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Tschechien
Gewachsene Kulturlandschaft – Besuch im südlichen Mähren

Schlösser, Wein, Kunstschätze und Natur – all das kann man in Mähren finden. Ein ganzer Landstrich hat den UNESCO-Titel erhalten, märchenhafte, oft unversehrte Schlösser konkurrieren ebenfalls um die Auszeichnung. Ohne Touristentrubel kann man in Städtchen wie Lednice oder Mikulov flanieren. Der Wein hat seit den Römern Tradition und hat offenbar seinen Anteil an der gelassenen Lebensweise.

Von Iris Riedel |
    Das neugotische Schloss in Lednice, Mähren.
    Das neugotische Schloss in Lednice, Mähren. (picture alliance / dpa / Karl Thomas)
    So wie Prag die unbestrittene Hauptstadt des Landes ist, so ist die zweitgrößte Stadt, Brünn, zumindest die unangefochtene Metropole Mährens. Brünn selbst ist kein Schmuckstück, das Umland von Brünn dagegen ein ganzes Schatzkästchen. Allein über 100 Schlösser verteilen sich über die malerische Landschaft von Südmähren. Eines davon befindet sich in Kroměříž. Dafür, dass das beschauliche Städtchen mit einem UNESCO-Titel aufwarten kann, ist hier angenehm wenig los. Herrlich kann man in den Laubengängen am Markt in einem der Cafés verweilen und über den großen Platz mit seinen hübschen Renaissancefassaden schauen. Mit einer Ecke grenzt der Markt an das Schloss von Kroměříž. Bis heute dient es als Sommerresidenz der Erzbischöfe von Olomouc. Im Schloss treffe ich Anna Hošková: "Zuerst stand hier eine gotische Burg, die dann im 16. Jahrhundert durch ein Schloss ersetzt wurde. Es war einer der ersten Renaissancebauten in Mähren."
    Im Dreißigjährigen Krieg wurden Stadt und Schloss von den schwedischen Truppen in Schutt und Asche gelegt. Danach begann die strahlende Ära des Bischofs Karl Liechtenstein-Kastellkorn. Er ließ das Schloss im Stil des Manierismus wieder aufbauen. "Dieser Stil steht am Übergang von der Renaissance zum Barock. Bischof Liechtenstein-Kastellkorn ließ auch den unteren Schlossgarten und den Blumengarten anlegen und gründete die Schlossgalerie, die Münzschmiede und eine Brauerei."
    Der vierflügelige, in Zartgelb und Weiß gestrichene, aber recht schlichte Bau beherbergt eine prunkvolle Ausstattung. Mit Schlossführerin Anna Hošková wandeln wir von Saal zu Saal, jeder neue will den vorausgegangen in Schönheit und Pracht übertrumpfen. Höhepunkte sind der Thronsaal und das Speisezimmer. Je 100 Gemälde vor allem flämischer Künstler sind dort in die Wandvertäfelung eingelassen. Staunen lassen auch die Intarsienarbeiten der Konsoltische unter den hohen Wandspiegeln. Die Blumen aus Halbedelsteinen sind so fein gearbeitet, dass man sogar Schattierungen auf den Blütenblättern erkennen kann. Den krönenden Abschluss der Repräsentationsräume bildet der Reichstagssaal.
    Der Reichtstag traf im Schloss Kroměříž zusammen
    "Reichstagssaal deshalb, weil hier in den Jahren 1848 und 1849 der Reichstag tagte. Hier trafen sich Vertreter aller Länder, die unter österreichisch-ungarischer Krone standen. Nach fünf Monaten wurde der Reichstag durch den neuen, 18-jährigen Kaiser Franz Joseph I. wieder aufgelöst. Dann dauerte es bis 1918, bis es wieder ein tschechisches Parlament gab, denn der Kaiser war lange 68 Jahre an der Macht."
    Der 400 Quadratmeter große Saal, der sich über zwei Etagen erstreckt, ist der zweitgrößte Rokoko-Saal Tschechiens. 22 Kronleuchter schmücken die goldverzierten, weißen Wände, an der Decke prangen drei kolossale Ölgemälde. Der Saal diente als Kulisse für Miloš Formans Film "Amadeus".
    Ein Stockwerk höher befindet sich die Schlossgalerie. 228 Gemälde kaufte einst Bischof Liechtenstein-Kastellkorn von den Neffen des Kunstsammlers Eberhard Jabach, dessen Sammlung zum Grundstock des Louvres gehört. Über die Jahrhunderte kontinuierlich ergänzt gilt die Schlossgalerie in Kroměříž heute als zweitbedeutendste Gemäldegalerie des Landes. Kleinod der Sammlung ist "Die Schindung des Marsyas" von Tizian.
    "Das Gemälde hat Tizian mit etwa 90 Jahren gemalt. Es zählt zu den zehn wertvollsten von Tizian weltweit. Hier geht es um den Satyr Marsyas, der eine Zauberflöte fand und Apollon zum musikalischen Wettstreit aufforderte. Diesen verliert er und Apollon zieht ihm hier zur Strafe das Fell ab."
    Bücher, Blumen, Beethoven
    Das Schloss Kroměříž verfügt zudem über eine bedeutende historische Bibliothek mit 20.000 Bänden. Die Musikbibliothek kann sich mit Originalpartituren von Beethoven und Mozart brüsten. Trotz dieser vielen kleinen Attraktionen war das Schloss bei der Vergabe des UNESCO-Titels für Kroměříž nachrangig. Herausgestellt wurde vor allem die Bedeutung des Blumengartens, erzählt der ehemalige Kastellan von Schloss und Blumengarten, Jiří Čermák: "Das ist einer der wenigen frühbarocken Gärten, die im ursprünglichen Grundriss erhalten sind. Er wurde nicht wie vielerorts im Laufe der Jahrhunderte in eine modernere Gartenform umgewandelt, etwa in einen englischen Garten. Zwar bilden Schloss und Blumengarten eine Einheit, aber in der Bedeutung herausragend ist der Blumengarten, weil er eine Seltenheit darstellt."
    Es war wieder Bischof Liechtenstein-Kastellkorn, der den 14 Hektar großen Lustgarten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts anlegen ließ. Streng geometrische Formen bestimmen das Bild. Heute liegt der Eingang stadtseitig bei den großen Orangerien. Ursprünglich jedoch betrat man den Blumengarten durch eine fast 250 Meter lange und mit 44 Sandsteinfiguren ausstaffierte Kolonnade, flanierte durch den Ziergarten mit seinen geschwungenen in Buchsbaum gefassten Blumenbeeten zur Rotunde, wo acht Wege sternförmig zusammenführen.
    Der Wein hat eine lange Tradition
    Zurück am Schloss steigt Jiří Čermák mit mir hinab in den Schlosskeller. Es riecht nach Vergorenem. Frühere Besucher haben Münzen in den Edelschimmel an den Wänden gedrückt. Heller, die es schon lange nicht mehr gibt. In einem langen verzweigten Gewölbegang lagern riesige schwarze Fässer. Auf einem steht die Literzahl 19.820."Das ist Weinkeller, erzbischöfliche Weinkeller, beginnt diese Weinkeller von Jahr 1244. Und das ist spezial für Messwein." erläutert Čermák. Seit mehr als sieben Jahrhunderten reifen hier die einzigen Messweine Tschechiens, die nach vatikanischen Normen hergestellt werden.
    In Tschechien ist man sich einig darüber, dass in Südmähren die Uhren langsamer ticken. Die Menschen scheinen gelassener und das Leben weniger kompliziert. Nicht selten sucht man die Gründe dafür im Wein, der hier allerorts produziert wird. Rund um die Stadt Mikulov gibt es kein Fleckchen Erde, das nicht mit Weinreben bepflanzt ist. An den Straßen zwischen den Weindörfern sieht man die Eingänge zu den Kellern, in denen früher die Weinbauern ihre Holzfässer lagerten. Heute findet die Gärung in hygienisch reinen Metallbehältern statt, so auch bei Winzer Miroslav Volařík. "Typisch für die Region ist Kalkstein. Er gibt dem Wein eine gewisse Säure und seine Mineralität und Salinität."
    Die traditionellen südmährischen Sorten heißen Grüner Veltliner und Welschriesling. Die Weinherstellung hat in Südmähren eine lange Tradition. Seit fast 2000 Jahren wird hier Wein angebaut. "Der Weinbau hier geht zurück auf die römischen Legionen. Und die Römer brachten natürlich auch die Weinrebe mit. Dabei sprechen wir aber nicht nur von Südmähren, sondern von einem Territorium, das sich über Österreich, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien und Norditalien erstreckte, also über das spätere Habsburgerreich. Jahrhundertelang gab es da im Weinbau eine gemeinsame Entwicklung."
    Der Bruch kam mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Denn über 80 Prozent der Einwohner von Mikulov bzw. Nikolsburg waren Deutschmährer. Nach 1945 erfolgte die von den Alliierten geduldete Zwangsaussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei. Mit Ihnen verschwand weitgehend auch das Winzerhandwerk.
    "Meine Eltern kamen 1945 hierher. Sie lebten noch anderthalb bis zwei Jahre mit einer Familie Schultz. Von ihnen hat mein Vater gelernt, wie man Wein macht. Ab 1962 durfte jeder nur noch 10 Ar Weinberg und 10 Ar Boden besitzen, wo er in seiner Freizeit Wein anbauen durfte, aber hauptberuflich arbeitete man in der LPG."
    1989 wurde auf Masse produziert, nicht aber auf Qualität. Nach der samtenen Revolution mussten die hiesigen Winzer erst wieder lernen, wie man guten Wein herstellt. Heute sei der mährische Wein wieder so gut wie der der österreichischen Nachbarn, meint Winzer Volařík. "Aber wir sind nicht Nabel der Welt. In Tschechien haben wir 18 000 Hektar, in Österreich dagegen hat man 48 000 Hektar und in Deutschland um die 100.000 Hektar Anbaufläche. Wein ist einfach ein Teil unserer Kultur. Wir trinken Wein, wenn wir beisammen sind, dann wird gesungen, getanzt und gelacht."
    Und da die mährischen Winzer bei Weitem nicht den Bedarf im Inland decken können, bekommt man mährischen Wein auch nur in Tschechien. Den besten natürlich direkt am Ort. Geradezu Volkssport ist es, in der Zeit der Weinlese einen der urigen Weinkeller aufzusuchen und sich dort durch das Sortiment des Winzers zu kosten. Aber auch so ist Mikulov einen Besuch wert. Es sei "die Stadt, in der die Häuser singen", schrieb einst der Dichter Jan Skácel. Am Fuße eines Felsens gelegen, auf dem das mächtige Renaissanceschloss thront, lockt sie mit südlichem Flair und einer reichen, auch jüdischen Geschichte. Denn hier befand sich das Zentrum der mährischen Juden. Belegt ist, dass der sagenumwobene Rabbi Löw in Nikolsburg wirkte.
    Der Landstrich Lednice-Valtice ist ein UNESCO-Welterbe
    Etliche Weinkeller gibt es auch im nahegelegenen Lednice, denn ein bisschen Aufwärmen kann hier nicht schaden. Bis 1918 trug der Ort, der eng mit dem Fürstengeschlecht der Liechtensteiner verbunden ist, den deutschen Namen "Eisgrub". Sonnenschein ist für einen Besuch also Pflicht, aber nicht nur der Temperatur wegen. Die mit UNESCO-Titel geadelte Kulturlandschaft Lednice-Valtice lädt zu weitläufigen Spaziergängen ein. Lednice und Valtice, das sind zwei Märchenschlösser, zwischen denen ein ausgedehnter englischer Landschaftspark liegt, der mit allerlei historistischen architektonischen Spielereien bestückt ist. Hier eine künstlich geschaffene Grotte, dort eine Burgruine, eine Kolonnade, ein römisches Aquädukt. Dominante des Parks ist das orientalische Minarett. Lange Zeit galt es als das höchste Minarett in einem nichtmuslimischen Land, dabei wurde es nie für religiöse Zwecke genutzt. Verziert ist es mit allerlei Türmchen auf denen goldene Halbmonde in der Sonne funkeln.
    Die 302 Stufen bis zur obersten von drei Aussichtsplattformen lohnen sich. Von dort kann man den Blick schweifen lassen über das Schloss Lednice im Stil der englischen Tudorgotik, das Barockschloss Valtice und den 200 Hektar großen Park mit 600 Baumarten aus der ganzen Welt.
    Weiter geht es in einem flachen Kahn über den Schlosskanal. Während die Passagiere die Hälse recken, lehnt der Kapitän lässig über dem Steuerrad und gibt die eine oder andere Anekdote zum Besten. "Man sagt, Alois Josef I. von Liechtenstein wollte Lednice eine Kirche stiften. Dafür bekam er aber keine Baugenehmigung. Also sagte er, wenn sie keine Kirche haben wollen, dann bauen wir eben ein Minarett. Früher gab es hier im Park noch viel mehr solcher Bauwerke. Zum Beispiel ein flämisches Fischerhaus, ein ägyptisches Bad und eine Schweizer Almhütte, um die Schafe grasten, also aus der ganzen Welt etwas."
    Endstation ist der Hafen unterhalb des Schlosses Lednice. Sein heutiges charakteristisches Aussehen verdankt das Schloss dem Umbau von 1858 zu einem neogotischen Schloss par excellence. Über die Ästhetik des mit Erkern, Türmchen, Zinnen, verschnörkelten Brüstungen und zartem Maßwerk überladenen Schlosses mit seinem blassrosa Anstrich kann man geteilter Meinung sein. Ein Blick in das UNESCO-Denkmal lohnt sich allemal.
    Denn was tschechische Schlösser so sehenswert macht, ist das Interieur, das den Krieg oft unbeschadet überstanden hat. Eine wahre Augenweide im Schloss Lednice sind die Holzarbeiten. Etwa die filigranen Muster der Wandverkleidung oder die aus einem Stück geschnitzte Wendeltreppe, die mit Weinreben, Vögeln und Eidechsen verziert ist. "Das schönste im blauen Tanzsaal ist die Kassettendecke aus Lindenholz. Keine Kassette gleicht der anderen. Sie gilt als die schönste Kassettendecke in ganz Europa."
    Archäologische Grabungen legen heute unsichtbare Stadt frei
    Mit Mähren oder Morava verbinden die Tschechen auch eine historische Epoche: Das Großmährische Reich war das erste Staatsgebilde der Westslawen. Es bestand vom 8. Bis zum 10. Jahrhundert und in seiner Hochphase reichte es bis kurz vor Erfurt. Sein Herz jedoch schlug in Südmähren, genau auf der heutigen tschechisch-slowakischen Grenze. Hier, auf den Feldern bei dem Dorf Mikulčice stießen Archäologen in den 50er Jahren auf die Fundamente einer Kirche. Ein wahrer Goldrausch setzte ein, erzählt der Leiter des Kulturdenkmals Slawischer Burgwall František Synek.
    "Von 1954 bis 1992 fanden hier großflächige archäologische Grabungen statt. Man fand die Fundamente von zwölf Kirchen, einem Fürstenpalast und einer mächtigen Befestigungsanlage. Am Ende zählte man 250.000 Fundstücke. Das waren Boote, Reste von Palisaden, Pfahlbrücken, Schmuck, Alltagsgegenstände und eine ganze Reihe weiterer Belege dafür, wie die Menschen im 8. und 9. Jahrhundert hier gelebt haben."
    Das Besondere ist, dass die Siedlung früh verlassen wurde und der Ort unbebaut blieb. So konnte die einstige Stadt vollständig freigelegt werden. Trotzdem ist heute kaum etwas von ihr zu sehen. Denn die Fundamente wurden größtenteils wieder mit Erde bedeckt, um sie vor Witterungseinflüssen zu schützen. Zum Ausgleich gibt es ein kleines, aber feines Museum, in dem durch Animationen und eine Fülle an Fundstücken die damalige Stadt wieder zu Leben erweckt wird.
    Ziemlich sicher sind sich Experten, dass die Slawenapostel Kyrill und Method in Mikulčice waren. Die beiden Brüder sind noch heute tief im Bewusstsein der slawischen Völker verankert, da sie es waren, die mit der Verschriftlichung der slawischen Sprachen begannen. "Es gibt eine Legende über das Leben von Kyrill und Method. Darin heißt es, sie kamen erst in das Land der Mähren und dann nach Morava."
    Und diese Stadt namens Morava, so meinen Fachleute, war Mikulčice. Vielleicht war es die Hauptstadt des Großmährischen Reiches, zumindest aber ein Machtzentrum, von dem heute noch ein paar Grundmauern übrig sind. Nicht verzichten sollte man deshalb auf einen kurzen Spaziergang über den Fluss auf die slowakische Seite. Dort steht eine entzückende kleine Feldsteinkirche. Es ist die einzige erhaltene Kirche aus der Zeit, als die Mährer wirklich groß waren und Prag noch unter ferner liefen gehandelt wurde.