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TTIP-Enthüllungen
"Das kann nur noch Murks geben"

Nach der Veröffentlichung bisher geheimer TTIP-Dokumente fordern Teile der SPD einen Abbruch der Verhandlungen. Die Dokumente zeigten, dass sich die USA auch nach Jahren in vielen zentralen Punkten kein Stück bewegten, sagte Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion, im DLF.

Matthias Miersch im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Matthias Miersch (SPD) bei einer Rede im Deutschen Bundestag
    Matthias Miersch (SPD) bei einer Rede im Deutschen Bundestag. (dpa / picture-alliance / Britta Pedersen)
    Tobias Armbrüster: Was ändert sich für TTIP mit diesem Tag? Was ändern die geleakten Dokumente wirklich? Vom linken Flügel der SPD ist bereits zu hören, die TTIP-Verhandlungen sollten jetzt abgebrochen werden. Sprecher der Parlamentarischen Linken bei der SPD ist Matthias Miersch. Ich habe kurz vor dieser Sendung mit ihm gesprochen. - Schönen guten Abend, Herr Miersch.
    Matthias Miersch: Guten Abend, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Miersch, was in diesen TTIP-Dokumenten drinsteht, das ist nicht wirklich neu, oder?
    Miersch: Na ja, zumindest ist es nicht so exklusiv, wie es scheint. Allerdings kann man schwarz auf weiß nachlesen, dass die großen Vorbehalte, die es seit langer Zeit gibt, dass die bestätigt sind, wenn es um beispielsweise den festen Grundsatz, um die Vorsorgesicherheit geht, um den Vorsorgegrundsatz. Da haben wir, was Lebensmittelsicherheit angeht, große, große Fragezeichen vorgefunden, und das deckt sich gerade mit dem großen Misstrauen, was wir ja allerorts spüren.
    Armbrüster: Das Problem ist ja nur, es handelt sich bei diesen Dokumenten und ihren Inhalten nur um Verhandlungspositionen, nicht um etwa das Ende oder das Ergebnis von Verhandlungen. Ist das nicht das generelle Problem bei diesen Papieren: sie sind viel zu vage, um daraus irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen?
    Miersch: Das stimmt und als Jurist sage ich natürlich kommt es auf den Vertragstext selbst an. Aber wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben ja immer gesagt, wir wollen verhandeln, und ich finde, man muss sich jetzt ehrlich machen. Das sind nicht nur die geleakten Dokumente, die mich jetzt zum Zweifeln bringen, sondern natürlich vor allen Dingen auch der Verhandlungsstand, den wir hören, dass sich die Amerikaner null bewegen in den wichtigen Themen um Vorsorgegrundsatz, Lebensmittelsicherheit, aber auch um den Investitionsschutz, und wir können von allen Präsidentschaftsbewerbern vernehmen, dass sie TTIP auch nicht wollen, dass sie dort sehr kritisch gegenüberstehen. Insofern finde ich ist der Zeitpunkt gekommen, wo man sich ehrlich machen muss und sagen muss, nach dem derzeitigen Verhandlungsstand wird es nicht möglich sein, einen Vertragstext zu finden, der in irgendeiner Form unseren Ansprüchen genügt.
    Armbrüster: Jetzt sagt aber Ihr eigener Parteichef Sigmar Gabriel, es wird TTIP nur geben, wenn es keine Schiedsgerichte gibt und wenn die europäischen Standards eingehalten werden. Haben Sie kein Vertrauen zu ihm?
    Miersch: Doch! Ich habe volles Vertrauen. Wir haben nämlich als SPD mit Sigmar Gabriel zusammen ganz klar gesagt: Wir verhandeln, wir halten es auch für wichtig, Regeln für die Globalisierung aufzustellen. Aber wir haben gleichzeitig rote Linien benannt, und in diesen roten Linien spielt zum Beispiel der Vorsorgegrundsatz, aber spielen auch die Fragen um den Investitionsschutz eine wesentliche Rolle. Und wenn ich jetzt feststelle, nach vielen, vielen Monaten, ja Jahren Verhandlungen, da bewegt sich nichts auf der anderen Seite, dann finde ich ist irgendwann der Punkt gekommen, wo man sagen muss, so geht es nicht und lasst uns das stoppen.
    "Viele unbestimmte Rechtsbegriffe"
    Armbrüster: Aber, Herr Miersch, ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wie Sie zu dieser Schlussfolgerung kommen können, da bewegt sich nichts, wenn wir rein aus diesen Dokumenten nur lesen können, das ist die Verhandlungsposition oder jene. Da zeigt sich doch noch gar nicht, welches Ergebnis oder welcher Grundsatz da aufgestellt wird.
    Miersch: Na ja. Die Administration von Barack Obama endet und das ist sichtbar. Und wir haben jetzt viele Monate um die wichtigen Punkte gestritten, jedenfalls die Europäische Kommission beziehungsweise deren Unterhändler. Wenn wir jetzt aus den Dokumenten erkennen, dass scheinbar nach wie vor und zwar aktuell unüberbrückbare Hürden da sind, wenn wir gleichzeitig erkennen, dass sich die Verhandlungsführer null bewegen, und gleichzeitig sehen, dass potenzielle Nachfolger von Barack Obama völlig anders sich verhalten als er selbst, der wohl dieses Abkommen will, aber der selbst auch keine Kraft hat, um nennenswerte Änderungen bei den Verhandlungen durchzusetzen, dann finde ich ist es gerechtfertigt zu sagen, Leute, das kann nur noch Murks geben, was es da gibt, und die Vorbehalte, die wir immer haben, sind gerechtfertigt, also lasst es uns beenden.
    Armbrüster: Aber Sie würden zugeben, dass das, was Sie da jetzt schildern, reine Interpretationen sind, dass man das durchaus auch völlig anders sehen kann?
    Miersch: Am Ende einer solchen Verhandlung steht im Zweifel ein Vertragstext, und dieser Vertragstext wird sicherlich ganz viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Wenn ich jetzt aber schon weiß, dass nach langer Verhandlungsdauer bestimmte Positionen, gerade zentrale Fragen des Investitionsschutzes, aber auch zum Beispiel des Vorsorgeprinzips, dass da null Bewegung ist, dann weiß ich, dass die Amerikaner am Ende immer wieder diese unbestimmten Rechtsbegriffe anders auslegen werden. Und deswegen glaube ich muss man sagen, wir müssen das Ganze auf neue Fundamente stellen, wenn eine neue Regierung gewählt ist, aber jetzt bitte lasst es nicht so machen. Anders im Übrigen als bei CETA, bei dem kanadischen Abkommen, wo wir eine Regierung im Moment haben, die bis zum heutigen Tag verhandeln will über einen Vertragstext, der vorliegt.
    Armbrüster: Herr Miersch, jetzt sagt die Bundesregierung allerdings, TTIP wollen wir jetzt erst recht möglichst zügig abschließen. Ihre Partei, die SPD ist Teil dieser Bundesregierung. Was soll Sigmar Gabriel jetzt machen?
    Miersch: Ich glaube, er muss die Kanzlerin auffordern, jetzt von der amerikanischen Seite mit der Europäischen Kommission natürlich zusammen, denn die Bundesrepublik Deutschland verhandelt ja nicht alleine, zu sagen: Ist das so, wie augenblicklich aus den Dokumenten hervorgeht? Was sagen die Verhandlungsführer? Und wenn wir dort genau das bestätigt bekommen, was wir augenblicklich ja wahrnehmen können, dann finde ich muss diese Bundesregierung auch sagen, so geht es nicht. Denn auch Frau Merkel verspricht ja den Leuten die ganze Zeit, es wird sich an Standards nichts verändern. Aber genau das Gegenteil zeigen die Dokumente.
    Armbrüster: Matthias Miersch war das, Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank, Herr Miersch, für das Gespräch.
    Miersch: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.