Bisher führe die EU-Kommission die Gespräche "nach Art der Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts", so Pinzler. Viele Bürger hielten dies inzwischen nicht mehr für angemessen, da die Folgen in ihr Leben hineinreichten - daher auch die hohe Teilnehmerzahl bei den Anti-TTIP-Protesten. Vertrauen allein reiche nicht: "In einer Demokratie braucht man eben auch Kontrolle."
Zwar brauchten auch Regierungen vertrauliche Gespräche. Doch Texte, die später Gesetzeskraft erlangten, müssten einsehbar sein - gerade auch für die Abgeordneten, die sonst nur am Ende über das fertige Abkommen abstimmen könnten. "Und es ist schwer, ganz am Ende stop zu sagen zu einem Vertrag, der ein riesiges Paket ist, das erfordert viel Mut", sagte die Journalistin. "Besser ist es, wenn man wie in einem normalen Gesetzgebungsverfahren schon in der Entstehungsphase sagen kann: Schaut mal, da ist ein Problem." In den vergangenen Wochen habe es eine Vielzahl solcher Hinweise gegeben, weil viele Dokumente gegen den Willen der EU-Kommission an die Öffentlichkeit gelangten. Auch deswegen verhandele die Kommission inzwischen ganz anders.
Das Beispiel der ursprünglich vorgesehenen privaten Schiedsgerichte etwa zeige, "wie wunderbar öffentliche Kritik sein kann". Erst diese habe dazu geführt, dass die europäische Politik das Problem aufgenommen und nun den Vorschlag eines Internationalen Handelsgerichtshofs eingebracht habe. Sie glaube nicht, dass man in entwickelten Rechtsstaaten Schiedsgerichte mit besonderen Investorenrechten brauche, sagte Pinzler. Denn bei diesen könnten immer nur die Unternehmen gewinnen. Regierungen in schwächeren Ländern würden sich in der Folge aus Angst vor Klagen nicht mehr trauen, bestimmte Gesetze zu erlassen.
Sandra Schulz: Jetzt ist aber gerade die nächste, die 11. TTIP-Verhandlungsrunde angelaufen in den USA in Miami, und darüber sprechen wir jetzt mit Petra Pinzler, Wirtschaftsexpertin und Journalistin bei der Wochenzeitschrift "Die Zeit" und Autorin des Buchs "Der Unfreihandel", das jetzt gerade erschienen ist. Petra Pinzler ist uns aus Berlin zugeschaltet. Guten Morgen.
Petra Pinzler: Einen schönen guten Morgen.
Schulz: "Die EU muss sicherstellen, dass die Menschen darauf vertrauen, dass wir in ihrem Auftrag handeln", sagt die zuständige EU-Handelskommissarin Malmström. Es ist ja eigentlich ein dicker Hund, dass sie das überhaupt klarstellen muss. Warum ist das bisher so gründlich schiefgegangen?
Pinzler: Weil das mit dem Vertrauen so eine Sache ist, wenn man das Gefühl hat, dass das Vertrauen nicht gerechtfertigt ist. Das hat viel mit der Art und Weise zu tun, wie sich die Kommission bisher verhalten hat bei diesen Handelsabkommen. Sie hat das ein bisschen so in der Art der Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts betrieben. Die Menschen haben aber immer mehr das Gefühl, das ist nicht mehr angemessen, weil das, was sie da tut, sehr stark in ihr Leben eingreift. Deswegen sagen viele Bürger - und deswegen wahrscheinlich auch die Demonstrationen am vergangenen Wochenende oder am vorvergangenen Wochenende, wir wollen mehr wissen, Vertrauen reicht uns einfach nicht. In einer Demokratie braucht man eben auch Kontrolle.
Schulz: Aber das sind ja Verhandlungen, bei denen möglicherweise auch taktiert wird. Die Forderung nach dieser Transparenz, ist die nicht eigentlich, wenn wir zum Beispiel schauen auf Koalitionsverhandlungen, bei denen, soweit ich weiß, noch nie jemand gefordert hat, dass alle Dokumente offengelegt und einsehbar werden sollen, ist diese Forderung nach Transparenz nicht eigentlich auch übertrieben?
Pinzler: Nun ja. Es würde, glaube ich, kaum jemand sagen, die müssen jetzt in Miami, wo die miteinander sitzen, die Tür immer ganz weit aufmachen und man muss jedes Gespräch mitverfolgen können. Auch Regierungen brauchen ja vertrauliche Gespräche. Nur es ist schon merkwürdig, wenn man an die Texte denkt, die ja später quasi Gesetzeskraft haben, die viel weniger zugänglich sind als jedes deutsche Gesetz, und das wird immer schlimmer, je wichtiger diese Texte werden, je mehr die Amerikaner und die Europäer am Ende an einem konsolidierten Vertragstext arbeiten. Auf den darf dann niemand mehr draufschauen, außer ganz wenige Abgeordnete, und da sagen viele Leute, das kann doch nicht sein. Denn wir haben erlebt bei anderen Abkommen, beispielsweise bei dem mit Kanada, dass auch ganz lange das Abkommen geheim war und am Ende, als es dann fertig verhandelt war, die Kommission sagte, jetzt ist es fertig, jetzt könnt ihr auch nichts mehr verändern, und das funktioniert in einer Demokratie einfach nicht.
"Es ist nur sehr schwer, ganz am Ende Stopp zu sagen zu einem Vertrag"
Schulz: Aber abstimmen müssen die Parlamente ja darüber. Ist das nicht Sicherheitsangel genug?
Pinzler: Abstimmen müssen sie und tatsächlich ist dieses Abkommen mit Kanada ja auch noch nicht durch den Deutschen Bundestag und es wird möglicherweise - in Kanada gab es gestern oder heute Nacht Wahlen - von der kanadischen Seite nun noch mal aufgemacht. Es gibt schon die Chance, dass die Parlamente am Ende Schluss und Stopp sagen. Das gibt es beispielsweise auch für das Abkommen, was die Amerikaner jetzt mit den pazifischen Anrainern abschließen, wo viele in den USA sagen, das ist noch überhaupt nicht durch. Da kann das amerikanische Parlament Stopp sagen. Es ist nur sehr schwer, ganz am Ende Stopp zu sagen zu einem Vertrag, der am Ende ein riesiges Paket ist. Da braucht es schon sehr viel Mut. Da muss es wirklich richtig problematisch sein. Viel besser wäre es, wenn man wie bei Gesetzen in der Entstehungsphase schon sagen könnte, an dem Punkt gibt es ein Problem und schaut doch noch mal da in den Text rein, und das ist in den letzten Monaten ja dadurch, dass viele Texte dann sozusagen geleakt worden sind, also an die Öffentlichkeit gekommen sind, obwohl die Kommission das nicht wollte, passiert. Deswegen verhandelt sie heute schon ganz anders, als sie das noch vor ein, zwei Jahren getan hat.
Schulz: Jetzt sagen viele Bürger ja auch schon prophylaktisch Stopp. Es gab zuletzt am meisten Streit und Kritik rund um diese geplanten privaten Schiedsgerichte. Die EU-Kommission, die schlägt jetzt vor, einen Handelsgerichtshof einzurichten, ein eigenes Gericht mit öffentlich benannten Richtern. Ist das Problem damit vom Tisch?
Pinzler: Schauen wir erst mal, ob daraus überhaupt was wird, weil die Amerikaner bis jetzt ja sehr zurückhaltend sind, was internationale Gerichte angeht. Davon sind sie keine großen Freunde.
Diese Schiedsgerichte sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie positiv doch Kritik sein kann, denn die Kommission hätte diese Idee nie gehabt, wenn es nicht in Deutschland Protest gegeben hätte, dann der Wirtschaftsminister gesagt hätte, wir müssen etwas reformieren, und nun die Kommission diese öffentlichen Schiedsgerichte einrichten will, die sicher besser sind als die privaten. Ich würde immer sagen, braucht man solche besonderen Schiedsgerichte, die Investoren besondere Rechte geben, in entwickelten Rechtsstaaten wie den USA und Europa? Ich glaube, man braucht sie nicht.
Diese Schiedsgerichte sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie positiv doch Kritik sein kann, denn die Kommission hätte diese Idee nie gehabt, wenn es nicht in Deutschland Protest gegeben hätte, dann der Wirtschaftsminister gesagt hätte, wir müssen etwas reformieren, und nun die Kommission diese öffentlichen Schiedsgerichte einrichten will, die sicher besser sind als die privaten. Ich würde immer sagen, braucht man solche besonderen Schiedsgerichte, die Investoren besondere Rechte geben, in entwickelten Rechtsstaaten wie den USA und Europa? Ich glaube, man braucht sie nicht.
Schulz: Die privaten Schiedsgerichte, die gibt es ja jetzt schon. Es gibt auch jetzt schon millionenschwere Klagen. Dafür braucht es ja CETA und TTIP gar nicht. Ist das Argument dann nicht vielleicht vorgeschoben?
Pinzler: Nun ja. Bei Manchen Dingen und Themen wie beispielsweise bei diesen Schiedsgerichten ist es so, dass die irgendwann mal entdeckt werden, und es gab lange keine großen Probleme mit diesen Schiedsgerichten. Irgendwann hat dann die Anwaltsbranche dieses Feld entdeckt und das ist eine große Wachstumsbranche. Wir haben 185 laufende Fälle. Da liegen allein die durchschnittlichen Anwaltskosten bei etwa acht Millionen. Da ist nicht das Geld drin, was man am Ende dann als Schadensersatz den Unternehmen zahlen muss. Das heißt, da steckt sehr viel Geld drin und im Moment explodiert die Zahl dieser Verfahren. Ich würde eher sagen, anders herum wird ein Schuh daraus. Man muss, wenn man durch TTIP aufmerksam geworden ist auf dieses Problem, diese Schiedsgerichte und diesen besonderen Investorenschutz auch in den anderen Verträgen reformieren.
"Es können nur die Unternehmen gewinnen"
Schulz: Aber warum haben Sie mit einer Wachstumsbranche ein Problem? Darauf baut unsere Wirtschaft ja.
Pinzler: Das ist richtig. Das alleine ist nicht das Problem. Das Problem ist diese besondere Art der Wachstumsbranche, wenn man sozusagen Risikokapital dafür ausgeben kann, dass Unternehmen mal versuchsweise Staaten verklagen können, um zu schauen, ob sie möglicherweise damit Geld verdienen können. Es können bei diesen privaten Schiedsverfahren ja immer nur die Unternehmen gewinnen. Die Staaten gehen vielleicht plus/minus null raus, bestenfalls, oder sie verlieren und müssen Schadensersatz zahlen, und in einer ganzen Reihe von Ländern hat das dazu geführt, dass sich diese Länder oder diese Regierungen nicht mehr trauen, bestimmte Gesetze zu machen, weil sie sagen, möglicherweise werden wir vielleicht verklagt.
Schulz: Aber was spricht denn dafür, dass sich in Europa die Regierungen nicht mehr trauen, Gesetze zu machen? Es gibt ja dieses Beispiel, die Klage von Vattenfall gegen die Bundesregierung, gegen die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs. Aber das hat ja die Bundesregierung nicht daran gehindert?
Pinzler: Dieses Gesetz zu machen, ja. Aber warum geben wir Vattenfall das besondere Recht, nach Washington vor ein privates Schiedsgericht zu ziehen, während die anderen deutschen Energieunternehmen vor deutschen Gerichten klagen müssen und dort möglicherweise Recht oder auch nicht Recht bekommen, aber sich mit Sicherheit nicht darüber beschweren, dass sie falsch behandelt werden. Das Problem ist vielleicht auch in diesem Fall weniger Deutschland, sondern das sind die vielen anderen Länder, die nicht ganz so stark und so selbstbewusst sind wie Deutschland, die dann Schwierigkeiten haben oder sich nicht mehr trauen, bestimmte Gesetze zu machen. Neuseeland, kein Entwicklungsland, wartet beispielsweise damit, auf die Zigarettenpackungen draufzudrucken, "Rauchen schadet Ihrer Gesundheit", weil es ein Schiedsgerichtsverfahren gegen Australien gibt und Neuseeland sagt, schauen wir mal, warten wir mal ab, vielleicht kann uns das auch blühen, was Australien passiert, gucken wir mal, wie dieses Verfahren ausgeht. Und jedes Jahr länger, wo es dieses Gesetz nicht gibt, bringt der Zigarettenindustrie Millionen an zusätzlichen Gewinnen.
Schulz: Das hoch umstrittene geplante Freihandelsabkommen TTIP bleibt also in der Diskussion. Derzeit laufen die Verhandlungen in Miami. Einordnungen waren das von Petra Pinzler, von der Autorin und Wirtschaftsjournalistin. Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.