Es empfiehlt sich, die Lektüre von Tsitsi Dangarembgas Roman-Trilogie um die Hauptfigur Tambudzai mit dem ersten Band "Aufbrechen" zu beginnen. Nicht nur der Chronologie wegen, sondern auch, weil es für eine europäische Leserin gar nicht so einfach ist, sich Tambudzai anzunähern.
Natürlich lässt Tsitsi Dangarembga die nötigen biografischen Informationen einfließen: Tambu ist ein Mädchen aus einem simbabwischen Dorf, das nur zufällig eine höhere Schulbildung bekam, weil der Bruder starb. Sie ist vom Unabhängigkeitskrieg geprägt, in dem unter anderem die Schwester ein Bein verlor.
Auf ihren schmalen Schultern lasten die Erwartungen und Hoffnungen der ganzen Familie. Dennoch bleibt einem die Protagonistin lange fremd, wenn man ihre Vorgeschichte nur in kurzen Rückblenden erfährt.
Eine Protagonistin, die einem lange fremd bleibt
"Überleben" steigt mit der erwachsenenTambudzai ein, die gerade aus verletztem Stolz ihren Job in einer Werbeagentur gekündigt hat. Sie lebt jetzt in der Hauptstadt Harare in einem verwahrlosten Zimmer, das eine alte Witwe vermietet:
"In den ersten Tagen bei Mai Manyanga quälst du dich mit dem Gedanken, dass du nur dir selbst die Schuld für den Verlust der Stellung als Werbetexterin geben kannst. Du hättest die weißen Männer ertragen sollen, die ihren Namen unter deine Slogans und Reimpaare setzten. Du verbringst viel Zeit damit zu bedauern, dir dein eigenes Grab geschaufelt zu haben, nur weil du auf einem Prinzip beharrt hast. Dein Alter verhindert, einen anderen Job in der Branche zu finden, die Kreativabteilungen sind heutzutage von jungen Leuten mit Irokesenschnitt und Piercings in den Augen- brauen, in der Zunge und im Nabel besetzt."
In der Abwärts-Spirale
Die Erzählstimme spricht Tambudzai, deren Erlebnisse aus der Nahperspektive beschrieben werden, konsequent mit "du" an. Vielleicht spricht auch Tambudzai selbst, die von außen auf sich blickt. Diese distanzierte Erzählhaltung ist inhaltlich begründet. Denn Tambu wirkt wie betäubt, gefangen in ihren Erlebnissen und Traumata, dem Krieg, den Familiendramen und den Diskriminierungserfahrungen.
Der erste Teil des Romans ist "Abwärts" überschrieben, wohin Tambudzais Reise zunächst geht. Sie vegetiert in ihrem verdreckten Zimmer vor sich hin, ernährt sich von aus dem Garten der Witwe gestohlenem Gemüse und scheint jeglichen Ehrgeiz verloren zu haben. Als eine Verwandte Tambus im Haus der Witwe auftaucht, fasst die Erzählstimme das Tambudzai beherrschende Gefühl in Worte:
"Angst, deine wiederkehrende Furcht, dass du nicht ausreichend Fortschritte hin zu Sicherheit und einem anständigen Leben gemacht hast, sticht dich wie Nadeln, als das Wort ,Dorf' fällt."
Angst, zu scheitern
An anderer Stelle heißt es, Tambudzai verfolge mit aller Kraft das "Projekt, achtbar zu werden". Die Angst zu scheitern, vor allem in den Augen ihrer Familie, hält sie immer wieder davon ab, die Initiative zu ergreifen.
Es folgt eine kurze Episode als Biologielehrerin - zu dieser Bewerbung rafft sich Tambudzai schließlich auf. Doch als die Schülerinnen sie nicht respektieren, gerät sie unter Druck. So sehr, dass sie eine Schülerin schwer verletzt und in die Psychiatrie eingewiesen wird. Auch der Ärztin gegenüber kann Tambu sich nicht öffnen:
"Du kannst ihr nicht sagen, dass sich immer alles wiederholt, dass es auch dieses Mal wie damals mit deiner Mutter war, dass du nicht anerkannt wurdest, weil es geboten war, eine andere zu bevorzugen, deine weiße Klassenkameradin. Stattdessen sprichst du vom Krieg, wie er die Nerven aller und viele Körper zerstört hat, wie Zwillinge in deiner Schule ihre Eltern verloren, deine Schwester ihr Bein und Babamukuru seine Fähigkeit zu gehen. Du sagst dir selbst, dass du nicht weinen wirst, und tust es nicht."
Aufstehen und Weitergehen
"Eine strahlende Antiheldin" hat ein amerikanischer Rezensent die Hauptfigur genannt, und das trifft es. Denn Tambudzais bedingungsloser Aufstiegswille, ihre Egozentrik, ihre Mitleidlosigkeit, ihr Zynismus sind abstoßend. Und doch ist sie eine beeindruckende Frau, die trotz vieler herber Rückschläge immer wieder aufsteht und weitergeht.
Als "Frau ohne Optionen" sieht Tambudzai sich selbst, trotz aller Diplome. Und damit steht sie stellvertretend für eine ganze Generation, wenn nicht gleich für alle Frauen, die in Simbabwe Tag für Tag um sozialen Aufstieg, Anerkennung oder auch nur um eine geregelte Existenz kämpfen. An Tambus Wegrand bevölkern viele schwarze Frauen den Roman, die durch Neid, Korruption oder Gewalt ausgebremst werden. Selbst die weiße, eigentlich privilegierte Chefin einer Tourismusagentur, die Tambudzai schließlich anstellt, gerät zwischen die politischen Fronten und muss um ihr Geschäft fürchten. Durch diesen Panoramablick wird "Überleben" zu einem gleißenden Schlaglicht auf die Situation von Frauen in Simbabwe.
Verweise auf das Werk Teju Coles
"This Mournable Body" heißt Tsitsi Dangarembgas Roman im Original. Sie bezieht sich damit auf einen Essay ihres Schriftsteller-Kollegen Teju Cole von 2015. Cole beklagte in "Unmournable Bodys" anlässlich des Anschlags auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo", dass die Weltöffentlichkeit immer nur die westlichen Opfer von islamistischen Anschlägen beklage. Um die zahlreichen Opfer zum Beispiel in der islamischen Welt dagegen könne nicht kollektiv getrauert werden, sie seien "unmournable". Wie Teju Cole weist Tsitsi Dangarembga mit ihrem Roman auf diejenigen Unterdrückten hin, die die Weltöffentlichkeit allzu selten im Blick hat: auf afrikanische Frauen in den Zwängen von race, Alter, sozialer Schicht. Dass sie dieses politische Statement in einen atemberaubenden Roman kleidet, beweist Tsitsi Dangarembgas literarische Klasse.
Tsitsi Dangarembga: "Überleben"
Aus dem Englischen von Anette Grube
Orlanda Verlag, Berlin. 376 Seiten, 24 Euro.
Aus dem Englischen von Anette Grube
Orlanda Verlag, Berlin. 376 Seiten, 24 Euro.