Ein Wahlerfolg Donald Trumps kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Kein Grund für die Europäer, in Angststarre zu verfallen. Aber dem französischen Präsidenten, der in seinen ersten vier Amtsjahren Trump erlebt hat, sollten gerade die Deutschen genauer zuhören.
Da trifft es sich gut: Macron spricht Deutsch. Mit einem leichten französischen Akzent, aber mit klarer Botschaft. Im Bundestag hat er die Trauerrede für Wolfgang Schäuble mit dem eindringlichen Appell verbunden, angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine an einem Strang zu ziehen.
Denn auf Deutschland und Frankreich als wirtschaftsstärkste Nationen der EU kommt es besonders an. Sie stehen in der Verantwortung, auch wenn ihr Einverständnis längst nicht mehr ausreichend ist, die gesamte EU voranzubringen. Aber ohne eine deutsch-französische Einigung geht es erst recht nicht. Egal, ob Trump gewinnt oder nicht, es wäre höchste Zeit, dass die Europäer „ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen“, wie es Angela Merkel bereits 2017 forderte.
Gleichzeitig Sicherheitsgarantien unterzeichnen
Macron will im Februar nach Kiew reisen und das Sicherheitsabkommen unterzeichnen, das auch Bundeskanzler Scholz beim G-7-Gipfel in Litauen den Ukrainern versprochen hat. An einem Strang ziehen könnte bedeuten: gemeinsam reisen und gleichzeitig die Sicherheitsgarantien unterzeichnen, am besten in Begleitung des polnischen Regierungschefs Donald Tusk.
Das wäre ein starkes Signal. Das Weimarer Dreieck, die Verbindung zwischen Warschau, Paris und Berlin, könnte eine neue Form der Aufgabenteilung zugunsten der Ukraine erfinden. Das bedeutet nicht, dass sich die anderen EU-Partner zurückgesetzt fühlen müssen – sondern dass es eine Pioniergruppe gäbe, die Antworten für den Fall vorbereitet, dass Trump die amerikanische Ukraine-Hilfe und die NATO infrage stellt. Dass es solche Pläne Trumps gibt, darüber ist ausreichend berichtet worden.
Bundeskanzler rüffelt europäische Partner
Doch gerade bei der Bundesregierung scheint das Bewusstsein gering ausgeprägt zu sein, dass es jetzt auf den europäischen Schulterschluss ankommt. Stattdessen rüffelt der Bundeskanzler schon zum zweiten Mal – zuletzt im "Zeit"-Interview – die europäischen Partner, und insbesondere Frankreich, dass ihre Beiträge zur Militärhilfe für die Ukraine nicht groß genug seien.
Die Rolle des europäischen Kassenwarts mag dem früheren Finanzminister liegen, aber sie ist kontraproduktiv, da sie Ärger bei den Bloßgestellten hervorruft. Eine Einsicht Wolfgang Schäubles war es, dass Deutschland nicht als Lehrmeister in Europa auftreten solle.
Angebot zur nuklearen Abschreckung diskutieren
Viel klüger wäre es, die gemeinsamen Anstrengungen zu betonen, zu denen alle drei Länder auf je unterschiedliche Weise beitragen. Polens Stärke sind die Landstreitkräfte, Frankreich hat als einziges EU-Land einen eigenen nuklearen Schutzschirm. Und Deutschland hat den größten Finanzbeitrag für die Ukraine zugesagt.
Das ist beachtlich, aber sollte nicht dazu verleiten, die Verbündeten zu kritisieren. Denn dann gäbe es auch vieles, was diese monieren könnten, die kaputten Leopard-Panzer, die fehlenden Ersatzteile, die Taurus-Debatte.
Scholz hat selbst gefordert, dass Europa nicht „verzagt“ auftreten dürfe. Dazu zählt dann aber auch, offen über das Angebot Macrons zur nuklearen Abschreckung zu diskutieren, nicht als Ersatz, aber als Ergänzung zur amerikanischen Sicherheitsgarantie.
Michaela Wiegel ist Frankreich-Korrespondentin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"