Durch tausende Zahlen und statistische Angaben hat er sich gerechnet: Petr Mazouch ist Statistikprofessor an der Prager Wirtschaftshochschule und einer der Autoren der Studie, die den geringen Lohnunterschieden in Tschechien auf die Spur kommt.
"Großteils hängt das mit der Vergangenheit zusammen. Vor der Revolution waren die Gehälter absolut ausgeglichen, und paradoxerweise war es manchmal sogar so, dass Ingenieure ein niedrigeres Gehalt bezogen haben als etwa Arbeiter – aber die Unterschiede waren natürlich nicht sehr groß."
Die Gleichheit ist aber mehr als ein Überbleibsel aus alter Zeit: In Tschechien ist die Lohndifferenz in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken, während sie etwa in Deutschland weiter steigt. Dass die Gehälter in Tschechien so nahe beeinander liegen, hat viele Ursachen. Eine davon ist, so klagt etwa der Gewerkschaftsbund, dass sie allesamt niedrig sind – bei 27.200 Kronen liegt derzeit das durchschnittliche Monatsbrutto, das sind etwa 1000 Euro. Dana Machatova vom tschechischen Gewerkschaftsbund ist mit soviel Gleichheit gar nicht glücklich:
"Vor allem sollten die Arbeitsbedingungen neu bewertet werden: Die Gehälter sollten besser auf die individuellen Unterschiede eingehen. Auf die Voraussetzungen, um einen Beruf zu erreichen, auf die persönliche Erfahrung und so weiter. Wir sind uns nicht sicher, dass das schon ausreichend geschieht."
Juristen steigen unter dem Durchschnittslohn ein
Das prägnanteste Beispiel ist der Staatsdienst, der in Tschechien sehr weit verzweigt ist: Eine Krankenschwester etwa verdient zwar weniger als eine Chefärztin, aber die Unterschiede sind marginal. Wer etwa als promovierter Jurist eine Stelle bei einem Ministerium in Prag annimmt, bekommt ein Einstiegsgehalt, das weit unter dem Durchschnittslohn liegt. Und: Ein Busfahrer beispielsweise hat bisweilen ein höheres Einkommen als ein Universitätsprofessor. Es gebe zwar unterm Strich eine hohe Gleichheit, aber fair sei das System eben trotzdem nicht, urteilt Dana Machatova vom Gewerkschaftsbund:
"Da sind zum Beispiel Spitzenwissenschaftler, die die höchstmögliche Bildung haben, sich ihr ganzes Leben lang weiterbilden und im Ausland publizieren – aber ihre Gehälter sind einfach unsäglich niedrig."
Das Armutsrisiko ist nirgendwo so niedrig wie hier
Der Druck auf die Politik, an den Gehältern für Lehrer, Professoren, aber eben auch Feuerwehrleute und Richter etwas zu ändern, ist zwar hoch, aber wenn es zu einer Erhöhung kommt, profitieren oft alle Berufsgruppen gleichermaßen davon, zumindest im öffentlichen Dienst. In der Gesamtstatistik hingegen sei erkennbar, dass höhere Bildung mit höherem Einkommen korreliert, sagt Forscher Petr Mazouch, wenngleich auch hier die Unterschiede zwischen den einzelnen Einkommensstufen in der Statistik teils weniger als 100 Euro betragen. Eins zeigen die Berechnungen aber neben der großen Einkommensgleichheit noch: Das Armutsrisiko ist in Tschechien so niedrig wie sonst fast nirgendwo in der EU. Das liege stark am Sozialsystem, urteilt Petr Mazouch:
"Die konservativen Regierungen bei uns haben das ausgefeilte Sozialsystem immer zu würdigen gewusst und keine großen Änderungen vorgenommen; die linksorientierten Regierungen hatten immer die Tendenz, es zu stärken, wissen aber, dass große Änderungen die Gesamtbalance und eben den Haushalt beeinflussen."
Auch die Nachricht vom geringen Armutsrisiko hat allerdings zwei Seiten: Nach einer EU-Definition ist von Armut bedroht, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Weil in Tschechien die Gehaltsunterschiede so gering sind, fallen entsprechend wenige Menschen unter diese Grenze, schließlich bewegen sich die meisten nahe am Durchschnitt. Wer aber tatsächlich nur mit 60 Prozent des verfügbaren Durchschnittseinkommens auskommen muss, der hat oft genug ein Problem. Weniger als 400 Euro im Monat nämlich sind auch für tschechische Verhältnisse äußerst knapp bemessen.