Jule Reimer: Um Transparenz geht es heute auch im Handelsausschuss des EU-Parlaments. Dieser muss Empfehlungen für die weiteren Verhandlungen des geplanten Freihandelsabkommens TTIP zwischen der EU und den USA aussprechen - Empfehlungen, die im Juni dann im gesamten Parlament abgestimmt werden. Unter anderem geht es um die Rolle der umstrittenen Schiedsgerichte, falls Investoren gegen Gesetze auf Schadenersatz klagen, weil sie sich in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten eingeschränkt fühlen. Helga Springeneer beobachtet für die Verbraucherzentrale Bundesverband die TTIP-Verhandlung. Sie gehören zu den Kritikern des weitreichenden Investorenschutzes. Stellen Sie denn die bisherigen Reformvorschläge, die ja bisher auch noch gar nicht angenommen sind - also zum Beispiel mehr Transparenz, Berufungsmöglichkeiten et cetera - zufrieden?
Helga Springeneer: Also die Vorschläge, die zumindest von einigen Handelsministern aus den EU-Mitgliedstaaten vor einigen Wochen auf den Tisch gelegt worden sind, die gingen schon in eine deutlich bessere Richtung, weil sie den Finger in die richtige Wunde gelegt haben. Wir kaprizieren uns nämlich in der Diskussion viel zu sehr auf die Schiedsgerichte und müssen zunächst einmal darauf achten, dass wir den Anwendungsbereich für den Investorenschutz vernünftig begrenzen, also hier Ausländer - ausländische Investoren - nicht gegenüber inländischen Investoren bevorzugen, und da gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, die wir auch in dem ersten Bericht, über den heute in diesen Minuten abgestimmt wird, wiedergefunden haben. Wir haben nach wie vor einige Bedenken, was bestimmte Definitionen anbelangt, also wir sehen nach wie vor in so einer Ansammlung von unbestimmten Rechtsbegriffen einfach die Möglichkeit, dass hier doch der Investitionsschutz sehr weit interpretiert werden kann.
"Wir warten heute eben sehr gespannt darauf, wie hier entschieden wird"
Reimer: Geben Sie doch mal ein Beispiel, wo der Verbraucherschutz dann durch diese bestimmten Begriffe infrage gestellt werden könnte.
Springeneer: Also es gibt einen ganz großen Streitpunkt um die Definition des Begriffspaares "faire" und "gerechte Behandlung": Also ein klagender Investor wird sich beispielsweise darauf berufen, dass er in einem Staat nicht fair und nicht gerecht behandelt worden ist und dass es immer ...
Reimer: Eine Zuckersteuer eingeführt wird oder so.
Springeneer: Beispielsweise, genau. Oder weil eine neue Kennzeichnungspflicht eingeführt worden ist oder eingeführt werden soll. Und hier ist es dann so, dass die Investitionsschiedsgerichte, die Schiedsrichter natürlich auch gewisse Interpretationsspielräume haben, weil wir haben ja anders als zum Beispiel in der Bundesrepublik kein klar geregeltes System von erster Instanz, zweiter Instanz, Bundesgerichtshof, Bundesverfassungsgericht, was ja dann vielleicht auch Entscheidungen der unteren Gerichte dann noch mal widerrufen kann, sondern es gibt im Moment halt eben nur ein Schiedsgericht, was hier dann halt eben auch die Maßstäbe vorgibt. Und aus den vergangenen Fällen wissen wir einfach, also aus den vergangenen Schiedsverfahren wissen wir einfach, dass es Schiedsrichter gibt, die solche Begriffspaare sehr, sehr weit interpretieren. Und hier muss einfach dafür gesorgt werden, dass es ganz klare, unmissverständliche Definitionen gibt, die halt dann auch von Schiedsrichtern später nicht eng oder weit interpretiert werden können, sondern in einer klaren Marschrichtung. Also das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wie gesagt, den hat der erste Entwurf des Handelsausschusses im Europäischen Parlament auch gesehen und jetzt warten wir heute halt eben sehr gespannt darauf, wie hier entschieden wird.
"Bei CETA nach wie vor die Schlupflöcher"
Reimer: Blicken wir mal ein bisschen weiter: Falls jetzt tatsächlich diese Investor-Staat-Klageverfahren im Rahmen von TTIP reformiert würden, dann bleibt ja immer noch dieses bereits ausgehandelte Freihandelsabkommen CETA zwischen EU und Kanada, in dessen Rahmen ja diese alten schärferen Investorenklagerechte im Augenblick noch bestehen, falls es so unterschrieben wird. Und US-Firmen mit Sitz in Kanada könnten ja dann über diesen Weg klagen. Glauben Sie, dass CETA vor der Unterschrift - der endgültigen - noch aufgeschnürt wird? Es hieß ja immer, eigentlich kann man das nicht machen.
Springeneer: Genau. Also zunächst einmal muss man fairerweise einräumen, dass der Verhandlungstext von CETA, was den Investitionsschutz anbelangt, auf jeden Fall deutlich besser ist als die früheren alten Abkommen - Investitionsschutzabkommen -, aber auch bei CETA sehen wir halt eben nach wie vor die Schlupflöcher, die ich jetzt vorhin mal an einem Beispiel genannt habe. Wir haben zum Beispiel auch bei CETA nach wie vor keine zweite Instanz, also keinen Berufungsmechanismus, und jetzt kommt es darauf an - wir befinden uns bei CETA in dem Stadium, wo der Text, der Verhandlungstext, einer juristischen Überprüfung unterzogen wird, und das kann man halt eben auch sehr eng oder auch ein bisschen weiter praktizieren, und da ist auch nicht wirklich bekannt, wie da im Hintergrund die Verhandlungen laufen. Also es gibt offensichtlich Bemühungen, hier diese juristische Überprüfung des Textes dafür zu nutzen, dass man da auch noch mal das eine oder andere Element - beispielsweise Berufsrichter, beispielsweise eine Berufungsinstanz - noch hineinzubekommen, aber auch das ist im Moment unklar, wie das ausgehen wird. Und wenn es sehr eng interpretiert wird - dann können Sie recht haben -, dann kann es sein, dass unter bestimmten Voraussetzungen amerikanische Unternehmen, die ihren Sitz in Kanada haben, sich dann auf den dortigen Investitionsschutz von CETA berufen können.
Reimer: Warten wir also ab, wie der EU-Handelsausschuss im Parlament heute entscheidet. Das war Helga Springeneer vom VZBV über die TTIP-Verhandlungen in Brüssel, wo heute Weichen gestellt werden. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.