Vor zehn Jahren sind Said und Marina Mes-Chidor aus Tschetschenien geflohen. Sie richteten sich in Bialystok an Polens östlicher Grenze ein, obwohl die Stadt als besonders fremdenfeindlich galt. Die vielen Flüchtlinge, die jetzt über Europas Süden Richtung Norden wollen und den Schlepperbanden ausgeliefert sind, erinnern sie an ihre eigene Not damals.
"Wir mussten für jeden Pass 300 Dollar bezahlen, was für uns sehr viel Geld war. Zumal im Krieg, wo es keine Arbeit gab. Das ganze Dorf half uns, mein Mann reparierte Möbel, Türen oder Fenster und verdiente so Geld dazu."
Asylanträge von Ukrainern werden kaum bewilligt
Von 2.300 Ukrainern, die im vorigen Jahr einen Asylantrag stellten, bekam kein einziger eine Bewilligung, in diesem Jahr waren es bislang zwei Personen. Tschetschenen dagegen durften kommen, während der beiden Kriege, als der Wille des tschetschenischen Volkes, von Russland unabhängig zu werden, mit Waffengewalt niedergerungen wurde. Polen bot den Opfern dieser Unterdrückung Unterschlupf. Der freilich wenig komfortabel war.
"Ein Jahr lebten wir im Lager, erinnert sich die 36-jährige Marina. Wir hatten ein Zimmer, Bad und Küche teilten wir mit anderen Familien. Als wir die Aufenthaltserlaubnis bekamen, mussten wir das Lager verlassen und eine Wohnung suchen, was sehr schwer war, denn Vermieter nehmen keine Ausländer."
"Unsere Sozialarbeiterin fand unsere Wohnung nur, weil sie sagte, dass wir aus Kasachstan sind. Denn Tschetschenen will niemand, da heißt es doch sofort: Oh diese Terroristen."
Eine ähnliche Gleichsetzung erfolgt jetzt mit Syrern, Arabern. Zehn Jahre leben Said und Marina in Polen, sprechen Polnisch, drehen noch immer jeden Zloty um. Sie wollen ihr Glück in Polen machen, auch wenn das in Bialystok vielleicht schwerer ist als anderswo.
"Sie haben mein Auto demoliert. Weil wir Tschetschenen sind. Natürlich ist es schwer, das mit anzusehen. Aber andererseits wenn ich meinem Vermieter kündigen würde, wäre er nicht erfreut, denn von mir bekommt er sein Geld immer pünktlich. Kein einziger Nachbar wünscht sich, dass wir ausziehen."
Kaum Unterstützung für Flüchtlinge
Neun von zehn Tschetschenen, die um Asyl in Polen gebeten haben, versuchten so schnell wie möglich aus Polen herauszukommen. Das ist Saids Erfahrung. Der wichtigste Grund: In Polen bekommen Flüchtlinge kaum staatliche Unterstützung.
"Unsere Bekannten wohnen jetzt in Deutschland, Frankreich, Belgien oder Norwegen. Wenn sie anerkannt sind als Flüchtlinge, bekommen sie sofort eine Wohnung. Sie müssen nichts dafür bezahlen und das ist der große Vorteil. Aber hier bekommen selbst die, die bleiben wollen, arbeiten, sich integrieren, nie ausgewiesen werden sollten, deren Kinder in die Schule gehen, die die Sprache gelernt haben, keine Wohnung. Für uns wäre es ja schon Mietunterstützung eine Hilfe, aber es gibt nichts."
Willkommen fühlt sich die tschetschenische Familie noch immer nicht, verschweigen wenn möglich ihre Herkunft. Selbst die Kinder, die akzentfrei polnisch sprechen, erleben Diskriminierung im Alltag. Doch alle die Familie ist sich einig. Sie bleiben.
"Wir bleiben hier, unseren Kindern zuliebe. Was sollen wir in Frankreich. Sie sind hier gut in der Schule, haben ausgezeichnete Zeugnisse, der Älteste macht Abitur, will Zahnarzt werden, sein Bruder will Chirurg werden, der Jüngste ist stadtbekannt, tritt im Theater auf. In Deutschland oder Frankreich müssten wir von vorn anfangen, wieder eine neue Sprache lernen. Hier ist es sehr schwer für uns, denn was wir verdienen, reicht nur für die Wohnung, das Essen, die Kleidung. Aber wir haben Arbeit und das bei der hohen Arbeitslosigkeit in Polen."