Es ist kaum ein Mensch zu sehen auf den Straßen von Kfar Kama. Die Sonne strahlt gleisend auf die blitzsauberen Straßen. Ein Hahn kräht versteckt in einem Garten. Im Zentrum des 3.000 Einwohner-Ortes in Galiläa steht die Moschee - Tscherkessen sind Muslime. David Schugan leitet das Kulturzentrum in Kfar Kama. Der rothaarige Mann sagt, die meisten Besucher seien überrascht, wenn sie in sein Dorf kommen. Kaum ein Israeli wisse, wer die ursprünglich kaukasischen Tscherkessen sind.
"Wir Tscherkessen unterscheiden uns von den Arabern und Juden. Wir haben eine andere Kultur. Wir sehen mit unserer hellen Haut vielleicht aus wie aschkenasische Juden - aber wir sind keine Juden. Wir sind zwar Anhänger des Islams, sind aber keine Araber. Nur wenige Israelis kennen Tscherkessen persönlich. Hier in unserem Dorf können sie unsere Kultur kennenlernen. Viele denken, wir Tscherkessen seien eine Art muslimische Sekte."
Heiraten in der Gemeinschaft
Das Volk der Tscherkessen stammt aus dem Kaukasus. Ursprünglich verehrten Tscherkessen Naturgeister. Nach dem fünften Jahrhundert wurden viele Tscherkessen zu Christen. Seit dem 15 Jahrhundert wurde der Islam die dominierende Religion. Zeitweise aber lasen einige Tscherkessen sowohl die Bibel als auch den Koran. Heute sind die meisten Tscherkessen sunnitische Muslime. Und das heißt: kein Alkohol in Restaurants, der Ramadan wird eingehalten. Kopftücher aber trägt kaum eine Tscherkessin in Kfar Kama. Für die meisten jungen Leute ist klar: Geheiratet wird in der Gemeinschaft. Das sagt auch Dana Maschraga, sie geht auf die Technische Hochschule in Haifa. Ein Freund vor der Ehe – für sie keine Option.
"Mir ist das sehr wichtig, unsere Kultur zu bewahren. Und auch wenn ich etwas anders bin als meine Kommilitonen an der Universität – mir ist es wichtig, so zu sein, wie ich bin. Ich muss mich nicht anpassen. Natürlich könnte ich jeden heiraten, den ich will. Aber wenn jeder in unserem Dorf einen Nicht-Tscherkessen heiraten würde, dann würde unsere Lebensart verschwinden. Und darum werde ich vermutlich auch einen Tscherkessen heiraten, der meine Werte teilt."
Respekt vor Älteren, Respekt vor Kindern, sich aktiv einbringen in die Gesellschaft und hart arbeiten. Das sind Werte, die für Dana Maschraga zählen. Ihr Bruder Hani hat wie die meisten israelischen Tscherkessen Militärdienst geleistet. Das unterscheidet sie vom Großteil der arabischen Muslime in Israel.
"Wer Tscherkessen kennt in Israel, der schätzt sie sehr. Wir sind bekannt dafür, loyal zu sein und stark. Und beim Militär habe ich erlebt, wie sehr wir anerkannt werden."
Loyal gegenüber Israel
Tscherkessen stehen hinter dem Staat Israel. Eine Loyalität, die auf historischer Erfahrung basiert: 1864, nach dem russisch-kaukasischen Krieg mit Zigtausend Toten, wurden die Tscherkessen aus dem Nordkaukasus vertrieben. Bis zu eine Million Menschen wurden über das Schwarze Meer ins Osmanische Reich verschifft, viele starben dabei. Nach einem weiteren Krieg wurden einige Hundert Tscherkessen nach Galiläa gebracht. David Schugan vom Kulturzentrum in Kfar Kama:
"Wir wurden hier während des Osmanischen Reichs angesiedelt. 1878 war der Russisch-Türkische Krieg zu Ende und die Osmanen siedelten uns in diesem nicht unproblematischen Flecken Erde an – im Nahen Osten. Daraus entstanden Siedlungen, die heute in Syrien, Jordanien und Israel liegen. Das Osmanische Reich hat uns an diesen Orten angesiedelt, weil sie strategisch wichtig waren."
Die Osmanen sind Geschichte in Galiläa, auch die Briten. Wer geblieben ist, sind die Tscherkessen. Weltweit einmalig: Hier gibt es eine Schule gibt, in der neben Hebräisch, Arabisch und Englisch auch Tscherkessisch unterrichtet wird. Die Kinder lernen die alten Geschichten aus dem Kaukasus - und auch die Tänze. Sie sind genauso vernarrt in Pferde wie ihre Vorfahren - und auch in die alte Tracht der Männer mit schwarzem Hut, langem roten Mantel und Degen. Auch wenn die Tscherkessen weltweit verstreut leben – der Zusammenhalt bleibt. Auch in der Diaspora. Gerade jetzt, wo im israelischen Nachbarland Syrien Krieg herrscht.
"Wir betrachten die Tscherkessen überall in der Welt als unsere Brüder. Das gilt unabhängig davon, ob sie in einem Land leben, das Israel feindlich gegenüber steht oder nicht. Das gilt natürlich auch für Syrien. Dort ist das Leben für die Tscherkessen seit Kriegsbeginn mehr als problematisch. Das Beste, was wir hier in unserem Dorf tun können, ist Geld zu sammeln. Das schicken wir nach Jordanien und von dort kann es nach Syrien gebracht werden. Und wir trauern natürlich um Tscherkessen, die in Syrien sterben. Die meisten von ihnen wollen in die Heimat ihrer Vorfahren im Kaukasus, aber die Russen erlauben das nur den wenigsten."
Der Kaukasus bleibt Heimat
Der Kaukasus mit dem Elbrus-Gebirge, dem heiligen Berg der Tscherkessen, und die Landschaften östlich des Schwarzen Meeres - das bleibt viel besungenes Sehnsuchtsland. Für Tscherkessen weltweit und auch für die Tscherkessen in Kfar Kama im Norden Israels, für junge Menschen wie Dana Maschraga und David Schugan.
"Wir betrachten den Kaukasus als unsere Heimat. Und das, obwohl ich schon der sechsten Generation von Tscherkessen hier in Israel angehöre. Wenn wir von Heimat sprechen, dann meinen wir die unserer Vorfahren. Man kann das als Traum abtun. Aber niemand hätte noch vor hundert Jahren daran geglaubt, dass die Juden in Israel eine Heimat finden würden. Und so träumen wir auch davon, eines Tages zurückzugehen. Ich werde das wohl nicht mehr erleben, aber vielleicht meine Nachkommen."
"Irgendwo im Herzen ist so ein Wunsch, dass alle Tscherkessen eines Tages wieder zusammen sein sollen. Vielleicht im Kaukasus. Andererseits geht es uns gut hier in Israel. Wir leben in einem demokratischen Land, wir fühlen uns als Israelis - und de facto gibt es einfach keinen Tscherkessen-Staat mehr. Und wie sollte der aussehen? Wäre der in Putins Nachbarschaft auch so demokratisch wie Israel? Wie wir es gewohnt sind?"
Der Beitrag wurde erstmals in der Sendung "Tag für Tag. Aus Religion und Gesellschaft" vom 07.09.2016 veröffentlicht.