärkung des jüdischen Glaubens in Israel und den USA einsetzt. Ihr macht Trumps Aussage von der vermeintlich fehlenden Loyalität jüdischer Wähler Sorgen.
"Eine solche Aussage ist Teil des Versuchs, Israel zu einer Frage der Parteipolitik zu machen, so nach dem Motto: Wenn man für Israel ist, kann man nur Republikaner wählen. Das hat einerseits mit der Polarisierung der Gesellschaft zu tun - andererseits mit der Strategie der Republikaner, die damit jüdische Wähler für sich gewinnen wollen. Israel zum parteipolitischen Zankapfel zu machen - das ist extrem gefährlich für die amerikanische Gesellschaft."
Zahl antisemitischer Übergriffe gestiegen
Sorgen machen vielen jüdischen Bürgern auch die während der Präsidentschaft Donald Trumps sprunghaft gestiegenen Zahlen der antisemitischen Übergriffe, darunter tödliche Angriffe auf Rabbiner und auf Besucher von Synagogen.- Rabbinerin Lauren Berkun:
Ein sehr hoher Prozentsatz amerikanischer Juden glaubt, dass Trumps Präsidentschaft den Fanatikern eine Stimme gegeben hat – auch den Rechtsextremen und all denen, die unsere Gesellschaft spalten wollen. Sein Führungsstil, die Art wie er spricht und auch was er nicht sagt, das alles hat zum Wiedererstarken des Antisemitismus beigetragen. Diejenigen, die eine Vorherrschaft der Weißen vertreten, fühlen sich bestärkt, Dinge zu sagen und Gewalt auszuüben, die es jahrzehntelang so nicht gab.
Lauren Berkun hat während des virtuellen Nominierungsparteitages der Demokratischen Partei ein Gebet gesprochen. Privat engagiert sie sich im Wahlkampf für Joe Biden, doch in ihrer Rolle als Rabbinerin sei eine solche Positionierung für sie und viele ihrer Kollegen eine Gratwanderung, sagt Berkun. Denn in diesen politisch aufgeladenen Zeiten sei es auch die Aufgabe religiöser Autoritäten, ihre Gemeinden zusammenzubringen und jedem Mitglied das Gefühl zu geben, dazuzugehören – unabhängig davon, welche Partei sie wählten. Diese Aufgabe sei für Rabbiner in diesem Jahr so schwierig wie noch nie.
"In diesem besonderen Wahlkampf gibt es einige Rabbiner, die normalerweise argumentieren würden, sie seien politisch neutrale Seelsorger, es gehe ihnen und ihren Synagogen darum, Raum zu geben für spirituelle Nahrung und nicht für politischen Aktivismus. Ausgerechnet die äußern sich nun doch politisch, weil sie den Eindruck haben, diese Wahl sei existentiell. Es ist eine besondere Wahl. Die Gesellschaft ist in Gefahr, wir leben in einer Krise."
Oder mit den Worten des jüdischen Schriftstellers und mittlerweile eingebürgerten Wählers Hannes Stein:
"Es geht um nichts anderes als die Wurst, es geht um nichts anderes als das Eingemachte, es geht um nichts Anderes als die Ideale, auf denen diese Republik gegründet wurde. Um mehr geht es gar nicht in dieser Wahl."