Sandra Schulz: Der UN-Sicherheitsrat liefert sich einen Schlagabtausch zu Jerusalem, Kai Clement fasste zusammen. Und am Telefon ist jetzt der Historiker Dan Diner, er lehrt Moderne Geschichte an der hebräischen Universität in Jerusalem, wir haben ihn heute allerdings in Berlin erreicht. Schönen guten Tag!
Dan Diner: Guten Tag!
Schulz: Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Gewalt jetzt weiter eskaliert?
Diner: Ja, Sorge besteht zweifellos. Jerusalem ist ja mehr als nur ein Ort, eine wirkliche, vermeintliche oder wie auch immer beanspruchte Hauptstadt. Es ist, wenn man so will, symbolisch der Kern des gesamten Konfliktes, an dem sich alles entzünden mag.
Schulz: Woran wird sich das denn jetzt entscheiden, ob das ein kurzes Aufflackern der Gewalt ist oder ob das Drohszenario kommt, zu dem die Hamas ja aufgerufen hat, die nächste Intifada.
Diner: Ich denke, dass die nächsten Tage, die nächsten zehn Tage Aufschluss darüber geben werden, ob das nur ein Aufflackern ist oder ob es eine neue Phase bedeutet im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Ich neige eher dazu aufgrund der Lage insgesamt in der Region, dies eher als ein Aufflackern zu sehen. In diese Entscheidung gehen ja mehrere Interessen ein – einmal das Interesse Trumps selbst in den Vereinigten Staaten, seine Anhängerschaft noch mal zu mobilisieren, die gesamte Russlandaffäre ist ja noch gar nicht abgeschlossen, Netanjahu selbst, der in Israel ja unter Korruptionsverdacht ständigen Befragungen seitens der Polizei ausgesetzt ist –, es spielen verschiedene Gründe mit eine große Rolle in diesem Zusammenhang. Und es ist noch zu bedenken, das gehört auch in die Großwetterlage hinein, die arabische Welt, die muslimische Welt ist selbst in sich gespalten, sodass man nicht den Blick der vielleicht 70er- oder 80er-Jahre einnehmen muss, um die gegenwärtige und zukünftige Situation zu verstehen. Es ist auch ungeklärt …
"Das Argument ist natürlich falsch"
Schulz: Herr Diner, wenn wir vielleicht noch mal auf den Ausgangspunkt schauen, auf die Entscheidung von Donald Trump, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen: Er hat ja so argumentiert, er sagt, die Strategie, diese Frage offenzulassen bis zum Schluss, die hat ja nun ganz offenkundig nicht gefruchtet. Was ist an dem Argument denn falsch?
Diner: Na ja, das Argument ist natürlich falsch, weil Jerusalem ein derartiges Symbol ist für alle Beteiligten. Aber Trump selbst hat mit seiner Entscheidung ja genau das wiederholt, was er kritisiert. Er hat ja offengelassen, was er damit meint, wenn er sagt, er erkennt Jerusalem als Israels Hauptstadt an. Das heißt, er lässt wiederum offen, wie der Status beziehungsweise die Grenzen verlaufen sollen durch die Stadt hindurch. Es wird in der gesamten Diskussion ja kaum wahrgenommen, dass es ja nicht nur um das von Israel annektierte Jerusalem, also der Ostteil Jerusalems, aus dem Jahre 1980 ist, um das es geht, sondern auch der Westteil. Jerusalem, war ja ein Corpus separatum im Jahre 1947. Auch der Anspruch Israels seit 1949, das West-Jerusalem seine Hauptstadt ist, wurde ja nicht anerkannt. Insofern ist es ungeklärt, was damit gemeint ist.
Schulz: Das heißt, Ihnen ist das alles noch viel zu offen?
Diner: Einerseits ist es offen, von der Stimmung gegenwärtig scheint es sich zu verschließen, aber ich bin da nicht ganz sicher mit dieser Einschätzung. Mein Eindruck ist der – und es gibt Optimistische und Pessimistische, ich gehöre zu den Pessimisten –, die Optimisten würden sagen, ja, es ist möglich, dass Trump Netanjahu jetzt sozusagen einen Anreiz geboten hat, um dann später, das kann in einem Monat sein, das kann in zwei Monaten sein, das waren die Erwartungen noch vor zehn Tagen, mit einem sogenannten Deal an Israel heranzutreten, wie dieser Konflikt gelöst werden soll. Denn vor zehn Tagen hat noch sein Schwiegersohn Kushner in einer öffentlichen Veranstaltung in New York erklärt, wie dieser Konflikt gelöst werden soll, und das entsprach ganz und gar nicht der Jerusalem-Entscheidung seines Schwiegervaters. Also das heißt, die Kommentatoren sind sich uneinig, inwieweit diese jetzt öffentlich wirksame Entscheidung in der Tat den Konflikt verschließt oder ob sie letztendlich so etwas ist wie ein Amboss, auf dem dann ein Hammer niedergehen wird. Das ist ungeklärt, und ich vermag auch hier keine Position zu beziehen in diesem Zusammenhang.
Schulz: Das ist schade, wollte ich Sie nämlich gerade fragen. Also dass es jetzt dieses Argument gibt, jetzt hat Israel sozusagen erst mal was bekommen und jetzt muss es auch in Verhandlungen kompromissbereiter sein, das halten Sie zumindest für tragfähig?
Diner: Die Verhandlungen meinen Sie?
Strategie oder aus dem Bauch heraus?
Schulz: Dieses Argument, dass eben Israel erst mal Rückenwind hat und deswegen auch entgegenkommen müsste.
Diner: Es ist ungeklärt, es ist in der Tat ungeklärt. Wir haben es ja mit einem amerikanischen Präsidenten zu tun, der ja völlig irrlichtert. Es ist völlig unklar, ist das jetzt ein Teil einer Strategie oder ist das jetzt sozusagen eine Handlung aus dem Bauch heraus. Einerseits würde ich sagen, wer sich die Bilder, die Choreografie dieser Unterzeichnung im Weißen Haus angeschaut hat, wird festgestellt haben, dass weit mehr als der Präsident, der natürlich im Zentrum des Bildes steht oder sitzt, sich sein Stellvertreter, der Vizepräsident Pence mit in den Vordergrund rückte. Und Pence ist eigentlich der Vertreter der amerikanischen Evangelikalen, das heißt, es hat auch eine starke innenpolitische Auswirkung, das, was Trump jetzt getan hat. Das heißt, es sind mehrere Schichten, die sich ineinander verschieben, und ich würde sagen, optimistischerweise halte ich nicht für das Ende einer möglichen, ja, wie soll ich sagen, eines möglichen Prozesses, der die Parteien doch an den Verhandlungstisch zwingt. Aus der historischen Perspektive heraus ist das natürlich eine Verschärfung, gar keine Frage.
Schulz: Und was heißt diese Entwicklung, was heißt dieser Schritt von Donald Trump jetzt für die Vermittlerrolle der USA, sind die diskreditiert als Moderatoren?
Diner: Ja, es heißt, die Vereinigten Staaten sind diskreditiert, aber das höre ich jetzt schon seit einigen Jahrzehnten, dass die Vereinigten Staaten diskreditiert sind. Das sind sie ja auch, aber andererseits lehnen sich wiederum alle an die Vereinigten Staaten an, wenn es darauf ankommt, in diesem Konflikt in irgendeiner Weise irgendetwas zu tun beziehungsweise zu vermitteln. Das heißt, vieles mag Rhetorik sein, wie gesagt, in zehn, 14 Tagen werden wir klarer sehen.
Schulz: Der Historiker Dan Diner von der hebräischen Universität in Jerusalem, heute Mittag hier bei uns im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen!
Diner: Danke schön!
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