Seit Monaten befänden sich Trumps Unterhändler in der Region in Gesprächen mit Palästinensern, Israel und den gemäßigten arabischen Staaten, um einen Plan für den Friedensprozess im Nahen Osten vorzulegen, sagte Stein. Doch bisher gebe es diesen Plan nicht. "Ich sehe noch keine klare Strategie, wie diese Administration gedenkt, die Gespräche wieder aufzunehmen." Er verstehe den Zeitpunkt der Entscheidung nicht. 70 Jahre lang habe Israel ohne die Anerkennung gelebt. "Was ist so eilig?" Jerusalem sei "für uns Israelis und Juden" die Hauptstadt - unabhängig von einer Anerkennung.
Stein erwartet, dass die US-Regierung - nachdem sie der israelischen mit der Entscheidung entgegengekommen ist - nun eine Gegenleistung fordert. "Trump betrachtet sich als Dealmaker" - wenn er was gebe, wolle er was dafür haben.
Stein sprach sich für die Zwei-Staaten-Lösung aus. Einen Staat mit jüdisch-demokratischem Charakter könne es nur im Rahmen dieser Lösung geben. "Alles anderen Optionen würden zu einem Blutbad führen".
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Donald Trump macht ernst. Die USA erkennen Jerusalem als Hauptstadt Israels an und wollen ihre Botschaft von Tel Aviv in die Stadt verlegen, deren Ostteil die Palästinenser bekanntlich für sich reklamieren. Das ist ein Tabubruch, denn Jerusalem ist eine der heikelsten Fragen zwischen Israel und den Palästinensern. Nun also will der US-Präsident Fakten schaffen.
Die israelische Regierung begrüßt das, die Palästinenser sind hart getroffen, und der Rest der Welt fürchtet neue Gewalt in der Region. – Am Telefon ist Shimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland. Guten Morgen, Herr Stein.
Shimon Stein: Ja, guten Morgen!
Heuer: Wie finden Sie Donald Trumps Vorstoß?
Stein: Ich finde, dass er auch in dieser Sache treu zu seiner Mission, ein Zerstörer zu sein, das gut gemacht hat.
Heuer: Das ist Sarkasmus pur, Herr Stein.
Stein: Entschuldigung?
Heuer: Das ist Sarkasmus pur. – Ist Donald Trump ein Zerstörer?
Stein: Kann sein! Aber wie gesagt: Er hat seit Anfang seiner Administration das Hauptziel, ein Zerstörer zu sein. Und insofern: Was er gestern getan hat, wie Sie bereits in Ihrer Anmoderation gesagt haben, ist ein Tabubruch, ein Abweichen von einer amerikanischen Position. Wissen Sie, 70 Jahre ist Jerusalem, Westjerusalem die Hauptstadt des Staates Israel. Kein Staat auf der Welt hat einen solchen Zustand, wo seine Hauptstadt überhaupt nicht anerkannt ist. Dessen muss man sich vergewissern. Das Problem ist ja nicht nach der Einverleibung im Jahre 1967, dass Israel auch Ostjerusalem einverleibt hatte.
Das ist eine Abweichung von einer amerikanischen Position, die 70 Jahre uns begleitet hat, und Donald Trump, wie gesagt treu zu seinem Ziel, stellt das alles in Abrede und sagt, es ist Tatsache, auch vor der Anerkennung hat sich 20 Jahre lang in der Region nichts bewegt und jetzt meine ich, mit diesem Schritt etwas in Bewegung zu bringen. Das ist die große Frage.
"Ich verstehe auch nicht den Zeitpunkt, was ist so eilig?"
Heuer: Herr Stein, das ist die Frage, die wir gleich besprechen. Aber Sie sagen selber, Jerusalem ist die Hauptstadt Israels. Erkennt Donald Trump nicht einfach an, was faktisch sowieso Realität ist?
Stein: Das ist die Realität. Die Tatsache, dass niemand diesen Staat anerkannt hat, ist für mich als Israeli ja unerfreulich. Aber egal wie es ist: Jerusalem bleibt für uns Israelis und Juden die Hauptstadt. Manche Israelis werden sagen, es war egal, was die Welt sagt. Jeder Staat muss eine Hauptstadt haben und so haben wir vor 70 Jahren Westjerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt.
Heuer: Herr Stein, ich glaube, ich verstehe es nicht richtig. Sie freuen sich darüber, dass Donald Trump sagt, Jerusalem ist von den USA anerkannte Hauptstadt Israels, und gleichzeitig nennen Sie ihn einen Zerstörer. Finden Sie es nun gut oder schlecht, was er gesagt hat?
Stein: Ich finde diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt, ohne dass diese Entscheidung in einen Plan eingebettet ist, als einen Fehler.
Heuer: Nun behauptet ja die US-Regierung, sie habe so etwas wie einen Plan. Rex Tillerson, der Außenminister hat gesagt, die US-Regierung habe neue Ansätze für eine Friedenslösung.
Stein: Ja, das sagen sie. Aber ich sehe noch nicht diese Ansätze. Wir wissen, dass Donald Trumps Unterhändler in der Region seit Monaten sind, in Gesprächen mit den Palästinensern, mit den Israelis, mit den sogenannten gemäßigten arabischen Staaten im Gespräch sind, um am Ende einen Plan vorzulegen. Dieser Plan ist noch nicht vorgelegt worden. Man vermutet nur, was dort stehen wird, aber sie haben noch nicht eine klare Strategie, wie diese Administration gedenkt, die Gespräche wieder aufzunehmen, um dann gestern zu kommen, aus welchen Gründen auch immer, die mir nicht klar sind, diesen Anstoß zu machen, ohne dass er das wie gesagt einbettet in eine Strategie, in einen Plan, wo die USA ihre Meinung äußern, wie die Sachen vorangehen sollen.
So finde ich das als Fehler. Ich verstehe auch nicht den Zeitpunkt, für den er sich entschieden hat. Was ist so eilig, diese Erklärung, die wie gesagt 70 Jahre schon überfällig ist, gestern ausgerechnet zu machen.
Möglich, dass Trump eine Gegenleistung erwartet
Heuer: Herr Stein, ich habe darauf leider keine Antwort. Aber Sie haben selber gesagt, die US-Entscheidung jetzt, die bringt immerhin Bewegung in den erstarrten Nahost-Konflikt. Daraus kann doch auch etwas Gutes werden.
Stein: Es kann! Wissen Sie, es ist auch eine gewisse Interpretation jetzt, dass Donald Trump Israel entgegengekommen ist, und Netanjahu und seine Regierung freut sich sehr darüber, vielleicht mit ihm auch mehrere Israelis. Das kann als Geschenk wahrgenommen werden. Und so meine ich: Wenn Trump wirklich eine Strategie hat, dann wird er von Israel als Gegenleistung auch was auffordern. Was genau diese Gegenleistung sein wird, weiß ich nicht, aber mit diesem Geschenk kommt hoffentlich auch eine Aufforderung, dass Israel gegenseitige Gegenleistungen machen wird. Wie die aussehen sollen, das wissen wir gar nicht, aber mit diesem Geschenk kommt auch eine Herausforderung für Netanjahu.
Es sind keine Geschenke. Trump betrachtet sich als Dealmaker und wenn man einen Deal macht, wenn jemand etwas bekommt, muss er auch etwas geben.
Heuer: Verstanden, Herr Stein. Das wissen wir noch nicht. – Glauben Sie, dass mit dieser Rede von Donald Trump, der Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt, dass damit die Zwei-Staaten-Lösung noch unwahrscheinlicher geworden ist?
Stein: Wissen Sie, ich verfolge diese Diskussionen über einen Staat, eine binationale Lösung, aber die Israelis und die Palästinenser müssen sich trennen. Und die Trennung um den jüdischen und demokratischen Charakter, den wir alle anstreben, kann nur im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung gestellt werden. Alle anderen Optionen werden zu einem Blutbad führen und am Ende dieses Blutbades werden wir zurück zu einer zwei-Staaten-Lösung kommen. Ich bedauere sehr, dass die amerikanische Administration gestern eine Chance hatte, sich klar zu dieser Zwei-Staaten-Lösung zu positionieren, und Trump hat es ja nicht getan. Er hat es den Parteien überlassen.
"Dass es zu Protesten kommen wird, davon geht man aus"
Heuer: Herr Stein, Sie sagen, Sie befürchten ein Blutbad. Viele befürchten ja jetzt ganz akut Gewalt in der Region. Wie wahrscheinlich ist es, dass es dazu kommt, vielleicht sogar zu einer dritten Intifada? Was glauben Sie?
Stein: Ja, die Katastrophenszenarios sind in aller Munde. Ich gehe davon aus, dass es kurzfristig durch die Palästinenser, die schon bereits die drei kommenden Tage als Wuttage erklärt haben, zur Gewalt kommt. Ob diese Gewalt außer Kontrolle gerät, hängt zunächst von den Palästinensern ab, aber auch von uns Israelis, wie wir dieser Gewalt begegnen werden. Aber dass es zu Protesten kommen wird, davon geht man aus. Ob die nur vorübergehend als ein Akt der Frustration sein werden, oder etwas langfristig, das bleibt abzuwarten, und Ihre Spekulation ist genauso gut wie meine.
Heuer: Shimon Stein, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Stein, vielen Dank dafür.
Stein: Nichts zu danken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.