Eine handfeste Überraschung gab es gestern Abend in der Debatte um das Türkei-Papier. Denn um kurz nach halb acht äußerte sich Innenminister Thomas de Maizière in der Abendschau des RBB: "Da ist nichts zu bereuen."
Der Christdemokrat steht also zu den klaren Worten des Nachrichtendienstes. "Das, was da vertraulich dargestellt wurde, ist eine pointierte Darstellung eines Teilaspekts türkischer Wirklichkeit."
Noch am Mittag hatte sein Sprecher gestern in der Bundespressekonferenz versucht, den Bericht mit Hinweis auf die Vertraulichkeit inhaltlich nicht zu kommentieren. Johannes Dimroth räumte jedoch ein "Büroversehen" im Innenministerium ein, das die Federführung zur Beantwortung der Kleinen Anfrage der Linken hatte. "Unsererseits ist der Sachverhalt sehr schnell und klar mit dem AA besprochen und ausgeräumt. Der Fehler ist bei uns passiert. Das ist klar kommuniziert."
Das Auswärtige Amt distanziert sich
Und doch wurden die Verstimmungen innerhalb der Bundesregierung deutlich, als sich am Mittwoch die Sprecherin Sawsan Chebli zu den Medienberichten über das Türkei-Papier äußerte: "Die in der Presse getroffenen Aussagen machen wir uns in dieser Pauschalität nicht zu eigen. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten, die es gibt zwischen uns und der Türkei, über die wir in der Vergangenheit offen und klar kommuniziert haben, bleibt die Türkei ein wichtiger Partner."
Bei allem Ärger über das Entstehen des Papiers, in der Sache aber distanzieren sich auch die Sozialdemokraten nicht länger so scharf von den Aussagen. Der Neuigkeitswert der Information ist doch gering. Das Verhältnis zur Türkei müsse nicht neu bewertet werden. So der Versuch von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in der "Neuen Osnabrücker Zeitung", das Thema niedrig zu hängen.
Ähnlich der Staatssekretär im Finanzministerium, Jens Spahn, sagte der Passauer Neuen Presse: "Die Türkei ist und bleibt NATO-Partner." So der Christdemokrat, der damit den Kurs des Auswärtigen Amtes stützte.
Scharfe Kritik vom AKP-Abgeordneten Yeneroglu
Die Türkei äußerte sich in einer ersten Stellungnahme ihres Außenministeriums empört. Das Papier sei Ausdruck einer - Zitat - "verdrehten Mentalität". Damit solle Präsident Recep Tayyip Erdogan angegriffen und das Land zermürbt werden. Dazu äußerte sich im Deutschlandfunk heute Mustafa Yeneroglu, AKP-Abgeordneter und in Ankara Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament. Der Vorwurf der Unterstützung dürfe nicht stehen bleiben:
"Die Darstellungen haben auch nicht den geringsten Bezug zur Aktualität. Sie könnten mit besseren Argumenten auch umgekehrt behaupten, dass die Bundesrepublik terroristischen Organisation wie die PKK, die YPG und der KPT eine Plattform für ihre Aktivitäten bietet.
Yeneroglu griff die Bundesregierung scharf an und warf ihr vor, das Verhältnis zu belasten:
"Und ich glaube, dass gegenwärtig die Beteiligten, insbesondere in der Bundesregierung, gut daran täten, sich bei ihren Bewertungen auf das Auswärtige Amt zu stützen und die ohnehin schon angespannten Beziehungen nicht weiter zu belasten, schon gar nicht, wenn PKK-Sympathisanten im Deutschen Bundestag Schützenhilfe leisten. Ganz zu schweigen davon, wie angeblich vertrauliche Dokumente überhaupt in Umlauf kommen."
Die Grünen machen Druck
Die deutsche Opposition verstärkt dagegen weiterhin den Druck, neu über das Verhältnis zur Türkei nachzudenken. Das EU-Abkommen zur Flüchtlingspolitik habe keine Zukunft mehr, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt heute bei NDR Info. Das Abkommen sei nicht mehr durchzuhalten:
"Man wird mit der Türkei trotzdem sprechen müssen. Die Leute kommen ja über die Türkei. Aber man kann dahin nicht das Problem delegieren. Und das ist ja das, was gerade getan wird. Aber man kann nicht so tun, als ob man sich auf die Türkei verlassen kann."
Insgesamt habe die Bundesregierung kein glückliches Bild abgegeben. Die Situation sei innen- wie außenpolitisch schwierig, da brauche es wohlüberlegtes Regierungshandeln, so die Grüne Göring-Eckardt:
"Wenn das die Grundlage für die Außenpolitik ist und die Sicherheitspolitik, dann muss man sich wirklich Sorgen machen."