Natalja Estemirowa begann 1991 sich für Menschrechte in Tschetschenien einzusetzen, noch vor dem ersten Krieg, den die Russen in der Kaukasusrepublik führten. Unter schwierigen Bedingungen sammelten sie und andere Aktivisten Informationen über Menschenrechtsverletzungen, arbeiteten auch im zweiten Krieg weiter. Man wollte Antworten von Russland, wollte wissen, was passiert war, sagte Estemirowa in einem Interview aus dem Jahr 2008.
"Wir haben Material zusammengestellt über Ereignisse in Grozny und ganz Tschetschenien. Dann bin ich in das Dorf Aldi gekommen, um Informationen zu sammeln über eine schreckliche Militäraktion, bei der Dutzende Menschen ermordet worden waren. Den Fall haben wir dann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewonnen. Aber ich habe auf den Gesichtern der Kläger, der Dorfbewohner keine Freude gesehen. Man sagte ihnen, die Regierung sei zu einer Geldstrafe verurteilt. Aber das machte sie nicht glücklich. Für sie war es wichtig, dass die Täter bestraft werden. Und sie hoffen immer noch, dass die Regierung die Mörder, die Schuldigen finden muss, und dass sie irgendwann in die Augen derer sehen können, die sie gequält haben."
Memorial-Aktivistin Natalja Estemirowa wurde ermordet
Menschenrechtsarbeit sei damals schwierig gewesen und bleibe es, sagte Natalja Estemirowa damals. Der Menschenrechtlerin der Gruppe Memorial wurde ihre Arbeit zum Verhängnis. 2009 wurde sie vor ihrem Haus entführt und später erschossen. Die Täter sind bis heute nicht ermittelt.
Kollegen von Amnesty International erzählen, Estemirowa sei oft bedroht worden und zwar nicht in erster Linie von Terroristen, sondern vor allem von tschetschenischen und russischen Sicherheitskräften, die sich offenbar durch ihre Recherchen gestört fühlten. Die Menschenrechtlerin machte für einen Großteil von Entführungen Polizisten und Militärangehörige der Russischen Föderation verantwortlich.
Heute sitzt ein deprimiert wirkender Ojub Titijew im Büro von Memorial in Grozny. Der Kollege der ermordeten Natalja Estemirowa meint, die Lage der Menschenrechte war und ist sehr schlecht
"Wie Sie sehen können, herrscht hier ein totalitäres Regime. Die ganze Macht ist in der Hand einer einzigen Person. Was er sagt, wird gemacht. Die Gesetze gelten nur für die einfachen Bürger. Für die Machthaber gibt es keine Gesetze. Es gibt immer noch Entführungen. Menschen verschwinden. Manche werden ermordet."
Allein Anfang des Jahres wurden innerhalb weniger Monate 14 Menschen festgenommen und verschwanden spurlos. Sie werden verdächtigt, terroristische Gruppen zu unterstützen. Manchmal reiche es, wenn die Telefonnummer eines Verdächtigen unter den eigenen Handykontakten gefunden wird, sagt Titijew, und man landet auch im Gefängnis. Und die Verwandten, die nach den Verschwundenen suchen und bei den Behörden nachfragen, werden oft so bedroht, dass sie ihre Bemühungen einstellen. Aus Angst, auch festgenommen zu werden.
Wie sich die Lage der Menschenrechte in Tschetschenien verbessern könnte? Ojub Titijew zuckt mit den Schultern und sagt, er wisse es auch nicht.