Ein paar Tage schon lagen die ersten Massendemonstrationen zurück, da saß Premierminister Andrej Babiš, dessen Rücktritt viele Tschechen gerade auf der Straße gefordert hatten, demonstrativ ungerührt in einem Fernsehinterview. Ob er nervös sei, fragte der Interviewer, und Andrej Babiš antwortete nur, dass in einer Demokratie schließlich jeder demonstrieren dürfe und schoss einen Pfeil gegen die Medien ab:
"Bei jedem Minister, der ins Amt kommt, tun die Medien alles, um ihm das Leben schwer zu machen."
Der politische Konflikt als bloße Kampagne, herbeigeschrieben von den Journalisten - das ist das klassische Erklärungsmuster von Andrej Babiš, erprobt während zahlreicher Skandale. Aber diesmal wirkt es auf viele Tschechen alles andere als beruhigend.
"Es ist uns nicht egal"
Es ist uns nicht egal, skandieren die Demonstranten in Prag. 20.000 sind nach Schätzung der Organisatoren zusammengekommen, der Altstädter Ring mitten in der Stadt ist gedrängt voll. Vor einer Woche kamen sie bereits zum zweiten Mal zusammen, heute soll es eine weitere Großdemonstration geben. Auch in den anderen großen tschechischen Städten beteiligten sich zuletzt viele Tausend Demonstranten. Die Proteste gegen die Regierung zählen in Tschechien zu den größten Demonstrationen seit dem Ende des Kommunismus. Einer der Redner auf dem Podium brachte auf den Punkt, was viele hier befürchten:
"Angriffe auf Richter von Seiten der politischen Macht untergraben die Unabhängigkeit der Justiz und die Bewahrung der Menschenrechte."
Hintergrund ist eine Personalrochade: Der tschechische Premierminister Andrej Babiš hat eine neue Justizministerin ernannt - und das in einer Zeit, wo er selbst im Visier der Ermittler steht. Andrej Babiš ist der zweitreichste Tscheche; gegen ihn wird ermittelt wegen des Verdachts von Subventionsbetrug. Der Fall trug sich zu, bevor er Politiker geworden ist. Aber dass er ausgerechnet jetzt, wo in Tschechen jeden Tag mit einer Anklage-Erhebung gerechnet wird, eine neue Justizministerin ernennt - das hat für viele Tschechen einen unguten Beigeschmack. Die 71-jährige Marie Benešová war bereits in der Vergangenheit für kurze Zeit Justizministerin, außerdem Oberstaatsanwältin. Mit Blick darauf verteidigt Premier Andrej Babiš seine Personalentscheidung:
"Frau Benešová war eine große Kämpferin gegen die Korruption und ist es immer noch. Sie ist die größte Expertin im Bereich Justiz, eine anständige Frau."
Schafft die Ministerin entscheidende Oberstaatsanwaltschaften ab?
Besonders pikant ist der Fall jedoch, weil die neue Ministerin gleich am zweiten Tag im Amt über eine Justizreform gesprochen hat – eine Reform, die das tschechische Gerichtswesen vereinfachen soll. Unter anderem sollen zwei Oberstaatsanwaltschaften abgeschafft werden - und zwar ausgerechnet die, bei denen die Ermittlungen gegen Andrej Babiš angesiedelt sind. Solche Überlegungen zu einer Justizreform gebe es zwar schon lange, räumte der Oppositionsführer Petr Fiala im tschechischen Fernsehen ein, aber, so meint er:
"Wir haben einen Premierminister, gegen den ermittelt wird und dem eine Anklage droht. Damit hängt in den Augen der Menschen der Austausch im Justizministerium zusammen. Da können Sie nicht ernsthaft erwarten, dass wir über eine Justizreform sprechen. Darüber könnten wir in einer ganz anderen Situation sprechen, aber nicht, wenn wir einen Premierminister haben, dem eine Anklage droht. Das ist eine ernsthafte Belastung für das ganze politische System."
Premierminister Andrej Babiš spielt jetzt auf Zeit und hofft, dass sie die Wogen glättet. Im Fernsehen legt er der neuen Justizministerin nah, vorerst keine öffentlichen Aussagen zu machen:
"Ich habe Frau Benešová empfohlen, dass sie sich erstmal gar nicht äußert. Es reicht, wenn sie im Büro sitzt, sich mit dem Ministerium und den Vorgängen vertraut macht und dann, nach den ersten hundert Tagen, sollen die Journalisten ruhig kommen."
Bis dahin, so hoffen die Kritiker von Andrej Babiš, ist die Anklage gegen den Premierminister aber schon offiziell erhoben.