Am 26. Juli 2007 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die russische Putin-Regierung wegen eines Massakers in Tschetschenien. Meldungen darüber sind in den westlichen Medien selten zu finden, da diese seit 2003 vor allem über den Irak-Krieg und Afghanistan berichten.
Der Russe Arkadi Babtschenko kennt diese Problematik - und vor allem kennt er jene von Westeuropa ungern wahrgenommen Welt aus eigener Erfahrung. Er schreibt gegen diese Unwissenheit an, sucht nicht nur die russische, sondern auch die westliche Öffentlichkeit. Er kämpfte als russischer Soldat in Tschetschenien, das 1991 einseitig seine Unabhängigkeit erklärte. Russland hat zwar vor kurzem die staatliche Souveränität der kleinen georgischen Provinz Südossetien politisch und militärisch durchgesetzt, verweigert aber dem muslimischen Volk der Tschetschenen im eigenen Land nachhaltig jegliche Eigenständigkeit.
Die jüngsten Tschetschenienkriege wurden von 1994 bis 1996 und 1999 bis 2002 geführt, so zumindest die offizielle russische Darstellung. Ruhe aber ist in der sogenannten Provinz nicht eingekehrt.
Im Reportagestil rund um die Hauptperson Artjom berichtet Babtschenko von den Gedanken, Sorgen und Einsichten der Soldaten:
Was tat er hier? Was tat er, der Moskauer, der 23-jährige russische Junge mit juristischer Hochschulbildung, auf diesem fremden, überhaupt nicht russischen Feld, tausend Kilometer von zu Hause entfernt, in einem fremden Land, einem fremden Klima? Hier war alles unrussisch.
Wir erfahren, dass die russischen Zeitsoldaten schlecht ausgerüstet sind, dass es ihnen an Verpflegung mangelt und dass sich deshalb ihre Gedanken meist um Zigarettenrauchen und Essen drehen, zwischendurch aber immer wieder auch um den Sinn ihrer Anwesenheit in Tschetschenien:
Das waren die wahren Sorgen des Soldaten - was zwischen die Kiemen, zum Aufwärmen und zum Rauchen. Die leeren Mägen waren wichtiger als Pflichtgefühl und Krieg. Wenn der Soldat satt, sauber und warm angezogen wäre, würde er zehnmal besser kämpfen. Noch nicht ein einziges Mal in diesem ganzen Krieg hatte irgendjemand ihnen auf menschliche Art eine Aufgabe übertragen. Man wurde losgeschickt und hatte zu gehen. Verrecke, ohne zu murren, das war die Aufgabe.
Mittels einer außergewöhnlich bilderreichen Sprache gelingt es Babtschenko die Gefühlswelt der russischen Soldaten wiederzugeben, ihren Angstschweiß und ihre Nervenanspannung auf den Leser zu übertragen. Manche Bilder sind zeitlos und ortsungebunden. Sie offenbaren Soldatenleben, wie es immer war und immer sein wird:
Die Nächte des Südens sind schwarz, und die Augen sind nutzlos. Nachts muss man sich auf das Gehör verlassen. Da war ein Geräusch, also spannt der Körper sich aufs äußerste an, der Atem steht still, erstickt zwischen zusammengebissenen Zähnen, die Hand greift leise nach der MP. Der Kopf dreht sich langsam in Richtung Geräusch, möglichst ohne mit dem Nacken am Kragen zu scheuern, keinen Lärm machen, die Ohren nicht bei der Einschätzung der Situation stören.
Indem er den Leser intensiv Anteil nehmen lässt an fast jeder Minute des Schicksals und an den Ängsten der Hauptperson Artjom baut Babtschenko in moderner journalistischer Manier eine persönliche Bindung auf, die am Ende des Buches die eigentliche Dramatik der dargestellten Ereignisse voll zur Geltung bringt, als nämlich Artjom erkennt, warum er schuldig wird am Tod zweier unschuldiger Tschetschenen.
Ein Schlaglicht nur - von etwa zwei Tagen - stellt Babtschenkos Schilderung von den Kämpfen um Alchan-Jurt und Alchan-Kala dar, zwei Ortschaften in der Nähe der Hauptstadt Grosny. In Russland kennt fast jeder diese Namen, nicht aber in Deutschland. Wer weiß hierzulande schon, dass im Dezember 1999 im Dorf Alchan-Jurt, 15 Kilometer von Grosny entfernt, russische Soldaten ein Massaker unter tschetschenischen Zivilisten angerichtet und ihre Häuser geplündert haben?
Oder dass im Juni 2001 in Alchan-Kala in einem mörderischen Haus-zu-Haus-Kampf eine auf Russisch "Zachiska" genannte "Säuberung" durchgeführt wurde, die in der modernen Geschichte Ihresgelichen sucht?
Hier offenbart sich eine der Schwächen der deutschen Ausgabe. Der Rowoholt-Verlag lässt es an nötigen Erklärungen, die die Reportage von Babtschenko und seine Anspielungen einordnen, fehlen. Hinzu kommen eine Reihe von Schwächen in der Übersetzung: der militärische Anführer eines Infanterie-Zuges heißt auf Deutsch nicht "Kapitän", sondern Hauptmann und die russische Panzerfaust "Mucha" ist keine "Panzerbüchse". Die "Mucha" - das heißt auf Deutsch "Fliege" - ist - anders als eine Panzerbüchse - eine sogenannte Wegwerfwaffe für den einmaligen Gebrauch. Deshalb zögert der Major auf Seite 79, ob er die "Mucha" verschießt oder für ein besseres Ziel aufbewahrt, am Ende mit tragischen Folgen. Diesen technischen Zusammenhang kann man als herkömmlicher Leser nicht verstehen.
Doch solcherart nicht vom Autor verursachte Schwächen kann man getrost beiseite schieben.
In der Tradition der sprachgewaltigen russischen Erzählkunst führt Babtschenko die Logik des Krieges - eines jeden Krieges vor Augen. Gegen Ende des Buches wird der Leser Zeuge, wie Artjom beiläufig von einem Kameraden erfährt:
Erinnerst du dich, gestern, als die Tschechos bei Alchan-Jurt auf uns eingeballert haben? Weißt du bei diesem Schusswechsel haben wir ein Mädchen getötet. Ein achtjähriges Mädchen und einen alten Mann.
Artjom wird plötzlich bewusst, auf welche Weise es im Krieg dazu kommen kann, dass man als Soldat Unschuldige tötet. Er selbst hatte, in der vagen Annahme, im Haus befänden sich tschetschenische Rebellen, einen Feuersturm auf das Gebäude gelenkt, in dem zwei Menschen eigentlich nur Zuflucht suchten:
Artjom dachte an den gestrigen Kampf zurück. Er stellte sich vor wie das Mädchen und ihr Großvater in den Keller laufen wollten, als der Beschuss einsetzte. Sie war sofort tot, das Geschoss jagte durch ihren Bauch, sie schwankte nach vorn, ihm entgegen, und aus ihrem Rücken riss es Gedärme heraus und spritzte sie an die Wand. Ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert und fiel auf dem dünnen Hals nach hinten. Ihre Augen schlossen sich nicht, unter den Lidern waren die toten Pupillen zu sehen. Und der Großvater kroch in ihrem Blut umher und schüttelte den leblosen Leib, und er heulte und verfluchte die Russen.
Mehr gibt es dazu nicht mehr zusagen.
Das Buch von Arkadi Babtschenko: "Ein guter Ort zum Sterben". ist im Rowohlt Verlag erschienen. 128 Seiten, für 14 Euro 90. Tom Goeller hat es für uns gelesen.
Der Russe Arkadi Babtschenko kennt diese Problematik - und vor allem kennt er jene von Westeuropa ungern wahrgenommen Welt aus eigener Erfahrung. Er schreibt gegen diese Unwissenheit an, sucht nicht nur die russische, sondern auch die westliche Öffentlichkeit. Er kämpfte als russischer Soldat in Tschetschenien, das 1991 einseitig seine Unabhängigkeit erklärte. Russland hat zwar vor kurzem die staatliche Souveränität der kleinen georgischen Provinz Südossetien politisch und militärisch durchgesetzt, verweigert aber dem muslimischen Volk der Tschetschenen im eigenen Land nachhaltig jegliche Eigenständigkeit.
Die jüngsten Tschetschenienkriege wurden von 1994 bis 1996 und 1999 bis 2002 geführt, so zumindest die offizielle russische Darstellung. Ruhe aber ist in der sogenannten Provinz nicht eingekehrt.
Im Reportagestil rund um die Hauptperson Artjom berichtet Babtschenko von den Gedanken, Sorgen und Einsichten der Soldaten:
Was tat er hier? Was tat er, der Moskauer, der 23-jährige russische Junge mit juristischer Hochschulbildung, auf diesem fremden, überhaupt nicht russischen Feld, tausend Kilometer von zu Hause entfernt, in einem fremden Land, einem fremden Klima? Hier war alles unrussisch.
Wir erfahren, dass die russischen Zeitsoldaten schlecht ausgerüstet sind, dass es ihnen an Verpflegung mangelt und dass sich deshalb ihre Gedanken meist um Zigarettenrauchen und Essen drehen, zwischendurch aber immer wieder auch um den Sinn ihrer Anwesenheit in Tschetschenien:
Das waren die wahren Sorgen des Soldaten - was zwischen die Kiemen, zum Aufwärmen und zum Rauchen. Die leeren Mägen waren wichtiger als Pflichtgefühl und Krieg. Wenn der Soldat satt, sauber und warm angezogen wäre, würde er zehnmal besser kämpfen. Noch nicht ein einziges Mal in diesem ganzen Krieg hatte irgendjemand ihnen auf menschliche Art eine Aufgabe übertragen. Man wurde losgeschickt und hatte zu gehen. Verrecke, ohne zu murren, das war die Aufgabe.
Mittels einer außergewöhnlich bilderreichen Sprache gelingt es Babtschenko die Gefühlswelt der russischen Soldaten wiederzugeben, ihren Angstschweiß und ihre Nervenanspannung auf den Leser zu übertragen. Manche Bilder sind zeitlos und ortsungebunden. Sie offenbaren Soldatenleben, wie es immer war und immer sein wird:
Die Nächte des Südens sind schwarz, und die Augen sind nutzlos. Nachts muss man sich auf das Gehör verlassen. Da war ein Geräusch, also spannt der Körper sich aufs äußerste an, der Atem steht still, erstickt zwischen zusammengebissenen Zähnen, die Hand greift leise nach der MP. Der Kopf dreht sich langsam in Richtung Geräusch, möglichst ohne mit dem Nacken am Kragen zu scheuern, keinen Lärm machen, die Ohren nicht bei der Einschätzung der Situation stören.
Indem er den Leser intensiv Anteil nehmen lässt an fast jeder Minute des Schicksals und an den Ängsten der Hauptperson Artjom baut Babtschenko in moderner journalistischer Manier eine persönliche Bindung auf, die am Ende des Buches die eigentliche Dramatik der dargestellten Ereignisse voll zur Geltung bringt, als nämlich Artjom erkennt, warum er schuldig wird am Tod zweier unschuldiger Tschetschenen.
Ein Schlaglicht nur - von etwa zwei Tagen - stellt Babtschenkos Schilderung von den Kämpfen um Alchan-Jurt und Alchan-Kala dar, zwei Ortschaften in der Nähe der Hauptstadt Grosny. In Russland kennt fast jeder diese Namen, nicht aber in Deutschland. Wer weiß hierzulande schon, dass im Dezember 1999 im Dorf Alchan-Jurt, 15 Kilometer von Grosny entfernt, russische Soldaten ein Massaker unter tschetschenischen Zivilisten angerichtet und ihre Häuser geplündert haben?
Oder dass im Juni 2001 in Alchan-Kala in einem mörderischen Haus-zu-Haus-Kampf eine auf Russisch "Zachiska" genannte "Säuberung" durchgeführt wurde, die in der modernen Geschichte Ihresgelichen sucht?
Hier offenbart sich eine der Schwächen der deutschen Ausgabe. Der Rowoholt-Verlag lässt es an nötigen Erklärungen, die die Reportage von Babtschenko und seine Anspielungen einordnen, fehlen. Hinzu kommen eine Reihe von Schwächen in der Übersetzung: der militärische Anführer eines Infanterie-Zuges heißt auf Deutsch nicht "Kapitän", sondern Hauptmann und die russische Panzerfaust "Mucha" ist keine "Panzerbüchse". Die "Mucha" - das heißt auf Deutsch "Fliege" - ist - anders als eine Panzerbüchse - eine sogenannte Wegwerfwaffe für den einmaligen Gebrauch. Deshalb zögert der Major auf Seite 79, ob er die "Mucha" verschießt oder für ein besseres Ziel aufbewahrt, am Ende mit tragischen Folgen. Diesen technischen Zusammenhang kann man als herkömmlicher Leser nicht verstehen.
Doch solcherart nicht vom Autor verursachte Schwächen kann man getrost beiseite schieben.
In der Tradition der sprachgewaltigen russischen Erzählkunst führt Babtschenko die Logik des Krieges - eines jeden Krieges vor Augen. Gegen Ende des Buches wird der Leser Zeuge, wie Artjom beiläufig von einem Kameraden erfährt:
Erinnerst du dich, gestern, als die Tschechos bei Alchan-Jurt auf uns eingeballert haben? Weißt du bei diesem Schusswechsel haben wir ein Mädchen getötet. Ein achtjähriges Mädchen und einen alten Mann.
Artjom wird plötzlich bewusst, auf welche Weise es im Krieg dazu kommen kann, dass man als Soldat Unschuldige tötet. Er selbst hatte, in der vagen Annahme, im Haus befänden sich tschetschenische Rebellen, einen Feuersturm auf das Gebäude gelenkt, in dem zwei Menschen eigentlich nur Zuflucht suchten:
Artjom dachte an den gestrigen Kampf zurück. Er stellte sich vor wie das Mädchen und ihr Großvater in den Keller laufen wollten, als der Beschuss einsetzte. Sie war sofort tot, das Geschoss jagte durch ihren Bauch, sie schwankte nach vorn, ihm entgegen, und aus ihrem Rücken riss es Gedärme heraus und spritzte sie an die Wand. Ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert und fiel auf dem dünnen Hals nach hinten. Ihre Augen schlossen sich nicht, unter den Lidern waren die toten Pupillen zu sehen. Und der Großvater kroch in ihrem Blut umher und schüttelte den leblosen Leib, und er heulte und verfluchte die Russen.
Mehr gibt es dazu nicht mehr zusagen.
Das Buch von Arkadi Babtschenko: "Ein guter Ort zum Sterben". ist im Rowohlt Verlag erschienen. 128 Seiten, für 14 Euro 90. Tom Goeller hat es für uns gelesen.