Es hat etwas von einer Rückkehr, was die Kuratoren in Pilsen versuchen: Die alte Achse zwischen Prag und München wollen sie wiederbeleben - eine Achse, die vor allem in der Kunst hervorragend ausgebaut war: Bis zum Ersten Weltkrieg stellten Maler aus Böhmen und Mähren eine der größten Gruppen, die an der legendären Münchner Akademie eingeschrieben waren. Roman Musil, Direktor der Westböhmischen Galerie Pilsen:
"Die Künstler hatten zum Teil schon eine Ausbildung an der Prager Akademie hinter sich, gingen dann nach München und schließlich nach Paris. Aber auch die umgekehrten Fälle gibt es: Ludwik Kuba etwa hat in Paris angefangen und ging dann nach München. Er hat da an einer privaten Schule studiert, seine Mitschüler gründeten später den Blauen Reiter: Kandinsky, Jawlenksy, Werefkin. Oder nehmen Sie Gabriel von Max, den späteren Professor an der Münchner Akademie: Er ist in Prag geboren, hat in Prag und Wien studiert und wollte dann nach Paris. Auf dem Weg dorthin ist er aber dem Zauber von München erlegen und gleich dort geblieben."
Die Ausstellung, die die Pilsener zusammengestellt haben, ist allerdings ein Zwitter: Sie will die tschechischen Künstler präsentieren, die in München waren - zugleich aber für das einheimische Publikum eine Art Rundumschlag in Sachen Münchner Schule leisten. Bisweilen wirkt die Auswahl der Gemälde dadurch ein wenig beliebig; etwa dann, wenn der Blaue Reiter vor allem wegen des Promi-Faktors in das Konzept eingebunden wird. Dieses Zusammenwerfen von deutschen und tschechischen Künstlern kann aber auch funktionieren - es gelingt immer in dem Moment, wenn etwa ein Meister und sein Schüler nebeneinander hängen, wie im Fall des Professors Ludwig von Löfftz und seines mährischen Schützlings Karl Maria Thuma. Ausstellungskurator Ales Filip:
"Wir wollen Werke von Künstlern miteinander in Bezug bringen, die teilweise vielleicht nicht einmal etwas voneinander wussten. Schauen Sie hier, da hängt ein Frauenporträt von Zdenka Vorlová-Vlcková neben dem 'Frauenkopf' von Franz von Stuck. Sehen Sie die Verwandtschaft? Dadurch entsteht eine interessante Konfrontation."
Wiederentdeckung böhmischer Schätze
Und etwas Zweites zeigt die Pilsener Ausstellung - zum Beispiel gerade anhand des Frauenkopfes von Franz von Stuck: In tschechischen Sammlungen gibt es jede Menge Werke von deutschen Künstlern aus der Münchner Schule, von Franz von Lenbach bis zu Thomas Theodor Heine. Angekauft worden sind sie meistens gegen Ende des 19. Jahrhunderts - damals war die Zusammenarbeit zwischen dem Prager und dem Münchner Kunstverein so eng, dass sie gemeinsam jährliche Ausstellungen abhielten. Und die kaufkräftigen tschechischen Museen, die damals teilweise gerade erst im Aufbau waren, bedienten sich dort für ihre Sammlungen. Kurator Ales Filip:
"Nach 1918 gab es in der tschechischen Kunst dann eine Orientierung nach Frankreich. München hat auf einen Schlag seine Anziehungskraft verloren. Und so waren die Bilder aus München, die erst gefeiert und dann mit großem Beifall gekauft worden sind, nicht mehr interessant und verschwanden in den Depots. Das hielt fast 100 Jahre lang an."
Die Ausstellung in Pilsen fällt zusammen mit der Wiederentdeckung dieser Werke, so dass in der Westböhmischen Galerie einige Schätze zu bewundern sind, die bislang kaum bekannt waren. Ohnehin ist die Pilsener Ausstellung ein Ort für Neuentdeckungen. Während etwa dem tschechischen Jugendstil-Doyen Alfons Mucha eine Weltkarriere beschert war, gehören etliche andere Künstler aus Böhmen und Mähren, die durch die Münchner Ausbildung gegangen sind, zwar in Tschechien zum Kanon, sind aber in Deutschland vergessen: Jakub Schikaneder etwa oder Emanuel Liska.
Welch unschätzbare Rolle die Münchner Akademie für die Entwicklung der tschechischen Kunst gespielt hat - auch das wird in Pilsen deutlich: Die tschechischsprachigen Maler haben sich in Bayern zum Verein Skreta zusammengeschlossen, 1885 war das - er gilt als erster tschechischer Kunstverein überhaupt. Seine Mitglieder machten in Bayern oft eine bemerkenswerte Karriere - Frantisek Ondrusek etwa portraitierte im Jahr 1901 sogar die Königsfamilie. Die Bilder gehören nun einem Provinzmuseum an der Grenze zur Slowakei - noch bis Anfang April sind sie in Pilsen zu sehen.