"Nein, ich wusste sehr wenig darüber. Erst durch unser Projekt habe ich erfahren das bei uns früher so viele Deutsche gelebt haben - das wir sogar deutsche Bürgermeister hatten."
Michaela ist neugierig auf die Vergangenheit. Seit Herbst vergangenen Jahres verbringt die 14-Jährige fast jeden Samstag auf dem Friedhof. Dort reinigt sie gemeinsam mit ihren Klassenkameraden die Grabsteine, zupft Unkraut und notiert sorgfältig die Namen und Daten der Verstorbenen. Anschließend forschen sie im Internet und im Stadtarchiv nach weiteren Informationen. Ganz freiwillig, so der 15-jährige Ondrej:
"Uns hat einfach interessiert wer die Menschen waren die hier beerdigt sind. Meine Eltern haben mir gesagt: Das sind die Deutschen, die den Krieg angefangen haben. Jetzt weiß ich - die Deutschen haben unsere Stadt erbaut und sie verdienen das wir uns um ihre Gräber kümmern."
Tatsächlich war Frydlant schon lange vor der NS-Besatzung eine überwiegend von Deutschen besiedelte Stadt - dicht an der Grenze zu Sachsen und Polen. Nach 1945 wurden jedoch fast alle 6.000 Bewohner vertrieben. Kaum jemand interessierte sich in den folgenden Jahrzehnten unter kommunistischer Herrschaft für die deutsche Vergangenheit. Auch nach der demokratischen Revolution 89 blieb der Mantel des Schweigens, so die Lehrerin Lucie Zrala:
"Über die deutsche Geschichte der Stadt hat man Zuhause nicht geredet. Das war ein Tabuthema. Die meisten Frydländer sind erst nach dem Zweiten Weltkrieg hierher gekommen. Ihre Kinder stellen jetzt die Fragen nach der Vergangenheit. Es ist sehr wichtig das sie alles über die Wurzeln der Stadt erfahren."
Ein Stück Vergangensbewältigung
Die historischen Recherchen der Kinder und die Pflege der verfallenen Gräber werden auch im Rathaus unterstützt. Anfang Juni öffnet Bürgermeister Dan Ramzer seinen Amtssitz für eine Ausstellung der Schüler. Das Projekt sei ein kleines Stück einer längst überfälligen Vergangenheitsbewältigung:
"Diese Ereignisse sind ein schmerzhaftes Kapitel unserer Geschichte. Ich bin deshalb sehr froh, dass unsere Kinder jetzt helfen, das verlorene Gedächtnis unserer Stadt wiederherzustellen. Wir müssen uns zu unseren Wurzeln bekennen und sie gemeinsam ehren."
Eine Forderung die Stanislav Beran Hoffnung macht. Seine deutsche Mutter und sein tschechischer Vater dürfen nach 1945 zwar in Frydlant bleiben - dennoch flieht er später aus seiner Heimatstadt. Erst nach dem Ende des Kommunismus kehrt Stanislav Beran aus Deutschland nach Nordböhmen zurück.
"Es ist sehr überraschend, dass so etwas in unserer Gegend passiert. Es ist ein Einzelprojekt und ich nehme an das weitere folgen, weil sich die Jugend dafür interessiert wie das Leben früher hier war, das das Leben eben nicht erst 1945 angefangen hat, sondern das viele Deutsche geholfen haben die Stadt aufzubauen."
Tatsächlich ist in Tschechien 70 Jahre nach Kriegsende das schwierige Kapitel Flucht und Vertreibung der rund drei Millionen Sudetendeutschen kein Tabuthema mehr. Die Schweigespirale bröckelt in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Die kritischen Fragen nach der eigenen Vergangenheit werden nicht nur in Frydlant immer lauter gestellt.