Christoph Heinemann: Vor dieser Sendung haben wir den SPD-Politiker Bernd Lange erreicht. Er ist Vorsitzender des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments. Ich habe ihn gefragt, ob er mit Strafzöllen rechnet.
Bernd Lange: Das sind ja keine Strafzölle, das sind Abschottungszölle, weil wir haben nix getan, wir haben nicht gedummpt oder unlautere Subventionen gezahlt. Ja, ich rechne damit, dass Trump versucht, seine Wähler zu befrieden, indem er die Stahlindustrie versucht zu schützen und Maßnahmen gegen die Europäische Union erlässt.
Heinemann: Für Sie steckt da viel Wahlkampf drin?
Lange: In der Tat. Ist ganz klar, der versucht, den Rust Belt Ohio und drum herum im Einflussbereich der Republikaner zu halten. Das ist rein innenpolitisch motiviert. Ich meine, was für eine absurde Situation. Wir haben klare Regeln der Welthandelsorganisation, und nun erlässt er Abschottungszölle gegen alle Partner der Welthandelsorganisation ohne rechtliche Basis. Also das ist überhaupt nicht nachzuvollziehen.
Heinemann: Rechnen Sie damit, dass man Trump zur WTO noch bekehren kann?
Lange: Das sind natürlich unterschiedliche Kräfte am Wirken. Sein Handelsbeauftragter Lighthizer ist ein erklärter Feind der WTO. Der weigert sich gegen internationale Rechtssetzung. Andere Kräfte sind anders positioniert. Wir führen den Dialog mit dem amerikanischen Parlament, mit anderen Stakeholdern. Ohne ein regelbasiertes System, ohne wirklichen Akzeptieren von gemeinsamen Regeln wird das System in sich zusammenbrechen, und das schadet angesichts globalisierter Wertschöpfungsketten jedem. Also da schneidet er sich auch ins eigene Fleisch.
"Wir werden bei der WTO eine Klage einreichen"
Heinemann: Wie sollte die EU antworten, wenn er jetzt zusätzliche Zölle oder eine Erhöhung der Zölle ankündigen würde?
Lange: In der Tat sind zusätzliche Abschottungszölle. Das ist ja völlig losgelöst von den hinterlegten Zöllen bei der WTO. Wir müssen als Europäische Union hier, glaube ich, geschlossen sein und auch Gegenmaßnahmen ins Auge fassen, und das ist vorbereitet, die sind auch schon hinterlegt bei der WTO. Wenn es diese Abschottungszölle gibt, werden wir Gegenmaßnahmen einleiten, und wir werden auch gemeinsam mit anderen Partnern bei der WTO eine Klage einreichen. Indien ist da schon vorgegangen, andere werden mittun – Kanada sicherlich und Japan und andere auch –, sodass hier Herr Trump eindeutig die Rote Karte gezeigt bekommt. Da sind wir uns auch in der Europäischen Union einig, Rat, Kommission, Parlament, und es hilft nicht, wenn der deutsche Wirtschaftsminister in der Tonlage davon abweicht und schon jetzt über mögliche Deals redet.
Heinemann: Wie lange dauert das, bis die Welthandelsorganisation eine solche Rote Karte zieht?
Lange: In der Regel ein bis anderthalb Jahre wird das dauern, und das ist natürlich ein gewisser Zeitgewinn für Herrn Trump, aber nichtsdestotrotz, wir wollen deutlich machen – und unsere Maßnahmen bewegen sich alle im Regelwerk der WTO –, dass wir zu einer regelbasierten Situation stehen und das Recht des Stärkeren nicht akzeptieren. Nebenbei, Herr Trump macht das ja auch gegenüber afrikanischen Staaten, wo eindeutig ein Ungleichgewicht da ist, und das ist ja der Vorteil auch der WTO, da hat jedes Land die gleiche Stimme, das gleiche Gewicht, und da setzt sich nicht der wirtschaftlich Stärkere durch.
"Wir werden versuchen, die Irrfahrt von Herrn Trump zu beenden"
Heinemann: Als Gegenmaßnahmen wurden ja zuletzt Jeans, Motorräder oder bernsteinfarbenes Hochprozentiges genannt, das heißt also Zölle für diese Produkte. Reicht das?
Lange: Wir wollen ja nicht eskalieren. Wir wollen deutlich machen, dass wir mit den Abschottungszöllen nicht einverstanden sind, und deswegen haben wir auf der einen Seite natürlich metallbezogene Produkte im Fokus, wie zum Beispiel Schiffe. Allerdings exportieren die USA kaum Stahl in die Europäische Union. Deswegen sind auch ein paar andere Produkte dort, die auch insbesondere zielgerichtet die Wahlkreise von einzelnen republikanischen Senatoren und Abgeordneten im Blick haben, aber insgesamt wird das Volumen der Gegenmaßnahme nur die Hälfte betragen von dem, was wir erwarten, was Herr Trump aufsattelt.
Heinemann: Befinden wir uns nach den Strafzöllen oder Zusatzzöllen, wie Sie gesagt haben, auf Stahl vor Strafzöllen oder Zusatzzöllen auf Autos?
Lange: Na ja, Herr Trump hat ja, ähnlich wie beim Stahl, dieses Gesetz aus dem Kalten Krieg aus der Mottenkiste herausgezogen von 1962, wo ihm Möglichkeiten des Handelns, basierend auf der nationalen Sicherheit, eröffnet worden sind, und jetzt versucht er ja, einen Zusammenhang zu der Gefährdung der nationalen Sicherheit mit dem Import von Autos in Zusammenhang zu bringen. Das ist natürlich völlig absurd, und es gibt auch schon die ersten Androhungen der Klage in den USA. Das scheint bei ihm so eine fixe Vision zu sein, dass er europäische Importautos zurückdrängen muss, und das Risiko, dass er das versucht durchzusetzen, ist da, würde in der Tat die Europäische Union viel, viel stärker treffen als beim Stahl. Wir haben 200 Produktionsanlagen von Automobilen in der EU, 3.000 Hauptzulieferer und viele, viele kleine Zulieferer. Das ist wirklich ein Kern der Industrie der Europäischen Union, und von daher werden wir mit aller Macht versuchen, hier die Irrfahrt von Herrn Trump zu beenden.
"Das gesamte Bild der Beziehung ist eher ausgeglichen"
Heinemann: Herr Lange, welche Argumente der Gegenseite lassen Sie gelten?
Lange: Es gibt Herausforderungen, gar keine Frage. Wir haben eine Überkapazität von Stahl. Da müssen wir global heran. Auch in der WTO mit 164 Partnern, da geht das nicht so schnell voran, da sind Formen notwendig – Sie wissen, das ist 1995 gegründet. Präsident Macron hat ja gestern noch mal sehr deutlich gemacht, lassen Sie uns eine gemeinsame Initiative starten, China, Europäische Union, Indien, USA, und ein Reformpaket schnüren. Also da können wir gemeinsam herangehen.
Eins noch: Was Herr Trump immer anführt und manchmal ja auch gesagt wird, dass die Zölle ungerecht seien zwischen EU und USA. Wir haben Außenzölle bei der WTO hinterlegt, da haben alle zugestimmt, und von daher ist es nicht ein Aufoktroyieren von Zöllen gewesen. Man muss natürlich das gesamte Bild nehmen. Im Bereich von Dienstleistungen haben die USA ein Surplus gegenüber der Europäischen Union, und auch der Kapitaltransfer von Europa nach den USA hat ein Plus. Also das gesamte Bild der Beziehung ist eher ausgeglichen, aber wie gesagt, es gibt Reformnotwendigkeiten, die sollten wir partnerschaftlich angehen und nicht unter Druck.
"An die Besteuerung von Internetkonzernen müssen wir ran"
Heinemann: Wenn sich jetzt eine Zollspirale in Gang setzt, wie verwundbar sind zum Beispiel US-Dienstleister wie Facebook, Google und Amazon, die ja in der EU sehr viel Geld verdienen?
Lange: Genau, und da ist natürlich sowieso schon die Frage, warum eigentlich eine Besteuerung von Internetkonzernen nicht an die gleichen Maßstäbe gebunden ist, wie der Bäcker in Hannover zu zahlen hat. Also da müssen wir sowieso ran, und insgesamt, glaube ich, müssen wir eine faire Bewertung von Unternehmensgewinnen anpacken, und deswegen ist von unserer Seite natürlich viel, viel stärker die Frage der Dienstleistungen in den Fokus zu nehmen, wie die USA stärker die Güter in den Fokus nehmen. Also der Dienstleistungsmarkt in den USA ist ja weitgehend abgeschottet, und da besteht von unserer Seite gegenüber den USA ein deutliches Ungleichgewicht, und das werden wir anpacken.
Heinemann: Seit Trump sich mit China angelegt hat, hat Peking eine vorsichtige Angleichung des bisher extrem unfairen Handels angekündigt, wovon auch und gerade deutsche Autobauer profitieren würden. Muss man nicht auch einmal sagen, danke, Donald?
"Entscheiden, das macht der Präsident"
Lange: Also dass China die Zölle senkt, ist, glaube ich, eine logische Entwicklung. Die sind nun auch volles Mitglied der WTO, und …
Heinemann: Aber schon unter einem gewissen Druck entstanden.
Lange: Ja, aber die Diskussion war vorher auch schon da. Man muss natürlich sehen, die haben das industriepolitische Ziel, die Elektromobilität nach vorne zu bringen, und den Verbrenner haben sie als eigenes Ziel eigentlich aufgegeben, und von daher, sie haben die Quoten für Elektromobile. Also das spielt nicht so eine große Rolle. Außerdem werden weit über 70 Prozent der Autos in China gebaut. Das war, ich glaube, eine Konsequenz, die eh in der Luft lag. Außerdem, ich finde es auch nicht so ganz so unfair, weil zum Beispiel zahlt China im letzten Jahr in die USA 30 Milliarden Lizenzgebühren und Patentgebühren. Also man muss wirklich immer das gesamte Bild nehmen. Klar, die haben versucht, jetzt eine Eskalation zu vermeiden, aber offenbar reicht das Herrn Trump ja auch nicht, und das ist, glaube ich, das Kernproblem, dass diese Unsicherheit da ist. Keiner kann einschätzen, wie dieser Mann gerade tickt und was für Maßnahmen ergreift. Auch jetzt in unseren Gesprächen mit den Vereinigten Staaten, mit vielen Leuten ja ganz rational, kam zum Schluss immer der Satz, aber entscheiden, das macht der Präsident, und wir wissen nicht, wie er entscheiden wird.
Heinemann: Bernd Lange, SPD, der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments. Das Gespräch haben wir unmittelbar vor dieser Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.