Archiv

Trumps designierter Außenminister
"Tillerson ist eher ein Zeichen von Hoffnung"

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, warnt vor einer Vorverurteilung des designierten US-Außenministers Rex Tillerson. Der ExxonMobil-Chef kenne Russland und finde dort möglicherweise Gehör, sagte Ischinger im DLF. Für Deutschland und Europa sei das Anlass für "bescheidenen Optimismus".

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der Leiter der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, spricht am 12.02.2016 während der 52. Sicherheitskonferenz in München (Bayern).
    Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, meint, nach fünf Jahren Eiszeit seien neue Gespräche zwischen Washington und Moskau wünschenswert. (dpa / picture-alliance / Sven Hoppe)
    Der scheidende US-Präsident Barack Obama habe Russland erniedrigt, indem er das Land als "Regionalmacht" bezeichnete, kritisierte Ischinger. Nach fünf Jahren Eiszeit seien neue Gespräche zwischen Washington und Moskau wünschenswert. Der künftige US-Präsident Donald Trump wolle den syrischen Machthaber Baschar al-Assad nicht um jeden Preis loswerden und sei damit näher an der Position Russlands. Ischinger sagte: "Das wäre ein Schwenk, ob man ihn begrüßt oder nicht, der Entspannung zwischen Russland und den USA bedeuten würde."
    Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt plädierte Ischinger dafür, dass sich die Amerikaner künftig neben Deutschland und Frankreich an den Verhandlungen beteiligen sollten. Was die Krim-Annexion angeht, sieht er allerdings keine Anzeichen dafür, dass die USA bereit seien, "Fünfe gerade sein zu lassen".

    Das Gespräch in voller Länge:
    Dirk Müller: Da gibt es eine Menge Milliardäre, eine Menge Militärs und eine Menge Manager, die Donald Trump in sein künftiges Kabinett nehmen will. Der amerikanische Senat muss den Personalvorstellungen des "President elect" aber erst einmal zustimmen. Wie immer das im Einzelfall auch ausgehen mag, nahezu jede Ministerpersonalie hat für Aufregung gesorgt und Empörung, bis hin zu Entsetzen. Das ist Donald Trump allerdings gewöhnt, seitdem er den Weg in die Politik gegangen ist. Auch die Entscheidung, den ExxonMobil-Chef Rex Tillerson zum neuen Außenminister zu machen, quittieren die meisten Politiker in Europa mit fassungslosem Kopfschütteln. Das tun diese wiederum auch seit Monaten fast täglich und Rex Tillerson, ein Ölmanager, der keinerlei politische Erfahrung hat, das geht nicht, ist allenfalls zu hören. Aber besser vielleicht soll er mit Wladimir Putin zurecht kommen können. Die ganze Russland-Politik des Westens könnte nun ins Wanken geraten. So etwas wie politische Panik macht sich bei einigen breit. Die Diskussion jedenfalls ist im vollen Gange. Wir haben auch gestern im Deutschlandfunk darüber ausführlich berichtet. Auch heute Morgen wieder unser Thema mit dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und früheren Spitzendiplomaten Wolfgang Ischinger, viele Jahre deutscher Botschafter in Washington. Guten Morgen.
    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!
    Müller: Herr Ischinger, die ganze Russland-Politik des Westens könnte ins Wanken geraten. Ist das das Beste, was passieren kann?
    "Seit Jahren hat es kein vernünftiges Sachgespräch gegeben"
    Ischinger: Ich sehe das anders. Ich bin gegen die inzwischen ja fast landläufig gewordene Meinung, dass uns da nur Böses ins Haus steht, dass man sich gegen die Nominierung oder Ernennung von Herrn Tillerson als künftigen US-Außenminister wenden müsse und so weiter. Lassen Sie uns doch mal ganz kurz rekapitulieren, was eigentlich in den letzten Jahren zwischen USA und Russland passiert ist. Seit fünf Jahren - vielleicht sind es vier Jahre, aber ich glaube, es sind fast fünf Jahre - hat kein amerikanischer Verteidigungsminister Russland mehr besucht. Seit Jahren hat es kein vernünftiges Sachgespräch zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem russischen Präsidenten gegeben. Präsident Obama haben wir zurecht vorgeworfen, er habe den russischen Präsidenten im Prinzip öffentlich erniedrigt, indem er Russland als eine zu ignorierende Regionalmacht, nicht wahr, eingestuft habe. Und so weiter und so weiter.
    Müller: Und Europa hat das alles mitgetragen?
    Ischinger: Und wir in Europa sind mit Versuchen, selber mit Russland zurechtzukommen, ja nun auch nicht gerade sehr weit gekommen. Der Versuch, Deutschland und Frankreich ins Feld zu schicken, um mit Moskau das Thema Ukraine, Minsk-Abkommen zu regeln, ist ja vielleicht noch nicht gescheitert, aber ist jedenfalls stecken geblieben. Wir haben es auf breiter Front mit großen Problemen zu tun. Wir haben wachsende Gefahren militärischer wie auch nuklearer Konfrontation. Und in dieser Lage ist doch eines vor allem wünschenswert, nämlich dass es endlich wieder zu einem vernünftigen Gespräch zwischen Moskau und Washington kommen kann. Ich bin durchaus der Meinung, dass das meiste von dem, was man in den letzten Tagen und Wochen aus Washington gehört hat, Anlass zu Kopfschütteln und zu Sorge gibt, von Trump angefangen und zu vielen dieser Ernennungen. Aber wenn jetzt jemand Außenminister wird, der sich tatsächlich in der Welt auskennt, der tatsächlich auch schon mal selber in Moskau war und dem man in Moskau vielleicht auch bereit ist zuzuhören, dann würde ich sagen, ist es für deutsche Interessen und für europäische Interessen zunächst einmal eher ein Zeichen von Hoffnung und vielleicht sogar bescheidenem Optimismus als ein Zeichen von Panik.
    Müller: Herr Ischinger, das war jetzt nahezu ein Statement. Jetzt habe ich noch ganz viele Fragen, jetzt müssen wir uns ein bisschen sputen.
    Ischinger: Ja klar.
    Müller: Ich hatte gefragt, die ganze Russland-Politik des Westens gerät ins Wanken? Damit verbunden noch einmal: Ist das gut so, dass diese amtierende Politik ins Wanken gerät? Jetzt sagen Sie für viele überraschend, ja, wir haben Hoffnung oder Sie haben Hoffnung, dass gerade Rex Tillerson, der ja so umstritten ist im Moment, jedenfalls was die ersten Reaktionen anbetrifft, dieses ganze Eis brechen könnte. Warum kann er es brechen? Kann er andere Interessen vertreten? Kann er mehr Kompromisse machen, Zugeständnisse als andere?
    "Der russischen Führung geht es darum, Stabilität zu erhalten"
    Ischinger: Nehmen wir mal den Punkt Ukraine. Hier haben bisher, ich wiederhole es, die Europäer mit Russland verhandelt. Vielleicht ist es Zeit, darüber nachzudenken, ob an diesem Verhandlungstisch neben der Führung von Deutschland und Frankreich - wer das in Zukunft in Frankreich sein wird, wissen wir ja noch nicht - die amerikanische Regierung beteiligt sein sollte.
    Müller: Damit die Annexion der Krim akzeptiert werden kann?
    Ischinger: Nein! Darum kann es doch nicht gehen. Ich sehe überhaupt kein einziges Anzeichen dafür, dass man amerikanischerseits jetzt auch nur daran denkt, jetzt sozusagen Fünfe gerade sein zu lassen. Ich glaube, das ist eine durch keine Aussage berechtigte Sorge, die hier geäußert wird. Ich glaube, dass wir jedes Interesse daran haben, an dem Grundprinzip festzuhalten, dass wir natürlich allesamt, die ganze Nordatlantische Allianz, die Anerkennung der Krim-Annexion weiterhin (und zwar dauerhaft) verweigern, dass wir dabei bleiben, eine friedliche Lösung der Ostukraine-Problematik anzustreben, und da würde ich sagen, kann es ja durchaus hilfreich sein, wenn sich daran eine künftige amerikanische außenpolitische Führung unter einem Außenminister Tillerson, dem man wie gesagt in Moskau vielleicht sogar zuzuhören bereit ist, beteiligt.
    Müller: Aber dann verstehe ich nicht, Herr Ischinger, was darauf hindeuten könnte, dass sich die Beziehung zwischen Washington und Moskau verbessern sollte, wenn man bestimmte Fakten, militärisch herbeigeführt wie auch immer, völkerrechtlich herbeigeführt wie auch immer, dann irgendwann nicht sagt, Realpolitik, wir akzeptieren das, genauso wie die Ein-China-Politik damals akzeptiert wurde.
    Ischinger: Ich sehe die Chancen eines aufeinander Zugehens nicht so sehr bei den europäischen Brennpunkten wie Ukraine, wie Krim, sondern ich sehe sie, wenn überhaupt, eher bei solchen Brennpunkten wie Syrien, wo ich tatsächlich auch die Auffassung habe, dass es sein kann - wir wissen ja noch nicht, ob es so sein wird -, dass die Trump-Administration ähnlich wie Russland zunächst einmal alles auf Terrorismusbekämpfung setzt und fürs erste Assad Assad sein lässt. Das wäre ein Schwenk. Ob man den begrüßt oder nicht, das würde eine gewisse Entspannung zwischen Russland und den USA zumindest in diesem Bereich ermöglichen. Aber das halte ich noch eher für möglich als …
    Müller: Aber das wird ja gerade bezweifelt, Herr Ischinger. Entschuldigung, dass ich hier noch mal unterbreche. Das wird ja gerade bezweifelt, dass Russland nur Interesse daran hat, den Terror beziehungsweise die Terroristen, die Islamisten in Syrien zu bekämpfen. Auch die Amerikaner haben diese Zweifel. Sind die jetzt ausgeräumt?
    Ischinger: Na ja. Es ist doch so: Der russischen Führung geht es darum, Stabilität wie in Moskau definiert im Nahen und Mittleren Osten zu erhalten. Das heißt, Schluss mit "Regime Change", Ende mit westlichen Versuchen, Führungspersönlichkeiten, Diktatoren im Nahen und Mittleren Osten oder an anderen Stellen der Welt sozusagen abzuschaffen. Das ist das erste russische Ziel. Wenn die USA bereit sein sollten, sich jetzt von dem Ziel abzuwenden, Assad los zu werden - das ist ein Ziel, dem auch die Bundesrepublik Deutschland, dem die Europäer sich vielfach verpflichtet haben -, wenn man dieses Ziel nun vielleicht nicht völlig fallen lässt, aber zunächst vorläufig fallen lässt, dann könnte das, ich wiederhole es, eine gewisse Annäherung, ob man die moralisch für tragbar hält oder nicht, das ist eine völlig andere Frage, dann könnte sich hier eine gewisse Annäherung ergeben.
    Müller: Jetzt hören wir leider die Musik im Hintergrund. Unsere Nachrichten folgen hier im Deutschlandfunk. - Wolfgang Ischinger bei uns zu Gast, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Danke, dass Sie wieder Zeit für uns gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Ischinger.
    Ischinger: Ja, danke Ihnen sehr. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.