Stephanie Rohde: Zumindest in einem kann der türkische Präsident Erdogan seinem amerikanischen Counterpart Trump Konkurrenz machen: in Brachialrhetorik. Von einem Wirtschaftskrieg spricht Erdogan jetzt, und er droht mit einem Ende der Partnerschaft zu den USA. Ausgelöst hat diese Rhetorik Donald Trump. Er setzt nämlich die Türkei im politischen Streit noch mehr unter Druck.
Gestern hat er überraschend angekündigt, Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei zu verdoppeln. Das verstärkte noch mal den Kursverfall der türkischen Lira. Gestern verlor sie zeitweise über 20 Prozent an Wert. Wie gefährlich ist diese Eskalation für den türkischen Präsidenten und sein System, und was steckt hinter diesem sogenannten Wirtschaftskrieg. Darüber möchte ich sprechen mit Hans-Georg Fleck. Er leitet die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul. Guten Morgen!
Hans-Georg Fleck: Guten Morgen, Frau Rohde!
Rohde: Stürzt Trump Erdogan jetzt in eine Wirtschaftskrise?
Fleck: Das kann man so sagen, obwohl ich den Faktor Trump beziehungsweise die Faktoren der Außenwirtschaft zunächst mal nicht überbetonen würde. Die Krise, die Wirtschaftskrise der Türkei ist im Wesentlichen hausgemacht, und die Signale, die von außen kommen, tragen nur dazu bei, dass Entwicklungen, die schon laufen, nun verstärkt werden.
Bevölkerung folgt Erdogan auch in der Interpretation dieser Krise
Rohde: Das heißt, Sie würden eher sagen, es ist Erdogans Schuld und nicht so sehr Trumps Schuld.
Fleck: Letztlich ist natürlich der türkische Präsident und gerade mit der Machtfülle, die er nach der Verfassungsänderung hat und ausübt, ist er natürlich für die türkische Wirtschaft verantwortlich und nicht Herr Trump.
Rohde: Warum ist dieser Verfall der türkischen Lira, den wir gerade erleben, für Erdogan politisch so gefährlich?
Fleck: Ob er politisch so gefährlich ist, werden wir erst sehen in der Zukunft. Wir wissen, dass unter den Bedingungen einer sich anbahnenden Wirtschaftskrise die Mehrheit der türkischen Bevölkerung Herrn Erdogan in das Amt gewählt hat, dass er jetzt innehat, und insofern würde ich die politischen Wirkungen, die direkten innenpolitischen Wirkungen nicht überschätzen.
Erdogan ist getragen von einer knappen Mehrheit der türkischen Bevölkerung, und sie folgt ihm auch in wesentlichen Zügen in der Interpretation der gegenwärtigen Krise. Die Darstellung, die Herr Erdogan gibt, die besagt, da ist das Ausland, das Schlechtes gegen uns im Schilde führt und das uns umzingelt und das versucht, unsere florierende Wirtschaft einzuschränken und ihr zu schaden.
Diese Argumentation kommt in einer sehr nationalistischen Stimmung, die in der Türkei herrscht, eigentlich sehr gut an. Ich würde deshalb sehr vorsichtig sein mit der Frage, wann bringt diese Krise, die sich dort entwickelt und die eben schon seit vielen Monaten, wenn nicht Jahren, sich entwickelt, wann bringt diese Krise Herrn Erdogan zu Fall. Das wird nicht so schnell gehen, wie mancher das gerne sehen würde.
"Inflation liegt bei 16 Prozent"
Rohde: Erdogan lehnt ja eine Intervention der Zentralbank, und er setzt weiter auf staatliche Investitionen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Das ist aber doch das, was er in den vergangenen Jahren immer getan hat. Läuft sich dieses System nicht langsam kaputt?
Fleck: Ich denke, dass er da beginnen wird, umzudenken. Das bleibt gar nicht aus, dass das erforderlich ist, denn genau wie Sie es beschreiben, gegen alle ökonomische Vernunft hat er Herr Erdogan in den vergangenen Jahren darauf hingearbeitet, die Kreditzinsen zu senken, um die türkische Wirtschaft weiter anzuheizen, und das hat zur Folge gehabt, dass die Inflation weiter steigt.
Sie ist momentan bei 16 Prozent, und es ist gar nicht abzusehen, wie man die in den Griff bekommen soll, und das hat auch dazu beigetragen, dass die türkische Währung in den letzten Monaten schon einen ständigen Verfall erlebt hat, der jetzt durch die Ereignisse der letzten Tage gerade zu einem Kollaps der Währung geworden ist, so muss man es sagen. Der türkische Bürger wird das in seinem Portemonnaie merken, nicht morgen, aber spätestens übermorgen, seien es die Erdölpreise, die Benzinpreise an der Tankstelle, seien es die Lebensmittel, seien es vor allen Dingen natürlich Importwaren, die aufgrund des Währungsverfalls der Lira natürlich deutlich teurer werden.
Der Bürger wird das merken, und dann wird er darauf reagieren mit Unwillen, aber die Wahlen sind gelaufen, die AKP, die Regierungspartei, sitzt fest im Sattel, der Präsident sitzt sehr fest im Sattel. Die Veränderungen sind da nicht in absehbarer Zeit vorauszusehen.
"Die Bürger werden in harte Währungen flüchten"
Rohde: Eine Lösung von Erdogan scheint ja gerade zu sein, die Türken aufzurufen, ihr ausländisches Geld in Lira umzutauschen. Glauben Sie, dass die Türken dem folgen werden oder werden sie genau das Gegenteil tun und ihr Erspartes in Euro oder in Dollar sichern?
Fleck: Letzteres wird geschehen. Dieser Aufruf, dieser erneute Aufruf, der ja nicht zum ersten Mal erfolgt, sondern der in den letzten Monaten verschiedene Male von Seiten des Präsidenten erfolgt ist, man solle die Währungsreserven in Fremdwährungen, die man habe, in die Landeswährung umtauschen, dieser Aufruf wird unerhört vom Bürger bleiben.
Der Bürger wird genau das Gegenteil tun, wie Sie es sagen, er wird flüchten, noch so schnell er kann, in harte Währungen. Dieser Aufruf von Präsident Erdogan zeigt, dass er über keine Möglichkeiten verfügt, jedenfalls nicht Möglichkeiten, aus eigener Machtvollkommenheit, um die türkische Währung zu stabilisieren. Entscheidend für die Türkei ist, dass die Märkte wieder Vertrauen in die Türkei gewinnen, und das kann nur geschehen, indem man zum Beispiel der Zentralbank die Freiheit gibt, die der Präsident ihr nicht geben möchte.
Das kann zum Beispiel nur dadurch geschehen, dass die Rechtsordnung im Sinne einer Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt wird. Momentan, muss man sagen, ist die Türkei auf dem Weg aus der Rechtsstaatlichkeit und nicht hin zu einer stabilen Rechtsstaatlichkeit, die ausländische Investoren anlocken und ihm Sicherheit verleihen könnte.
"Im Minutentakt ist der Kurs weiter verfallen"
Rohde: Wobei ja gestern davon die Rede war, dass die Zentralbank Unabhängigkeit bewahren soll. Lassen Sie uns kurz …
Fleck: Ja, aber das sind Äußerungen des Schwiegersohns von Präsident Erdogan, des neuen Finanzministers Herrn Albayrak, und ich denke, die muss man als Schaufensterveranstaltung werten. Es ist nichts Konkretes gesagt worden von Herrn Albayrak, wie er die neue politische Ausrichtung der Türkei, wie er die unterfüttern will mit Maßnahmen. Also das sind Versuche, in letzter Sekunde mit solchen Statements irgendetwas zu bewirken, aber wir haben gestern gesehen, im Minutentakt ist der Kurs weiter verfallen, und auf die Art und Weise kann man die Korrektur des Kurses nicht herbeiführen.
Rohde: Erdogan warnt ja vor einem Ende der Partnerschaft mit den USA, und unterdessen haben jetzt Putin, der russische Präsident, und Erdogan gestern noch mal betont, dass sie in Verteidigungsfragen und auch in Wirtschaftsfragen besser zusammenarbeiten wollen. Ist Putin Erdogans letzte Rettung?
Verbindung zu Russland wichtig für Türkei
Fleck: Natürlich ist die Wirtschaftsbeziehung zu Russland für die Türkei von großer Bedeutung, in erster Linie natürlich die Energielieferungen, die aus Russland erfolgen, in zweiter Linie der Touristenstrom aus Russland in die Türkei, und dann wollen wir nicht vergessen, es gibt inzwischen sogar Rüstungsbeziehungen zwischen der Türkei und Russland im Sinne von Importen russischer Waffen in die Türkei.
Das ist eine ganz wichtige Position für die Türkei, diese Verbindung zu Russland, und vor allen Dingen hat es natürlich aus der Sicht von Herrn Erdogan, der natürlich immer die Offensive sucht in einer Konfliktsituation, hat es den positiven Beigeschmack, dass man damit die USA ärgern kann und den USA den Eindruck gegenüber erwecken kann, als könne man auch andere Wege einschlagen, als habe die Türkei auch andere Optionen als die bestehenden Bündnisse.
Rohde: Das sagt Hans-Georg Fleck von der Naumann-Stiftung in Istanbul. Besten Dank für Ihre Einschätzungen heute Morgen!
Fleck: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.