Es ist ein Empfang mit allen Ehren: Auf dem Hof der Prager Burg wehen chinesische Fahnen, der rote Teppich ist ausgerollt, Soldaten präsentieren ihre Paradeuniformen: Der tschechische Präsident Milos Zeman begrüßt seinen chinesischen Amtskollegen.
"Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich keine goldene Kutsche habe, in der ich mit Ihnen fahren könnte wie kürzlich die britische Königin. Aber Prag wird ja die goldene Stadt genannt, und das ist mehr als eine goldene Kutsche."
China plant große Investitionen
Für seinen oft launischen Ton ist Milos Zeman bekannt, der 71-jährige tschechische Präsident. Er ist es, auf den die seit zwei Jahren betriebene Annährung zu China maßgeblich zurückzuführen ist – einen neuen Pragmatismus hat Zeman für die tschechische Außenpolitik ausgerufen, in dem es, so wörtlich, um die eigenen Interessen gehen und der weniger geprägt von der Europäischen Union und den USA sein solle. Passend dazu verkündete Zeman stolz, dass die Chinesen noch im laufenden Jahr fast 3,5 Milliarden Euro in seinem Land investieren wollten.
"Ich wünsche mir, dass sich die tschechische Republik für China zum Eingangstor in die EU wird; dass wir uns zu einem ruhigen Hafen entwickeln, in dem die chinesischen Schiffe nach den verschiedensten Stürmen auf offener See eine freundschaftliche Aufnahme erwartet."
Dass ausgerechnet das kleine Zehn-Millionen-Einwohner-Land Tschechien zum Partner für das ungleich größere China werden könnte, hat einen einfachen Grund, sagt Michael Zantovsky, ein ehemaliger tschechischer Spitzendiplomat.
Tschechien bietet Chinesen beste Bedingungen
"Ich denke, dass die Chinesen sehr pragmatische Ziele verfolgen und reagieren, wenn ein Land bereit ist, ihnen entgegenzukommen, ohne eigene Forderungen zu stellen. Worum es ihnen geht, ist eine Brücke in die EU. Momentan haben sie offenbar den Eindruck, dass Tschechien ihnen die besten Bedingungen bietet – und das muss nicht unbedingt ein Kompliment sein."
Zantovsky ist nicht nur Diplomat, er ist auch ein enger Weggefährte des Prager Nach-Wende-Präsidenten Vaclav Havel und leitet heute eine Einrichtung, die Havels Vermächtnis wachhalten soll.
"Vaclav Havel war Verfechter einer Offenheit unserer Außenpolitik gegenüber allen Staaten, auch gegenüber denen mit anderen Meinungen zu manchen Politikfeldern. Aber gleichzeitig legte er Wert darauf, dass es bei solchen Besuchen legitim ist, sich zur Problematik der Menschenrechte zu äußern und zum Schicksal der Verfolgten."
Eine Politik, die von der Moral geleitet wird, wollte Vaclav Havel in Tschechien etablieren – als bewusstes Gegengewicht nach den Jahrzehnten der kommunistischen Verfolgung. Diese spezielle Prägung drohe verloren zu gehen, sagen Kritiker angesichts des chinesischen Staatsbesuchs. Die neue, wirtschaftsorientierte Ausrichtung hänge nicht etwa mit einem Generationenwechsel in der Politik zusammen, urteilt Michael Zantovsky, der Havel-Weggefährte.
Menschenrechte im Schatten der Wirtschaftsinteressen
"Alle drei Staatsoberhäupter der vergangenen 25 Jahre sind Angehörige der gleichen Generation. Ich schreibe die Änderungen dem uferlosen Zynismus unserer Politik zu, wo Politiker zu reinen Mechanikern der Macht werden, wo es um kurzfristige Vorteile im Vierjahres-Horizont geht. Das langfristige Interesse des Landes ist nicht mehr so entscheidend."
So hoch auch die kurzfristig versprochenen Investitionen sein mögen, so schädlich werde dieser neue Pragmatismus mittelfristig für Tschechien sein, sagen Kritiker. Die gibt es nicht nur in der Opposition, sondern auch innerhalb der sozialdemokratisch geführten Dreierkoalition. Ob die Menschenrechte im Schatten der Wirtschaftsinteressen stünden, fragte ein tschechischer Fernsehmoderator den Prager Kulturminister Daniel Herrmann, und der antwortete ganz offen:
"Ich fürchte, dass es so ist, und dagegen erhebe ich meine Stimme."
Widerstand gegen den neuen Kurs in der Außenpolitik gibt es auch bei vielen Tschechen: Der Besuch des chinesischen Präsidenten wird von Gegendemonstrationen begleitet, einige Prager hängen tibetische Fahnen in ihre Fenster. Auch das ist eine Verbindung, die auf die Zeiten von Vaclav Havel zurückgeht: Als er noch Präsident war, hat er regelmäßig den Dalai Lama empfangen.