Archiv

TTIP-Verhandlungen
Musikalischer Protest der Deutschen Orchestervereinigung

"Wir sind keine Handelsware. TTIP bringt uns in Gefahr." So hieß es in der "Ode an die Politik", die 150 Orchestermusiker zu Beginn ihrer Delegiertenversammlung in Mainz anstimmten. Man habe Sorge, dass das internationale Handelsabkommen die Alleinstellung der Kultur in Deutschland nicht berücksichtige, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens, im DLF.

Gerald Mertens im Gespräch mit Henning Hübert |
    Berufsmusiker aller großer öffentlich geförderten Orchester Deutschlands protestieren am 4.5.2015 bei einem Kurzaufttritt mit einer "Ode an die Politik" vor dem Kurfürstlichen Schloss in Mainz gegen den umstrittenen Freihandelspakt TTIP.
    Berufsmusiker aller großer öffentlich geförderten Orchester Deutschlands protestieren mit einer "Ode an die Politik" vor dem Kurfürstlichen Schloss in Mainz gegen den umstrittenen Freihandelspakt TTIP. (Deutschlandradio / Anke Petermann)
    Henning Hübert: Ermöglicht werden solche und alle anderen Musiktheaterabende erst durch die vielen Klangkörper, deren Musiker in den Orchestergräben und auf den Bühnen dieses Landes ihren Dienst tun. Sie sind öffentlich finanziert und sollten eigentlich aus den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA ausgenommen sein. Die Angst geht aber um.
    Zur Delegiertenversammlung der Deutschen Orchestervereinigung in Mainz sind ab heute rund 150 Berufsmusiker aus deutschen Konzert-, Opern- und Rundfunkorchestern sowie Profiensembles versammelt. Auftakt war aber nicht mit Begrüßungs-Café und Akkreditierung, sondern mit Protest: Beethoven-Tönen aus dem Schlusssatz der Neunten mit der Ode an die Freude vor dem Mainzer Schloss. Nach "Freude, schöner Götterfunken" war ihnen aber nicht, hat uns der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens, nach der TTIP-Protestaktion erzählt.
    Gerald Mertens: Wir haben heute die "Ode an die Politik" angestimmt. Wir haben unsere Sorge um das aktuell verhandelte TTIP-Abkommen, das transatlantische Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, zum Ausdruck gebracht, die Sorge, die wir damit haben, und das haben wir mit vier Strophen auf den Text "Freude, schöner Götterfunken" mit einem anderen Text gemacht. Der fängt so an: "Wir sind keine Handelsware. TTIP bringt uns in Gefahr."
    Hübert: Was macht Sie denn da so sicher, dass Sie keine Handelsware sind?
    Mertens: Die deutschen Orchester sind seit dem Dezember 2014 immaterielles Kulturerbe der UNESCO auf der nationalen Liste, zusammen mit den deutschen Theatern, weil sie öffentlich finanziert werden, weil sie eine jahrhundertelange Tradition haben und immerhin der UNESCO-Schutz in Deutschland besteht, und wir machen uns Sorge, dass das internationale Handelsabkommen, was jetzt verhandelt wird, dass das diese Alleinstellung der Kultur nicht berücksichtigt.
    Nehmen Sie die USA, die haben die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt nicht unterzeichnet. Das sieht in Europa anders aus. Und genau diese Punkte, wo wir sagen, es gibt in Amerika ein anderes Kulturverständnis, auch ein anderes Verständnis für die Finanzierung von Kultur als in Deutschland und in der Europäischen Union, da sagen wir uns, nehmt bitte die Kultur aus diesem Handelsabkommen raus. Dann sind wir auch ganz schnell wieder still.
    Hübert: Nehmen wir mal die geplanten TTIP-Schiedsgerichte. Da können ja dann Firmen oder Anwälte der Firmen klagen. Und so eine städtische Musikschule wie von der Stadt Bochum, wie könnten die denn überhaupt irgendwie miteinander was zu tun bekommen?
    Mertens: Na ja, das geht relativ schnell. Im Musikhochschul-Bereich beispielsweise muss man wissen, dass die amerikanischen Musikhochschulen, die sehr begehrt sind, dass die grundsätzlich privat finanziert sind. In Deutschland ist es so, dass die Musikhochschulen - wir haben insgesamt 24 - öffentlich finanziert sind. Und da könnte dann eine amerikanische Musikhochschule schon sehr schnell auf die Idee kommen und sagen, na ja, in Deutschland gibt es eine öffentliche Finanzierung, gibt es Subventionen für diese Ausbildung. Wenn wir jetzt eine Zweigstelle in Europa machen, warum sollten wir dafür nicht auch Subventionen beantragen und die notfalls auch über so ein Wettbewerbsgericht dann einklagen.
    Hübert: Vor diesem Hintergrund fragen sie ja auch bei Ihrer Jahresversammlung jetzt, ob Rundfunkorchester und auch die Chöre, gebührenfinanzierte, eher Pflicht oder Kür sind. Was ist Ihre Antwort schon vorab?
    Mertens: Wir sind selbstverständlich der Meinung, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht nur einen Sendeauftrag, sondern auch einen Bildungs- und Kulturauftrag haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg, dessen Ende wir ja gerade in diesen Tagen zum 70. Jubiläum begehen, nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Rundfunkklangkörper mit die ersten Einrichtungen, die von den Alliierten wieder errichtet wurden, und das ist doch ein deutliches Zeichen auch nach dem Krieg gewesen, um die Bevölkerung in Deutschland mit entsprechenden Werken der klassischen Musik, aber auch der zeitgenössischen, der verfemten Musik, die im Dritten Reich verboten war, zu konfrontieren und auch diesen Bildungs- und Kulturauftrag breitestmöglich mit Rundfunkklangkörpern durchzusetzen, und ich denke, dass darf man 70 Jahre nach dem Kriegsende da nicht einfach über Bord schmeißen.
    Hübert: Bekommen Sie denn irgendwelche Signale aus der Politik, aus Brüssel, dass die öffentliche Kulturszene schon ausgeklammert ist?
    Mertens: Die Signale, die man im Moment bekommt, insbesondere aus der Bundespolitik, sind eher, na ja, macht euch mal keine Angst, das wird schon alles gut werden. Aber das ist uns einfach zu wenig und deswegen ist der heutige Aktionstag erst der Auftakt. Wir werden in dieser Woche an alle verantwortlichen Bundespolitiker, aber auch in der Europäischen Kommission entsprechende Positionspapiere versenden, also nicht nur die Resolution, sondern ausführliche Positionspapiere.
    Es wird am 11. Mai im Konzerthaus in Berlin eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem Deutschen Kulturrat geben und dann wird es schließlich am 21. Mai, dem nationalen Aktionstag gegen TTIP, bundesweit zahlreiche Aktionen geben. Von Orchestern beispielsweise in Nürnberg werden Musiker in eine lokale Buchhandlung gehen und dort eine Lesung mit Musik begleiten, um auf die Gefahr der Buchpreisbindung und den Wegfall der Buchpreisbindung hinzuweisen. In Saarbrücken sind entsprechende Aktionen geplant und das werden wir in den nächsten Tagen beraten und dann auch öffentlich vorstellen.
    Hübert: ... kündigt Gerald Mertens an, der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.