Sandra Schulz: Jetzt ist klar: Dieses Problem wird US-Präsident Barack Obama doch weitergeben an seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin. Rund 10.000 US-Soldaten sind derzeit noch in Afghanistan und deren Rückzug - geplant war der eigentlich noch für seine Amtszeit -, den hat Barack Obama jetzt deutlich verlangsamt. Ganz offenbar waren es ja die Entwicklungen von Anfang Oktober in Kundus, auf die Barack Obama jetzt reagiert. Darum habe ich vor der Sendung den früheren Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat gefragt, ob Obama jetzt die richtigen Konsequenzen aus dem Fall Kundus gezogen hat.
Harald Kujat: Ich halte das für völlig richtig. Ich glaube, es war von Anfang an falsch, abrupt umzuschalten von einem Kampfeinsatz auf einen Ausbildungseinsatz. Die afghanischen Streitkräfte brauchen nach wie vor zumindest punktuell Unterstützung, immer dann, wenn sie sich in großen Schwierigkeiten befinden. Das heißt, die Entscheidung war völlig richtig. Es ist eine Korrektur der ursprünglichen Entscheidung.
"Der militärische Einsatz reicht nicht aus"
Schulz: Aber es geht ja, wenn ich es richtig verstanden habe, darum, die jetzt noch laufende Mission zu verlängern. Das ist ja jetzt schon schwerpunktmäßig eine Ausbildungs- und Beratungsmission. Sie haben - Sie haben es jetzt auch gerade wieder getan - durchaus auch wieder einen Kampfeinsatz gefordert. Geht Ihnen das denn jetzt weit genug?
Kujat: Ja! Ich denke, das ist richtig. Es geht mir nicht darum, dass wir den Kampfeinsatz, so wie wir ihn jahrelang dort durchgeführt haben mit einer großen Zahl von Soldaten und vielen Staaten, die daran teilnehmen, fortsetzen, sondern es geht mir um einen Übergang, und zwar um einen Übergang, der sicherstellt, dass die afghanischen Streitkräfte für einige Zeit noch, immer dann, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, auf Unterstützung hoffen können vonseiten der Vereinigten Staaten, vonseiten der NATO. Das ist eine andere Art des Einsatzes, als wir ihn bisher durchgeführt haben.
Schulz: Eine Perspektive überhaupt für den gesamten Truppenabzug, die ist jetzt erst mal vom Tisch?
Kujat: Die ist vom Tisch. Es wird deutlich mit dieser Entscheidung, dass man sich tatsächlich nicht an einen starren Zeitplan halten kann, sondern dass man flexibel reagieren muss, und zwar in Abhängigkeit von den Fortschritten, die die afghanischen Streitkräfte machen, in Abhängigkeit auch davon, wie die Taliban zurückgedrängt werden können, dass man in Abhängigkeit von dieser Entwicklung dann auch den Einsatz umstellt, stärker dann wieder auf die Ausbildung sich konzentriert und auch die Zahl der eingesetzten Truppen reduziert. Ich möchte noch eines betonen. Allein dieser militärische Einsatz, auch in dieser Kombination, reicht eben nicht aus. Wir müssen auch versuchen, eine Lösung zu finden, die das politische System, die wirtschaftliche Lage, aber auch die Zukunftsperspektive für die Menschen in diesem Land verbessert. Nur dann wird es uns auch gelingen, sie weiter als Unterstützer für die eigenen Sicherheitskräfte zu erhalten und zu verhindern, dass sie überlaufen zu den Taliban, oder dass sie sich auf den Weg nach Europa machen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Die eigentlichen Probleme liegen im politischen, im wirtschaftlichen, im sozialen Bereich, und das müssen wir mit diesen militärischen Maßnahmen kombinieren. Das ist unbedingt notwendig.
Verstärkter Bundeswehr-Einsatz nicht auszuschließen
Schulz: Und die Aufgaben, die liegen jetzt ja seit vielen, vielen Jahren schon auf dem Tisch, ohne dass sich eine Lösung abzeichnen würde. Was soll sich daran denn jetzt ändern?
Kujat: Na ja, es hat eben nicht gereicht. Wir haben auch am Anfang große Fehler gemacht. Die Voraussetzungen sind in letzter Zeit etwas besser geworden mit dem Regierungswechsel. Viele Probleme waren ja auch entstanden, weil es große Schwierigkeiten der Abstimmung mit dem Karzai-Regime gab. Es sind bessere Voraussetzungen inzwischen da, aber wir müssen diese Maßnahmen verstärken.
Das andere ist natürlich: Eigentlich ist Afghanistan ja nicht nur ein afghanisches Problem, sondern es ist ein regionales Problem. Das sehen Sie auch daran, dass für die Taliban ganz wichtig ist der Rückzugsraum in Pakistan, wo sie ihre Kräfte regenerieren können, wo sie Verwundete pflegen können und wo sie ausbilden können. Es muss uns auch gelingen, hier Verbesserungen herbeizuführen. Wir brauchen auch die Unterstützung der regionalen Mächte. Wir dürfen uns nicht nur auf Afghanistan konzentrieren, sondern wir müssen auch regional eine politische Unterstützung finden.
Das andere ist natürlich: Eigentlich ist Afghanistan ja nicht nur ein afghanisches Problem, sondern es ist ein regionales Problem. Das sehen Sie auch daran, dass für die Taliban ganz wichtig ist der Rückzugsraum in Pakistan, wo sie ihre Kräfte regenerieren können, wo sie Verwundete pflegen können und wo sie ausbilden können. Es muss uns auch gelingen, hier Verbesserungen herbeizuführen. Wir brauchen auch die Unterstützung der regionalen Mächte. Wir dürfen uns nicht nur auf Afghanistan konzentrieren, sondern wir müssen auch regional eine politische Unterstützung finden.
Schulz: Und es sind ja auch mehrere hundert Bundeswehrsoldaten nach wie vor in Afghanistan. Was heißt die Entscheidung aus Washington jetzt für das deutsche Mandat?
Kujat: Nun, die Bundeswehr ist ja da ausschließlich, um Ausbildung zu betreiben. Man muss jetzt sehen, wie die Lage sich weiter entwickelt, ob die amerikanischen Kräfte, so wie sie im Augenblick geplant sind - weiter 10.000 Mann zumindest für 2016 - aber auch darüber hinaus eine erhebliche Stärke soll ja im Lande verbleiben, man muss jetzt sehen, wie sich das auf die Lage selbst auswirkt, ob damit tatsächlich zumindest auf längere Sicht eine Verbesserung der Situation eintritt oder nicht. Aber es ist nach wie vor eine NATO-Mission und ich will nicht ausschließen, dass auch die Verbündeten der Vereinigten Staaten gefragt werden, ob sie nicht mehr leisten können in diesem so wichtigen Einsatz für uns alle.
Schulz: Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.