Die Entscheidung Trumps, sich in Afghanistan weiter zu engagieren, zeige, dass sich Verteidigungsminister James Mattis deutlich durchgesetzt habe. Jung sagte, er vertraue darauf, dass Mattis auch in Zukunft an der 2008 von der NATO beschlossenen Strategie der vernetzten Sicherheit festhalten werde. "Ohne Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung keine Sicherheit". Allein militärisch sei die Lage in Afghanistan nicht zu lösen.
Das zeige auch der Einsatz der Bundeswehr, der auch den Ausbau von etwa Schulen und Krankenhäusern vorangetrieben habe. Von einer Aufstockung deutscher Soldaten geht Jung derzeit nicht aus. Er sehe jedoch andere Nationen in der Pflicht, sich mehr zu engagieren.
Dirk-Oliver Heckmann: Er werde den Militäreinsatz in Afghanistan beenden, denn der sei reine Geldverschwendung. Das hatte Donald Trump versprochen, bevor er zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden ist. Doch jetzt die Wende um 180 Grat. Die amerikanischen Einheiten, bisher rund 8000 Mann, sie werden nicht abgezogen, sondern vielmehr verstärkt, wobei sich Trump nicht auf eine Zahl festlegen wollte, um dem Gegner keinen Vorteil zu verschaffen. Die USA würden sich allerdings nicht mehr am Aufbau eines demokratischen Landes beteiligen. Ihm gehe es darum, Terroristen zu töten, so Trump.
Am Telefon ist jetzt Franz Josef Jung, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion, ehemaliger Verteidigungsminister. Guten Morgen, Herr Jung!
Franz Josef Jung: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat gesagt, er sei von der Ankündigung Trumps überrascht. Erstmals habe er eine kohärente, rationale, verantwortliche Strategie in einem wichtigen außenpolitischen Gebiet vorgelegt. Sind Sie auch so angetan von der Entscheidung Trumps?
Jung: Ich halte die Entscheidung für richtig. Ich halte es auch für gut, dass sich hier offensichtlich der Verteidigungsminister Mattis, den ich noch als NATO-General kennengelernt habe, hier durchgesetzt hat, weil ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir alle Voraussetzungen schaffen, dass hier Afghanistan stabil und sicher wird in Zukunft und nicht ein Rückfall in eine Regierung der Taliban erfolgt. Die Sicherheitslage hat sich in der letzten Zeit in Afghanistan verschlechtert und deshalb, glaube ich, ist es richtig, dass die Amerikaner jetzt eine entsprechende Aufstockung beschlossen haben.
"Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit"
Heckmann: Sie halten die Entscheidung für richtig, das Signal ist angekommen. Omid Nouripour, der Grünen-Politiker, hat gestern hier im Deutschlandfunk gesagt, dabei handele es sich um eine Eskalationsstrategie, die zum Scheitern verurteilt sei. Militärisch sei der Konflikt nicht beizulegen und wenn jetzt kein Nation Building mehr erfolgt, wie das ja auch Donald Trump angekündigt hat, dann kann das nur schiefgehen. Das sehen Sie anders?
Jung: Das sehe ich völlig anders, denn wir haben 2008 auf dem NATO-Gipfel gemeinsam die Strategie für Afghanistan beschlossen, die da lautet: Vernetzte Sicherheit, im NATO-Jargon Comprehensive Approach. Im Klartext: Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit. Wir brauchen beides. Allein militärisch werden wir letztlich das nicht gewinnen. Deshalb, glaube ich, ist es richtig, dass wir diese Strategie auch weiter fortsetzen.
Was Donald Trump hier zum Ausdruck gebracht hat, ist die Auffassung, dass wir nicht der Meinung sind, dass wir unser Modell der westlichen Demokratie Afghanistan aufoktroyieren. Das wäre auch der völlig falsche Weg. Aber im Hinblick auf die Sicherheitsstrategie halte ich das Konzept der vernetzten Sicherheit auch in Zukunft für notwendig.
"Volles Vertrauen in Verteidigungsminister Mattis"
Heckmann: Das heißt, Sie haben nicht den Eindruck, dass Donald Trump von diesem Konzept abgewichen ist. Haben dann alle das falsch verstanden, denn Donald Trump hat ja gestern ganz eindeutig gesagt, es gehe eben nicht darum, einen Staat aufzubauen, sondern darum, Terroristen zu töten, also ein ziemlich monokausaler Ansatz.
Jung: Ja, ich sage, ich habe das so verstanden, dass deutlich wird, dass nicht ein Modell der westlichen Demokratie sozusagen in Afghanistan umgesetzt wird, sondern es geht darum, Sicherheit zu gewährleisten. Und Sicherheit heißt vernetzte Sicherheit. Das heißt, auch Entwicklung in dem Land voranzutreiben. Wir haben ja als Bundeswehr zu Recht nicht nur im Bereich von Schulen, nicht nur im Bereich von Krankenhäusern, nicht nur im Bereich von Infrastruktur geholfen und damit auch Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen. Ich habe erlebt, wie die Menschen uns zugewinkt haben, freudig waren, dass wir dort entsprechend so geholfen haben, und ich glaube, diese Strategie, die war zunächst durchaus auch mit unseren amerikanischen Freunden nicht einvernehmlich, aber wir haben sie gemeinsam 2008 beschlossen als NATO-Strategie.
Und deshalb - und da bin ich sehr sicher, denn der Verteidigungsminister war damals mit auch entsprechend engagiert, der Verteidigungsminister wird diese Strategie auch weiterhin umsetzen. Insofern habe ich volles Vertrauen in den Verteidigungsminister Mattis.
Heckmann: Da sind Sie sehr sicher. Aber woraus schließen Sie das? Ist das jetzt allein ein Bauchgefühl Ihrerseits, oder aus welcher Äußerung Donald Trumps schließen Sie denn, dass er wirklich auch bei diesem Konzept der vernetzten Sicherheit bleibt?
Jung: Ich will Ihnen eins deutlich sagen. Der Verteidigungsminister hat sich mit dieser Strategie sehr deutlich durchgesetzt. Sie haben es selbst erwähnt, was Donald Trump vorher gesagt hatte, was er auch im Wahlkampf gesagt hatte zur Afghanistan-Strategie. Das ist jetzt nun was völlig anderes. Und da sich der Verteidigungsminister durchgesetzt hat, wird er auch weiterhin die Strategie der NATO auch in Afghanistan umsetzen. Darauf vertraue ich und das ist meine positive Einschätzung.
Heckmann: Was wäre denn, wenn das nicht der Fall wäre?
Jung: Ich gehe nicht von "was wäre, wenn" aus. Spekulationen sind nicht mein Thema, sondern wir haben eine NATO-Strategie beschlossen und diese NATO-Strategie wird umgesetzt. Ohne diese NATO-Strategie werden wir nicht erfolgreich sein. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Ich habe es Ihnen ja gerade gesagt: Wir sind dort vorangegangen. Aber unsere amerikanischen Freunde haben das jetzt auch in den letzten Jahren so gemacht und wir werden das auch in Zukunft so tun.
"Wir haben im letzten Jahr bereits Truppen aufgestockt"
Heckmann: Donald Trump hat ja angekündigt, dass die US-Truppen aufgestockt werden. Er erwarte aber auch mehr von den Verbündeten, also auch mehr von der NATO. Und Verteidigungsminister Mattis, den Sie ja gerade auch angesprochen haben, der hat nach der Rede von Donald Trump gesagt, mehrere Verbündete seien dazu auch bereit, ebenfalls die Truppen aufzustocken. Welche Zusagen hat denn die Bundesregierung Washington gegenüber gemacht?
Jung: Es gibt entsprechende Zusagen anderer Länder. Das weiß ich. Aber wir haben deutlich gemacht, wir haben ja im letzten Jahr bereits aufgestockt. Wir haben rund auf 980 Soldatinnen und Soldaten erhöht. Wir sind ja dort auch in der Ausbildung der afghanischen Streitkräfte sehr engagiert und bisher - das will ich auch einmal sagen - auch durchaus erfolgreich im Norden Afghanistans. Sie wissen, dass es dort entsprechende Anschläge in Kundus gegeben hat. Im Norden Afghanistans haben die afghanischen Streitkräfte selbst diese Herausforderungen bewältigen können, mit entsprechender Unterstützung, und von daher, glaube ich, sind wir dort ein Stück weiter.
Wobei man fairerweise sagen muss: Die Sicherheitslage im Süden, dort wo die amerikanischen Streitkräfte engagiert sind, ist doch etwas kritischer. Von daher, glaube ich, ist es richtig, dass dort zusätzliche Streitkräfte eingesetzt werden. Aber noch einmal: Wir sind mittlerweile der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan und von daher, glaube ich, erfüllen wir dort voll und ganz unsere Verpflichtungen.
Heckmann: Das heißt, Sie schließen eine Aufstockung der Bundeswehrsoldaten aus?
Jung: Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass hier es um eine Aufstockung der Bundeswehrsoldaten geht, sondern darum, dass andere, die sich auch erheblich zurückgezogen haben - das gilt ja auch für die Amerikaner -, dass andere jetzt doch sehen, dass es notwendig ist, hier noch weiterhin Stabilität zu gewährleisten, ...
Heckmann: Wen meinen Sie da?
Jung: ... nicht, dass eine Situation eintritt, dass die Taliban wieder zurückkehren. Dann wäre dieser Einsatz nicht erfolgreich.
Heckmann: Wen meinen Sie da, wer hat sich da zurückgezogen?
Jung: Generell andere Nationen auch innerhalb der NATO haben mehr an Truppen reduziert. Ich sage ja noch einmal: Wir sind der zweitgrößte Truppensteller mittlerweile in Afghanistan und wir sind über 40 Nationen in Afghanistan. Das darf man nicht so ganz vergessen. Von daher, glaube ich, haben auch andere schon signalisiert, dass sie hier bereit sind, wieder etwas mehr zu tun.
Heckmann: Sie haben gerade gesagt, Sie gehen nicht davon aus, dass es hier darum geht, die deutschen Soldaten aufzustocken. Aber ausschließen auf meine Frage hin tun Sie es auch nicht?
Jung: Das wird in der NATO gemeinsam zu besprechen sein. Ich gehe derzeit nicht davon aus, dass hier Deutschland zusätzliche Soldaten aufstocken muss, sondern da wir der zweitgrößte Truppensteller sind, schon im letzten Jahr aufgestockt haben, gehe ich derzeit nicht davon aus.
"Entscheidend ist, dass wir Afghanistan stabilisieren"
Heckmann: Könnte das auch mit der anstehenden Bundestagswahl zusammenhängen, dass man da so sehr zurückhaltend ist? Könnte es sein, dass Sie da möglicherweise die Wahl erst mal abwarten wollen und dann erst mit einer Aufstockung um die Ecke kommen, die ja nicht unbedingt beliebt sein dürfte in der Bevölkerung?
Jung: Das ist nicht das Thema. Entscheidend ist die Lage in Afghanistan und nicht Wahlkampfsituationen. Ich glaube, das ist auch gestern durch die amerikanische Entscheidung deutlich geworden. Entscheidend ist, dass wir Afghanistan stabilisieren, dass wir Afghanistan selbst in die Lage versetzen, für seine Sicherheit zu sorgen. Ich denke, da sind wir im Norden, dort wo wir als Bundeswehr die Verantwortung haben, auch schon ein Stück weiter. Ich habe Ihnen gerade das Beispiel im Hinblick auf Kundus gesagt.
Aber noch einmal: Wir brauchen eine gemeinsame Lösung. Das heißt, gemeinsam muss es in Afghanistan gewährleistet sein, dass die afghanische Regierung selbst in der Lage ist, hier für ihre Sicherheit zu sorgen. Das müssen wir gewährleisten und es darf keinen Rückfall mehr geben in eine Terrorismusausbildung oder einen Rückfall in Taliban-Strukturen. Das wäre der völlig falsche Weg.
Heckmann: Entscheidend ist die Lage in Afghanistan, haben Sie gerade gesagt. Sind Sie dann also auch mit Donald Trump einer Meinung, der gesagt hat, es sei ein großer Fehler gewesen von Barack Obama damals, einen Termin für den Abzug aus Afghanistan zu nennen? Auch die Bundesregierung, die hatte sich ja diesem Termin zum Dezember 2014 angeschlossen. War das ein Fehler?
Jung: Ich will Ihnen sagen, solche Termine zu nennen, ist in einer derartigen Lage aus meiner Sicht nicht richtig. Ich will auch deutlich machen, weil dann sich die Taliban eindeutig darauf eingestellt haben, um dann alles letztlich im Grunde genommen zu gewährleisten, dass sie hier die Sicherheitslage wieder anders gestalten können im Hinblick auf eine solche Terminnennung.
Heckmann: Aber die Bundesregierung hatte sich ja daran angeschlossen.
Jung: Nein, nein. In dieser Art und Weise nicht. Wir waren der Auffassung - und das habe ich auch immer deutlich gemacht -, entscheidend ist, dass die Sicherheitslage gewährleistet ist und nicht irgendwelche Terminfragen.
Heckmann: Aber die Entscheidung wurde ja gefällt, dass auch zum Dezember 2014 die Kampftruppen der Bundeswehr abgezogen werden.
Jung: Gut, man muss ja auch fairerweise sagen, wissen Sie, ich habe leider Gottes in meiner Zeit eine sehr eindeutige Gefechtssituation erlebt, und wir waren mittlerweile in einer Situation, wo wir umstrukturieren konnten, dass wir das nur noch auf Ausbildung konzentrieren, dass wir nicht mehr in den Kampfeinsatz mussten. Es ist ja auch so, dass wir glücklicherweise in den letzten Jahren auch keine gefallenen Soldaten mehr in Afghanistan haben. Ich hoffe, dass das auch so bleibt. Im Klartext: Hier hat sich was verändert. Wir haben deshalb die Strategie auch verändert. Das war auch richtig. Es geht darum, die afghanischen Streitkräfte und die Polizei so in die Lage zu versetzen, dass sie selbst in der Lage sind, Sicherheit für Afghanistan zu gewährleisten. Das ist das Ziel und das muss gewährleistet werden.
Heckmann: Herr Jung, Sie haben jetzt häufiger schon den Einsatz als erfolgreich bezeichnet. Das werden viele andere Experten ganz anders sehen, nämlich die Sicherheitslage ist in weiten Bereichen auch sehr schlecht und viele bezeichnen Afghanistan eben nicht als ein sicheres Land. Gehen Sie davon aus, dass dieser Einsatz ...
Jung: Ich habe unseren Einsatz im Norden eben als erfolgreich bezeichnet. Das ist ein gewisser Unterschied.
Heckmann: Ja, das stimmt. - Gehen Sie davon aus, dass der Einsatz der westlichen Gemeinschaft noch sehr lange anhalten wird?
Jung: Es wird noch eine gewisse Zeit brauchen. Das ist wahr. Aber entscheidend ist, dass wir die afghanischen Streitkräfte und auch die afghanische Polizei in die Lage versetzen, selbst Sicherheit zu gewährleisten, zu gewährleisten, dass es keinen Rückfall mehr gibt in eine Regierung der Taliban oder in eine entsprechende Terrorismus-Ausbildung. Das ist die Grundvoraussetzung.
Heckmann: Aber das hören wir schon seit Jahren! Das hören wir schon seit Jahren, Herr Jung.
Jung: Das kann man von einem Wahltermin abhängig machen, aber ich gehe davon aus, dass das noch eine gewisse Zeit braucht.
Heckmann: Franz Josef Jung war das, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion, ehemaliger Verteidigungsminister. Herr Jung, danke Ihnen für Ihre Zeit und für das Interview.
Jung: Sehr gerne, Herr Heckmann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfun,k macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.