Sandra Pfister: Sieben Mal haben Vertreter der US-Regierung und der EU-Kommission schon über das Freihandelsabkommen TTIP verhandelt. Ab heute, beim achten Mal, ab heute, ist vieles anders: Zum ersten Mal sitzt die neue EU-Kommission am Verhandlungstisch, also die Unterhändler von Jean-Claude Juncker und Handelskommissarin Cecilia Malmström. Sie haben den EU-Bürgern versprochen, dass sie mehr auf ihre Bedenken eingehen werden. Es wird sich bei diesen Verhandlungen zeigen, ob sie Wort halten. Die Wirtschaftsredakteurin Jule Reimer ist unsere TTIP-Fachfrau. Frau Reimer: Wie schätzen Sie das ein: Laufen die Verhandlungen diesmal transparenter ab?
Jule Reimer: Ja, die neue EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström beansprucht, aus dem Kommunikationsdesaster ihres Vorgängers Karel de Gucht gelernt zu haben. Der Kreis der EU-Abgeordneten, der die Verhandlungsdokumente einsehen darf, ist erweitert worden, bestimmte Dokumente - aber bei Weitem nicht alle - hat die EU-Kommission veröffentlicht; die Kommission gibt sich Mühe, nicht nur die Industrielobby, sondern auch die Lobbyisten der Umwelt- und Verbraucherverbände miteinzubeziehen.
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Pfister: Den strittigsten Punkt haben beide Seiten dieses Mal ausgeklammert: den besonderen Schutz für ausländische Investoren. Über die internationalen Schiedsgerichte wird also nicht verhandelt. Aber es gibt ja auch noch einen großen Knackpunkt, die sogenannte regulatorische Kooperation, das Wortungetüm verheißt Kompliziertes. Worum geht es denn da?
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Pfister: Den strittigsten Punkt haben beide Seiten dieses Mal ausgeklammert: den besonderen Schutz für ausländische Investoren. Über die internationalen Schiedsgerichte wird also nicht verhandelt. Aber es gibt ja auch noch einen großen Knackpunkt, die sogenannte regulatorische Kooperation, das Wortungetüm verheißt Kompliziertes. Worum geht es denn da?
Reimer: Das Freihandelsabkommen soll die gegenseitige weitere Öffnung der Märkte der EU und der USA für Waren und ausländische Investoren vorantreiben. Das lässt sich durch unter anderem dadurch erreichen, in dem Standards entweder angeglichen oder gegenseitig anerkannt werden - berühmtes Beispiel ist hier der Blinker hinten am Auto, der in den USA ein rotes Licht ist, in der EU aber orange blinkt. Mit der regulatorischen Kooperation aber sollen solche unterschiedlichen Standards erst gar nicht aufkommen: EU-Kommission und US-Regierung wollen vereinbaren, dass jedes geplante Gesetzesvorhaben oder andere Vorschriften schon weit im Vorfeld darauf hin abgeklopft werden, ob sie den transatlantischen Handel behindern könnten.
Pfister: Klingt doch erst einmal vernünftig, was soll daran kritisch sein?
Reimer: Sich über Standards auszutauschen ist sicherlich sinnvoll, Standards können in der Tat überflüssige Handelshürden aufbauen, werden auch mal gerne eingesetzt, um die eigenen Anbieter zu schützen - das erfahren viele Entwicklungsländer gegenüber der EU schmerzlich. Es wird darauf ankommen, wie und wer diese regulatorische Kooperation steuert: Sitzen in einem Regulationsrat neben den Regierungsbeamten nur Industrievertreter oder auch Verbraucher- und Umweltverbände? Die EU-Handelskommission hat sich in der Vergangenheit ganz klar als Vertreter der exportorientierten Industrie gesehen. Und: In der EU gilt grundsätzlich das Vorsorge-Prinzip, zum Beispiel in der Chemiepolitik oder auch im Nahrungsmittelbereich - mit diesem Argument verbietet die EU die Einfuhr des Fleisches von Rindern, die mit Wachstumshormonen gezielt gemästet wurde. Aus Sicht der USA ist die Schädlichkeit aber nicht wissenschaftlich erwiesen. Selbst wenn die EU klar stellt, dass bestehende Gesetze durch TTIP nicht angetastet werden dürfen: Die Frage ist, ob das Vorsorgeprinzip dann in Rahmen einer regulatorischen Kooperation noch anerkannt wird. Und die andere Frage ist, ob so ein Vorfeld-Prüfsystem nicht teurer wird als dass es Vorteile bringt.
Pfister: Über welche Bereiche wird sonst diesmal verhandelt?
Reimer: Zum Beispiel über Energie: Die US-Unternehmen möchten sich in der EU mit Fracking betätigen, die EU wiederum möchte in den USA Zugang zu den Leitungsnetzen für ihre Unternehmen erhalten, außerdem ist in den USA seit den 70er-Jahren der Export von heimischem Rohöl verboten, dieses Exportverbot wollen die Europäer wegverhandeln. Es wird um die Angleichung der genannten Autoblinker gehen, weniger um Zölle für Autos selbst, da erheben die USA auf den Preis eines europäischen Autos nur 2,5 Prozent Zoll und umgekehrt die Europäer 10 Prozent. Aber die Zölle für Pick-ups - also Kleinlaster - betragen in beide Richtung noch deutlich über 20 Prozent. Und es wird um den gegenseitige Zulassungsanerkennung von Medikamenten gehen - hier sind die US-Amerikaner übrigens strenger.
In der Chemiepolitik sagen beide Seiten, dass die Zulassungsverfahren zu unterschiedlich sind, um sie als gleichwertig anzuerkennen. Die Europäer bauen auch hier auf das Vorsorgeprinzip, es gibt ein deutlich strengeres Zulassungsverfahren namens REACH, in den USA gelten laxere Zulassungsregeln, aber Hersteller müssen mit drakonischen Entschädigungszahlungen rechnen, falls eine Chemikalie Schäden verursacht und die Kläger vor Gericht erfolgreich sind. Allerdings: Da Handelsabkommen immer aus Geben und Nehmen beruhen, befürchten Umweltorganisationen auch hier eine Aufweichung europäischer Zulassungsstandards.