Henning Hübert: Reden wir über die politische Rede. Vor allem über den Stil im US-Wahlkampf. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump sprach gestern in Phoenix, Arizona. Diese Wahlkampfrede ist für seine Gegenkandidatin Hillary Clinton seine bislang dunkelste Rede, die Hass befördere und Einwanderer verteufele. In der Tat hat Trump Mexikaner düpiert, eine Mauer und Deportationen illegaler Einwanderer angekündigt. Und zu Syrern und Libyern sagte Donald Trump das:
O-Ton Donald Trump: "Länder, aus denen niemand mehr einreisen dürfte, sind unter anderem Syrien und Libyen. Wir werden nicht mehr die Zehntausenden reinlassen, die aus Syrien kommen, von denen wir nicht wissen, wer sie sind, woher sie kommen, die ohne Papiere und Dokumentationen kommen. Das wird furchtbar enden, furchtbar."
Hübert: Mit solchen Zitaten punktet Trump nach wie vor. - Jochen Hörisch (*) ist Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim. Die Frage an ihn: Wie charakterisieren Sie Trumps Rhetorik?
"Eine enthemmte Rhetorik, umso überraschender im negativen Sinne"
Jochen Hörisch: Es ist eine entbundene, eine enthemmte Rhetorik, die natürlich umso überraschender im negativen Sinne ist, umso schockierender ist, als ja gerade die amerikanische Politrhetorik außerordentlich höflich ist, wie ja auch die amerikanische Umgangsrhetorik, "you are welcome", "how are you", "very fine" und dergleichen mehr, einen hohen Ritualisierungsgrat in Richtung Nachbarschaftlichkeit, Freundlichkeit, Zugewandtheit hat. Ich weiß gar nicht, ob es ein Verhörer war oder nicht. Ich habe gerade verstanden, "will end deadly", und dann habe ich beim zweiten Mal gehört, "badly". Also zumindest die Assoziation, wenn ihr kommt, das wird tödlich enden, das wird übel enden, das ist ganz, ganz ungewöhnlich gerade auf dem Hintergrund einer Rhetorik, die geschult ist an so wunderbaren Reden wie denen von Abraham Lincoln.
Hübert: Wie ist da dieses passiert, dass da so eine Art Schalter umgelegt wurde in diesem Wahlkampf? Wie besteht überhaupt diese Möglichkeit, mit dieser Sprache monatelang Amerikaner anzusprechen, zu mobilisieren?
Hörisch: Sie sprechen indirekt einen sehr, sehr heiklen Punkt an. Wir haben ja in der Tat die Tradition der Political Correctness. Die ist wunderbar, weil sie Verletzungen vermeidet und Leute, die Schwarze etwa in Amerika mit N-Wörtern diskriminiert und diffamiert worden sind, endlich aufatmen können. Ich bin also gar kein Gegner der Political Correctness. Aber wie alles im Leben hat es zwei Seiten. Wir haben ja die Absurdität, übrigens auch in Deutschland, dass sozusagen eine Gouvernantensprache sich durchsetzt: Pfui, pfui, pfui, Junge, das darfst Du nicht sagen, sagte früher die Gouvernante, sagen heute dann eben die politisch allzu Korrekten. Und dann gibt es diesen Impuls auf eine ordinäre, vulgäre Art und Weise, wie Trump sie inkarniert, dagegenzuhalten. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Sprachregelungen ja in der Regel ein Instrument waren von autoritären Regierungen. Man durfte eben nicht die Mauer sagen, sondern es hieß antifaschistischer Schutzwall. Oder auch Goebbels hat Sprachregelungen vorgegeben. Und das macht sich Trump zu Nutze. Ich denke, man muss auch, wenn man den gespenstischen Erfolg von Trump im Auge hat, bedenken, auf welchem Hintergrund er das sagt. Einmal - ich wiederhole mich - der Hintergrund der großartigen öffentlichen Lincoln-Tradition-Rhetorik in den USA und der Freundlichkeits-Rhetorik und auf der anderen Seite diese Political Correctness, die geradezu automatisch Gegenreflexe freisetzt, und viele jubeln Trump zu. Wir bedauern das zurecht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es so ist.
Hübert: Nehmen wir seine Wortwahl als Beispiel. Da wird verletzt, da wird vulgär geredet, etwas rausgehauen. Danach folgt vielleicht im besten Fall eine Bitte um Entschuldigung. Es ist aber nun mal in der Welt, ausgesprochen. Verändert für Sie jetzt Sprache doch die Welt?
"Politik auf dem Niveau machen, auf dem sie sprechen"
Hörisch: Sprache verändert die Welt. Ab und an freuen wir uns ja, um ein deutsches Beispiel zu nehmen, wenn einer eine gezielte Verletzung macht. Denken wir etwa an Teufel, den Kommunarden und 68er, der nicht aufstehen wollte vor Gericht und dann das doch tun musste, weil der Richter das sagte. Und dann sagte er: Okay, dann mach ich das, wenn es der Wahrheitsfindung dient. Das ist stilistisch sehr, sehr fein. Wenn diese stilistischen Feinheiten noch in der Regel durch Brechung nicht mehr gegeben sind, dann sind wir wirklich im Zustand allerhöchster rhetorischer und indirekt auch politischer Not. Stil, korrekter Stil, Feinheit, Ironie, elegantes Sprechen sind ja so eine Art Vorwarnsystem, und umgekehrt ist beim Vorwarnsystem es so, dass alle Glocken angehen sollten, wenn jemand in der Tat so enthemmt, so brutal, so mörderisch, so bedrohlich spricht, wie Trump das tut. Dann werden diese Vorwarnqualitäten eines Stilniveaus nicht mehr eingehalten, nicht mehr ignoriert, und das heißt wirklich, dass die Situation eskaliert. Man fängt mit üblen Reden an und alle sagen, das hat er doch gar nicht so gemeint, und muss nachher erschüttert feststellen, dass viele doch wirklich das auch meinen, was sie sagen, und Politik auf dem Niveau machen, auf dem sie sprechen.
Hübert: Dieser Rassismus in den Menschen drin, äußert der sich so durch ihn, der ihn anspricht, ausspricht; der Stil der politischen Rede ist so direkt, schockierend für uns heutzutage. Aber anders herum, nehmen wir mal vor zehn Jahren im Fußballstadion: Da wurde vielleicht noch mehr Rassismus gehegt, gepflegt: Affenlaute zum Beispiel als Beispiel. Das ist doch auf dem Rückmarsch andererseits?
"Er will will von Hassgefühlen profitieren"
Hörisch: Das ist Gott sei Dank auf dem Rückmarsch. Und ich muss Ihnen leider einmal widersprechen: Der Rassismus in uns drinnen, in Ihnen drinnen wird ja implementiert, wird ja projiziert, wird ja produziert durch Sprache. Es ist ja nicht so, dass wir biologisch mit Rassismus ausgestattet sind, sondern er ist ein kultureller Effekt, und der ist hochgradig über Sprache vermittelt. Man kann den, um in einen wissenschaftlichen Slang zu verfallen, induzieren, und genau das macht Trump. Er schafft den Rassismus rhetorisch und will davon, von dem, was er schafft an Hassgefühlen, an Abschottungsgefühlen, an Eskalationsbedürfnissen profitieren. Ich kann nur hoffen, dass er damit, wenn ich mich meinerseits ordinär ausdrücken darf, auf die Schnauze fällt.
Hübert: Das ist die Einschätzung des Mannheimer Sprachwissenschaftlers Jochen Hörisch zu Donald Trumps Rede.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
(*) In einer ursprünglichen wurde Herr Hörisch als Sprachwissenschaftler bezeichnet.