Es ist viel zu wenig Platz in der Kneipe, die Gäste stellen Tische und Stühle um, damit alle in den Kellerraum passen. Als alle sitzen, ergreift eine junge Frau das Wort.
Danke, dass ihr gekommen seid, ruft sie in die Runde, in der außer ihr nur noch eine weitere Frau sitzt. Um Open Data soll es an diesem Abend gehen, um den freien Zugang zu Daten. Für alle ein Hobby; eine Mission, die alle verbindet, die hier um den Tisch sitzen. Sie stellen sich der Reihe nach vor.
"Ich bin Ondra Profant. Ich habe das Open-Data-Projekt in Prag gegründet und heute bin ich Vorsitzender des Ausschusses für E-Government im tschechischen Abgeordnetenhaus."
30 Jahre alt ist Ondrej Profant, Parlamentsabgeordneter der Piraten, den seine Freunde mit Spitznamen Ondra nennen; er ist leger gekleidet, die langen Haare hat er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Alle paar Monate trifft sich die Gruppe, die Atmosphäre ist gelöst.
"Anderswo laufen die Dinge sehr formell - deshalb funktioniert das nicht"
Ein Kellner nimmt die Bierbestellung auf, dann werden die Projekte besprochen. Die Teilnehmer arbeiten in Behörden, in Unternehmen und in Medien und überlegen, wie Daten öffentlich mehr zugänglich gemacht werden können. Von Daten aus der Verkehrsplanung bis hin zu öffentlichen Aufträgen in staatlichen Einrichtungen.
"Wir machen das sehr aktivistisch. Anderswo laufen Dinge sehr formell, einer verteilt Aufgaben, die die anderen erledigen sollen – und deshalb funktioniert das nicht. Man muss viele Details absprechen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "An die Spitze - Das digitale Paradies in Tschechien" in der Sendung "Gesichter Europas".
Da der Kellner gerade vorbeikommt, bestellt Ondrej Profant noch ein Paar Würstchen mit Senf, dann redet er weiter:
"Man muss die Leute so überzeugen, dass sie einem helfen wollen. Die neue Zeit generiert kompliziertere Probleme als früher."
Mehr Beteiligung - Dieses moderne Prinzip der Zusammenarbeit will Ondrej Profant von der eingeschworenen Gruppe der Informatik-Experten auf die Politik übertragen – ein neuer Politik-Stil schwebt ihm vor, und für den kämpft er schon seit seinem Studium.
"Politik soll die Perspektive unserer Generation aufgreifen"
Um mehr darüber zu erzählen, hat er ins tschechische Parlament eingeladen. Es ist ein Komplex von altehrwürdigen Gebäuden auf dem Kleinseitner Ring in Prag; vom Foyer mit den strengen Sicherheitskontrollen geht es hinauf in sein Abgeordneten-Büro. Auf Ondrej Profants Schreibtisch aus dunklem Holz steht eine Piratenflagge – das Wahrzeichen der Piratenpartei, die er vor einem Jahrzehnt mitgegründet hat.
"Wir waren eine Gruppe von sehr jungen Leuten, die meisten ohne größere Lebenserfahrung. Aber wir wussten, was wir wollten: Es soll hier in Tschechien fair und liberal zugehen, der Staat soll funktionieren. Die Politik soll die Perspektive unserer Generation aufgreifen."
Zwei wichtige Themen der Piraten hängen damit zusammen: E-Government auf der einen Seite – also die digitale Verwaltung des Landes. Und E-Business auf der anderen Seite – also die Förderung von digitalen Geschäftsmodellen. Aber können die Piraten aus der Opposition heraus mithelfen, Tschechien in ein Digital-Paradies zu verwandeln? Ondrej Profant denkt kurz nach.
"Allein, dass diese Stimme hier vertreten ist, ist etwas wert. In der Opposition bewirken wir keine Revolution, das ist klar – aber ich selbst arbeite zum Beispiel mit dem Innenministerium zusammen in Sachen Digitalisierung. Da zeichnen sich Erfolge ab. Wir beteiligen uns bei Ausschüssen und so weiter. Natürlich hat die Regierung das Sagen – aber unsere Gedanken breiten sich aus und setzen sich fest."
"Konsequente und gut gemachte Digitalisierung"
Eine reine Internet-Partei seien die Piraten ohnehin schon längst nicht mehr. Sie haben ein vollständiges politisches Programm, in dem von der Europafreundlichkeit bis zur Rentenpolitik alle möglichen Ziele festgehalten sind. Aber auch die Digitalisierung selbst sei ja kein Selbstzweck, sagt Ondrej Profant:
"Wir haben in Tschechien ein großes Problem in den Regionen. Prag ist die einzige Millionenstadt – überall anders ist es nicht leicht, gebildete Mitarbeiter zu finden. Wenn man dann noch in einer Gegend ist, die bergig ist und abgeschnitten – da fehlen Städte, die eine eigene Anziehungskraft haben. Eine der Möglichkeiten, das zu ändern, ist eine konsequente und gut gemachte Digitalisierung."
Man habe gute Gesetze für die Digitalisierung, nur sei in der Regierung die Chance noch nicht erkannt worden, die dieses Feld bietet. Der Begriff vom "Digital Challenger", den eine Unternehmensberatung für Tschechien gewählt hat, findet Ondrej Profant treffend. Er zählt einige Software-Firmen auf, die weltweit erfolgreich sind, dann sagt er:
"Was viele der Firmen verbindet: Der Staat hat ihnen nie geholfen. Vielleicht ist das gerade gut – aber zumindest einige Steuererleichterungen zum Beispiel wären hilfreich dafür, dass sich hier so ein Business aufbauen lässt. Genau dieses Geschäft ist ja das Gegenmodell zu den Montagehallen – wir alle in Tschechien wissen, dass wir keine Volkswirtschaft sein wollen, die auf puren Montage-Tätigkeiten basiert."
Von politischen Gegnern geschätzt
Das digitale Zeitalter biete die einmalige Chance, die Wirtschaftsstruktur zu ändern – zum Vorteil Tschechiens. Das, sagt Ondrej Profant, sei das Ziel seiner Partei. Und die Piraten schlagen sich nach dem Urteil von Beobachtern wacker: Selbst politische Gegner bescheinigen den Piraten, dass sie sich bestens vorbereiten und engagiert mitarbeiten. Und die Wähler? Die freuen sich, dass die Parlamentarier bürgernah sind und eben auch abends in der Kneipe sitzen, um über ihre Anliegen zu diskutieren so wie Ondrej Profant bei der Open-Data-Veranstaltung.
"Diese Treffen stellen sich als das heraus, was uns am Boden hält, im positivsten Sinne. Einmal im Monat gehe ich bei uns in das Zentrum der Partei und stelle unsere Themen und Ideen vor. Neulich habe ich hier im Rathaus Mitarbeiter geschult; eine vierstündige Vorlesung darüber, wie E-Government in Tschechien funktioniert. Und mit den Leuten komme ich dann einfach ins Gespräch."
Ihre Politik, so scheint es, trägt Früchte: Bei Meinungsumfragen sind die Piraten in Tschechien weiter im Aufwind.
Eine Produktion des Deutschlandfunk von März 2019