Er halte es auch für unangebracht von einigen Regierungen, "hier von Hausaufgaben zu sprechen, als sei die griechische Regierung ein Schulkind", sagte Liebich. Die Beziehungen zwischen Russland und Griechenland seien sehr traditionell und alt aus kulturellen, religiösen, aber auch aus "handfesten wirtschaftlichen" Gründen. Er halte es für legitim, dass man kontroverse Auffassungen zu den Sanktionen gegen Russland habe. Er teile die griechische Kritik, sagte Liebich, denn er halte die Sanktionspolitik für wirtschaftlich schädlich und politisch nicht erfolgreich. Wenn man einen Konsens in der EU haben wolle, dann werde man über unterschiedliche Positionen diskutieren müssen. Das könne man nicht durch Ansagen aus Brüssel lösen.
Was immer Herr Tsipras vorschlage, werde immer sofort in einen Zusammenhang gestellt mit der Diskussion über die Zukunft Griechenlands und die Zusammenarbeit Griechenlands mit der EU, kritisierte Liebich. Die Regierung sei gewählt worden, um die Interessen ihres Landes zu vertreten. Und das tue sie. Die griechischen "Partnerparteien" von CDU und SPD in Griechenland seien nie so kritisiert worden.
Die jetzige griechische Regierung habe gesagt, dass der jetzige Kurs der EU falsch sei. Und deswegen sei sie gewählt worden. Dass es kompliziert sei, eine andere Politik zu machen und gleichzeitig keinen Schritt alleine machen zu können, sei klar. Griechenland brauche hier die Luft zum Atmen, um ein Agreement mit der EU zu erzielen. Die griechische Regierung wolle das. Wenn beide Seiten dazu bereit wären, dann werde es auch eine Lösung geben.
Man habe bereits der Verlängerung des letzten Griechenland-Pakets zugestimmt, mit dem Argument, dass die neue griechische Regierung eine Chance erhalten solle, sagte Liebich. Wenn es einen neuen Vorschlag gebe, dann werde er geprüft und dann werde entschieden. Er halte es für wahrscheinlich, dass ein Vorschlag für ein drittes Hilfspaket komme. Er wolle aber nicht von vorne herein einen Blankoscheck erteilen oder es ablehnen. So, wie die Lage sei, werde es so sein, dass Griechenland und die EU über weitere Maßnahmen sprechen müssten, sagte Liebich.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Immer noch laufen die Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Geldgebern zur Frage: Wie muss das Reformprogramm der neuen Regierung aussehen, wenn eine Verlängerung der Kredite und eine Auszahlung der letzten Tranche möglich werden soll? Das Ringen in der Frage gestaltet sich nach allem, was wir hören, zäh, obwohl Athen kurz vor der Pleite steht. In dieser Situation schickt sich Ministerpräsident Tsipras an, in Moskau vorstellig zu werden, was in Brüssel aufhorchen lässt. Spitzenpolitiker der EU sehen sich zu unmissverständlichen Warnungen veranlasst – die Sorge, Tsipras könnte versuchen, die Geldgeber Griechenlands durch eine Art Schaukelpolitik zu Zugeständnissen zu zwingen. Über Ostern hielt sich Finanzminister Varoufakis beim IWF in Washington auf – dazu Ralf Siena.
Der Bericht von Ralf Siena, und mitgehört hat Stefan Liebich, Obmann im Auswärtigen Ausschuss für die Partei Die Linke. Guten Morgen, Herr Liebich!
Stefan Liebich: Guten Morgen, Herr Heckmann!
Heckmann: Tsipras als Putins Trojaner – wie groß ist die Gefahr, dass es dazu kommt?
Liebich: Ich halte das für eine völlig falsche Beschreibung und ich finde auch den Tonfall, den ja einige Politiker aus der EU anschlagen, unangebracht, hier von Hausaufgaben zu sprechen, als sei die demokratisch gewählte griechische Regierung ein Schulkind. Das ist nicht richtig. Die Beziehungen zwischen Russland und Griechenland sind sehr traditionell und sehr alt. Da gibt es kulturelle Gründe, religiöse Gründe, aber auch handfeste wirtschaftliche Gründe, weswegen übrigens auch der Vorgänger von Herrn Tsipras, Herr Samaras, vor einem Jahr sich mit Herrn Putin getroffen hat. Da war die Aufregung deutlich geringer.
"Kontroverse Auffassungen zu den Sanktionen"
Heckmann: Aber, Herr Liebich, Athen hat ja durchblicken lassen, dass man möglicherweise bei einer weiteren Verlängerung – das steht ja demnächst an – der Sanktionen gegen Russland oder einer Ausweitung nicht mitmachen werde. Das heißt, der Verdacht, dass Tsipras die Geldgeber unter Druck setzen will, indem er die russische Karte zieht, der ist doch da?
Liebich: Na ja, dass man kontroverse Auffassungen zu den Sanktionen haben kann, das ist ja legitim. Das hat die griechische Regierung und die sie tragende Partei Syriza von Anfang an deutlich gemacht. Ich teile diese Kritik im Übrigen, weil ich die Sanktionspolitik der EU für wirtschaftlich schädlich und politisch nicht erfolgreich halte. Wenn man einen Konsens in der EU haben möchte, das verstehe ich ja, dass die EU das will, dann wird man über unterschiedliche Positionen diskutieren müssen. Das kann man nicht durch Ansagen aus Brüssel lösen.
Heckmann: Also inhaltlich würden Sie da mitgehen. Das ist natürlich wenig überraschend, die Position Ihrer Partei dazu ist ja bekannt. Aber halten Sie das denn für ausgeschlossen, dass Tsipras dieses Thema als Hebel sozusagen benutzen wird bei den Verhandlungen, die anstehen und ja im Gang sind mit den Geldgebern?
Liebich: Was immer Herr Tsipras vorschlägt, wird sofort in einen Zusammenhang gestellt mit der gegenseitigen Diskussion über die Zukunft Griechenlands und die Zusammenarbeit der EU und Griechenland. Das war bei der Frage der Reparationen so und das ist jetzt bei der Frage der Zusammenarbeit mit Russland so. Dem kann er sich wahrscheinlich nicht entziehen. Ich stecke da nicht im Kopf der griechischen Regierung. Ich glaube, dass das alles legitime Themen sind. Die griechische Regierung hat die Verantwortung, die Interessen ihres Landes zu vertreten, dafür ist sie gewählt worden und das tut sie, und da habe ich nichts dran zu kritisieren.
Heckmann: Schon im Vorfeld der Reise gibt es zahlreiche Warnungen vonseiten Brüssels und anderer europäischer Hauptstädte. Was sagt das über die Stimmungslage in Brüssel und dort?
Liebich: Wahrscheinlich ist es das schlechte Gewissen, denn die Parteien, die jahrzehntelang Griechenland ruiniert haben, die Pasok und die Nea Dimocratia, also die Partnerparteien von CDU und SPD hier in Deutschland, die sind ja nie so kritisiert worden. Und jetzt ist endlich eine Regierung dort an der Macht, die ernsthaft die Reichen besteuern will, was die Regierungen zuvor nie getan haben, die tatsächlich auch eine andere Politik in der EU will, das muss man ja nicht teilen, aber das ist deren Position, und da ist die Aufregung groß. Aber ich glaube, das lässt sich nicht durch Ansagen aus der dritten Reihe der deutschen Politik lösen, sondern durch ernsthafte Gespräche, und die werden ja im Übrigen auch geführt.
"Griechenland braucht die Luft zum Atmen"
Heckmann: Diese Gespräche werden geführt, aber diese Gespräche sind auch extrem zäh, das haben wir beobachtet in den letzten Tagen und Wochen. Athen lässt sich offenbar Zeit mit der Arbeit an der Sparliste. Sehen Sie das nicht als Provokation gegenüber den Geldgebern, die wirklich Abermillionen und -milliarden dort reinstecken?
Liebich: Nein, überhaupt nicht, weil eines ist ja klar: Die jetzige griechische Regierung hat gesagt, dass der Kurs der Europäischen Union falsch war. Deswegen ist sie gewählt worden von der Mehrheit der Bevölkerung in Griechenland, und die sieht das immer noch so. Und die Regierung hat auch große Unterstützung in der Bevölkerung. Und dass es kompliziert ist, wenn ein kleines Land in der EU sagt, die Grundlinie ist falsch, und versucht, auf dieser Basis neue Entscheidungen herbeizuführen, auf der anderen Seite aber kaum einen Schritt allein machen kann, das ist ja klar. Ich finde, hier braucht Griechenland die Luft zum Atmen, um ein Agreement mit der EU zu erzielen. Sie wollen das. Herr Varoufakis hat gerade in Washington gesagt, sie wollen eine Lösung innerhalb der europäischen Familie, innerhalb der EU und nicht außerhalb, und wenn beide Seiten dazu bereit sind, dann wird es auch Lösungen geben.
Heckmann: Dennoch ist nicht ganz ausgeschlossen, Herr Liebich, dass es doch noch zu einem wenn auch unbeabsichtigten Austritt aus der Eurozone kommen könnte, dem sogenannten Grexit. Der belgische Finanzminister hat das dieser Tage noch einmal nicht ausgeschlossen. Sehen Sie die Gefahr, dass es dazu kommen könnte?
Liebich: Ich hoffe das nicht. Das wäre eine Katastrophe für alle Seiten. Die griechische Regierung will das nicht, das hat sie immer wieder betont, weil sie weiß, wie schlecht das für die Bevölkerung in Griechenland wäre, und wir sollten das auch nicht wollen, weil wir werden dann viele Milliarden Euro, die bisher Bürgschaften sind, abschreiben, und wir werden auch viele Produkte aus der Europäischen Union, auch aus Deutschland, dann nicht mehr nach Griechenland verkaufen können, weil die Drachme nicht den entsprechenden Gegenwert liefert. Ich glaube, dass das nicht klug ist und dass man mit solchen Gedankenspielen und Horrorszenarien sehr sparsam sein sollte.
Heckmann: Ziemlich klar ist allerdings, dass es ein drittes Hilfspaket für Griechenland wird geben müssen. Die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, die hat dieser Tage allerdings gesagt, dafür gibt es derzeit keine Grundlage und hat auf die fehlende Sparliste aus Athen verwiesen. Und Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt, die hat durchblicken lassen, man stünde bereit. Sie als Linke haben ja bisher immer abgelehnt, diese Hilfskredite. Wie würden Sie dazu stehen, wenn ein drittes Hilfspaket wirklich nötig wird?
Liebich: Wir haben ja der Verlängerung des letzten Hilfspakets zugestimmt mit großer Mehrheit, da gab es eine Kontroverse in unserer Fraktion, aber dann haben wir zugestimmt, und zwar genau mit dem Argument, dass wir wollen, dass die neue griechische Regierung eine Chance hat. Wenn es einen neuen Vorschlag gibt, auf den sich Griechenland und die EU geeinigt haben sollten, dann werden wir den prüfen und dann eine Entscheidung treffen. Im Moment sieht es noch nicht so aus, als wenn daran gearbeitet würde. Aber wenn so ein Vorschlag da ist, dann schauen wir ihn uns an und entscheiden dann.
Heckmann: Also Sie halten das nicht für eine ausgemachte Sache, dass das auf uns zukommen wird?
Liebich: Ehrlich gesagt halte ich es eher für wahrscheinlich, aber wir müssen dann darüber reden, wenn der Vorschlag vorliegt, und deswegen will ich nicht schon im Vorhinein einen Blankoscheck erteilen oder hier sagen, wir machen das keinesfalls. Aber so, wie die Lage ist, wird es wohl so sein, dass die Europäische Union und Griechenland über weitere Maßnahmen miteinander sprechen müssen, und dann muss auch der Bundestag entscheiden.
"Wir müssen uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen"
Heckmann: Der griechische Vize-Finanzminister Mardas, der hat jetzt erstmals die Höhe der Reparationsforderung gegenüber Deutschland beziffert: 278 Milliarden Euro hat er sozusagen als Forderung auf den Tisch gelegt. Ist das glücklich, das Thema gerade jetzt zu präsentieren und diese Themen zu verquicken?
Liebich: Ja, auch das ist ja ein Thema, das bereits die Vorgängerregierung angepackt hat und das in der griechischen Politik schon lange diskutiert wird, und hier gibt es unterschiedliche Dinge. Nazi-Deutschland hat damals Griechenland eine total unberechtigte Zwangsanleihe abgepresst, es gab ein unglaublich brutales und hartes Besatzungsregime mit vielen, vielen Toten. Ich finde es legitim, dass Deutschland und Griechenland das diskutieren. Dazu wird auch eine Arbeitsgruppe eingesetzt, da hat auch die deutsche Regierung ihr Einverständnis zu erklärt. Und die Summe, die jetzt beziffert wurde, ist das Ergebnis der Arbeit eines Parlamentsausschusses in Griechenland. Ich finde, wir müssen uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen überall, auch in Griechenland, und ich würde das nicht mit der aktuellen Schuldenkrise in einen Topf werfen.
Heckmann: Aber die Bundesregierung, die hält dieses Thema für beendet und für abgehakt.
Liebich: Da halte ich die Position der Bundesregierung für falsch und unsere Fraktion hat auch einen entsprechenden Antrag in den Geschäftsgang des Bundestages eingebracht.
Heckmann: Wir werden sehen, wie sich das Thema weiterentwickelt. Stefan Liebich war das hier im Deutschlandfunk, Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss. Herr Liebich, danke Ihnen für das Gespräch!
Liebich: Gern geschehen, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.