Stefan Heinlein: Vor gut einer Stunde ist eine Handvoll Mitglieder des Verteidigungsausschusses auf dem türkischen NATO-Stützpunkt in Konya gelandet. Bereits heute am frühen Nachmittag geht es dann bereits wieder zurück in Richtung Heimat. Ein Blitzbesuch also, und dennoch ist die Visite der Parlamentarier bei den deutschen Soldaten ein Politikum. Er wurde zum Symbol des angespannten Verhältnisses zwischen Berlin und Ankara. Erst unter Vermittlung der NATO wurde der Besuch schließlich möglich.
Mitgehört in Berlin hat die grüne Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. Guten Tag, Frau Brugger.
Agnieszka Brugger: Guten Tag.
"Ein unfassbarer Vorgang"
Heinlein: Frau Brugger, drei Stunden sind Ihre Parlamentskollegen nur vor Ort. Wir haben es gehört. Macht das überhaupt Sinn? Lohnt sich dafür überhaupt der ganze Ärger im Vorfeld?
Brugger: Für Abgeordnete ist es grundsätzlich sehr wichtig, auch immer wieder vor Ort in den Einsatzgebieten der Bundeswehr zu sein, um sich ein Bild zu machen über die Strategien solcher Einsätze, aber natürlich auch über die Situation der Soldatinnen und Soldaten. Natürlich ist aber auch dieser Besuch in Konya mit einer etwas größeren Perspektive zu sehen, denn die türkische Regierung hat ja versucht, das ähnlich wie früher in den Fällen von Incirlik zu unterbinden, und für mich ist das gewählte Hilfskonstrukt über die NATO ganz sicher keine wirkliche Lösung, sondern es muss endlich Schluss damit sein, dass bei jedem Reisegesuch Präsident Erdogan sein nächstes neues Erpressungsmanöver startet.
Heinlein: Welchen Unterschied, welchen faktischen Unterschied macht es denn, ob man in Konya in Eigenregie vor Ort ist, oder als Teil einer NATO-Delegation? Den Soldaten könnte das doch egal sein.
Brugger: Es ist natürlich ein unfassbarer Vorgang, wenn ein NATO-Mitgliedsstaat versucht, einem anderen NATO-Mitgliedsstaat den Besuch bei den eigenen Soldaten, die dort innerhalb einer gemeinsamen Fähigkeit stationiert sind, zu verwehren, und das dann auch noch mit einer klaren innenpolitischen Frage vermischt, nämlich der Frage, ob hier türkische Soldaten Asylanträge stellen dürfen, und fordert, dass die deutsche Bundesregierung hier sich in Justizverfahren einmischt. Das zeigt ein ganz problematisches Rechtsstaatlichkeitsverständnis von Präsident Erdogan und da muss die deutsche Bundesregierung eine ganz klare Haltung einnehmen.
"Das muss selbstverständlich sein, sonst folgen Konsequenzen"
Heinlein: Ich sehe und höre Sie, Frau Brugger, mit Ihren Aussagen auf einer Linie mit der Linkspartei, die gesagt hat, dieser Besuch in Konya erfolge mit gesenktem Haupt, weil man vor der Türkei kusche. Sind Sie tatsächlich mit der Linkspartei einig in der Interpretation dieses Besuches unter NATO-Regie?
Brugger: Nein, ich bin mir da eigentlich nicht so sehr mit der Linkspartei einig. Ich habe auch begrüßt, dass der Besuch stattfindet. Ich habe selber auch gefordert, dass die NATO sich in diesen Streit einschaltet, dass sie da mit einer geschlossenen Haltung auftritt und auch der türkischen Regierung ganz klar die Meinung sagt. Das ist relativ spät geschehen und es ist gut, dass deutlich geworden ist der gemeinsame Druck aus der NATO. Der zeigt Wirkung, der Besuch kann stattfinden, Präsident Erdogan kann sich nicht alles erlauben. Aber es darf natürlich für die Zukunft nicht so sein, dass jetzt bei jedem Besuch da gebettelt, verhandelt, diskutiert werden muss, sondern es muss klar sein, das muss selbstverständlich sein, sonst folgen weitere Konsequenzen.
Heinlein: Ich habe den Unterschied Ihrer Position zur Linkspartei nicht verstanden, Frau Brugger.
Brugger: Die Linkspartei hat ja dann auch sehr schnell den Abzug aus Konya gefordert. Ich glaube, mit so einer Forderung spielt man eigentlich nur Präsident Erdogan in die Hände, weil er dann das zu einem Streit macht zwischen Deutschland und der Türkei. Mein Punkt ist, dass die NATO hier eine klare Haltung einnehmen muss. Das hat sie auch dann getan. Sie hat Druck ausgeübt, die Reise hat stattgefunden, und es ist gut, dass die Reise heute stattfinden kann. Aber es muss natürlich darum gehen, dass es eine dauerhafte Verhaltensänderung gibt, und da kann es für die Zukunft nicht so sein, dass bei jedem Besuch das nächste Erpressungsmanöver losgeht, sondern irgendwann wird man dann auch weitere Konsequenzen in den Blick ziehen müssen. Das wird man eh müssen, angesichts der Verhältnisse und der Entwicklungen, der innenpolitischen in der Türkei, aus meiner Sicht.
"Ich fand das Manöver von Schulz und Merkel alles andere als klug"
Heinlein: Welche Konsequenzen könnten das denn sein?
Brugger: Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum die schwarz-rote Bundesregierung nicht schon längst die Rüstungsexporte in die Türkei gestoppt hat. Ich kann nicht verstehen, warum man einfach zuschaut, wie ein deutsches Unternehmen, Rheinmetall, eine Panzerfabrik in der Türkei aufbaut und die Bundesregierung sich einfach wegduckt und nichts dazu sagt. Warum man die Frage der Hermes-Bürgschaften, der Reisewarnungen, der Zollunion immer wieder nur prüft, sondern nicht hier Maßnahmen ergreift, um ein ganz klares Zeichen zu setzen, um den Kuschelkurs zu beenden und um da auch eine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.
Heinlein: Kann man mit der Türkei weiter über einen EU-Beitritt verhandeln?
Brugger: Ich fand das Manöver von Martin Schulz und Angela Merkel im Duell alles andere als klug. Es muss auch hier klar sein: Es braucht eine gemeinsame klare Haltung der Europäischen Union gegenüber Erdogan für Menschenrechte, für Rechtsstaatlichkeit. Und es war doch klar, dass es hier noch keine Einigkeit unter den EU-Partnern gibt. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum die Bundesregierung nicht bei den Maßnahmen einsetzt, die sie schnell in die Hand nehmen kann, wo sie wirklich Glaubwürdigkeit, ein Rückgrat zeigen kann und zum Beispiel sagt, Schluss mit den Rüstungsexporten in die Türkei, dieses Panzergeschäft wird nicht stattfinden, und auch die Hermes-Bürgschaften können ausgesetzt oder eingeschränkt werden.
Heinlein: Aber, Frau Brugger, der Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen, das wäre doch ein stärkeres Signal als irgendwelche Hermes-Bürgschaften.
Brugger: Ja! Aber allein formal muss man sich hier natürlich mit den EU-Partnern einigen. Man muss hier Diskussionen führen. Und wie auch Ihr Korrespondent das gerade gesagt hat: Im Endeffekt hat diese Debatte, so wie sie stattgefunden hat, so chaotisch, ja wieder nur Präsident Erdogan in die Hände gespielt. Er sieht, die Europäische Union ist hier nicht einig, die deutsche Bundesregierung hat sich hier ein Stück weit blamiert.
Natürlich muss man auch sehen, dass viele Menschen in der Türkei, die noch auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hoffen, die gegen das Referendum gespielt haben, diese EU-Perspektive als große Hoffnung ansehen. Deshalb glaube ich, dass die anderen Maßnahmen nicht nur schnell durchzusetzen wären, sondern ein klares Zeichen setzen. Und so wie das jetzt erfolgt ist, haben Angela Merkel und Martin Schulz Präsident Erdogan in die Hände gespielt und gerade denen geschadet, die wir dort eigentlich unterstützen müssen.
Die EU braucht eine gemeinsame Haltung
Heinlein: Frau Brugger, Sie fordern das Ende oder zumindest das Nachdenken über Rüstungsgeschäfte mit der Türkei. Wäre es vielleicht vor diesem Hintergrund, vor dem Hintergrund Ihrer Forderungen auch Zeit, nachzudenken über die NATO-Mitgliedschaft der Türkei?
Brugger: Gerade der Fall Konya zeigt ja, dass es Sinn und Zweck hat, eine gemeinsame Haltung in der NATO herzustellen, hier einen klaren Kurs gegenüber Präsident Erdogan zu fahren. Er ist es ja, der die gemeinsame Zusammenarbeit immer wieder aufgekündigt hat, auch zum Beispiel mit Blick auf Österreich da immer wieder zündelt, und da hat die NATO sich sehr, sehr spät in die Diskussion eingeschaltet. Da muss es Gespräche mit der Türkei geben. Da muss auch eine klare Ansage erfolgen, das lassen wir in Zukunft so nicht weiter mit uns machen. Das wäre sicherlich der erste Schritt, bevor man dann über diese ganz große Forderung diskutiert, und das muss jetzt auch passieren.
Heinlein: Aber das ist doch nicht konsequent, wenn man sagt, die Türkei muss NATO-Mitglied bleiben, aber sie bekommen keine Waffen mehr von uns.
Brugger: Sie sehen ja an der aktuellen Diskussion über den EU-Beitritt, dass sich die europäischen Staaten hier auch in dieser Frage noch nicht einig sind. Und ich glaube, da wäre es der erste und wichtige und notwendige Schritt, dass man in der NATO da auch stärker Gespräche führt, mehr Druck aufbaut, dass man das gemeinsam tut mit einer gemeinsamen Haltung. Und die plakativste Forderung ist nicht unbedingt das, was Präsident Erdogan weh tut, vor allem, wenn dann andere Staaten sagen, wir sind eigentlich von dieser Forderung nicht überzeugt. Die Bundesregierung sollte endlich das tun, was sie selber in der Hand hat, und die Rüstungsexporte, die Hermes-Bürgschaften, die Zollunion, das ist das, was Präsident Erdogan wirklich weh tut. Dazu will ich auch schon mal eine Erklärung von Martin Schulz und Angela Merkel hören, warum sie sich hier wegducken und das nicht in die Hand nehmen.
Heinlein: Heute Mittag im Deutschlandfunk die grüne Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. Frau Brugger, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit.
Brugger: Ich danke! Sehr gerne.
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