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Türkei
Ankaras prekäres Verhältnis zur Terrormiliz IS

Welchen Beitrag kann die Türkei im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat leisten? US-Präsident Obama sieht das Land in doppelter Pflicht als Nato-Mitglied und mehrheitlich von sunnitischen Muslimen bewohnter Staat. Doch Ankara erscheint angesichts der 45 türkischen Staatsbürger, die sich in Geiselhaft der IS-Terroristen befinden, wie gelähmt.

Von Reinhard Baumgarten |
    Unterstützer der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) mit Fahne.
    Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) (AFP / TAUSEEF MUSTAFA)
    Die Türkei könnte im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat – kurz IS - eine Schlüsselstellung einnehmen. Doch die Türkei, meint der Politikwissenschaftler Cengiz Aktar, habe sich in den vergangenen drei Jahren durch eine sehr selektive Nahostpolitik in eine prekäre Situation gebracht.
    "Die Türkei ist in der Region der beste Freund einer Gruppe von Sunniten geworden - eng mit der Hamas, eng mit einigen Gruppierungen in Syrien, im Irak in Ägypten und so weiter. Sie konnte diese Länder aber nicht in ihrer Vollständigkeit und Komplexität erfassen."
    Nachdem der Muslimbruder Mohammed Mursi in Ägypten aus dem Präsidentenamt geputscht worden war, vergoss Recep Tayyip Erdoğan öffentlich Tränen. Die Beziehungen zwischen Kairo und Ankara liegen seitdem auf Eis. Die Beziehungen zu Syrien sind ein Desaster. Ankara will auf Biegen und Brechen das Ende des Assad-Regimes.
    "In Syrien ist die Türkei mit einigen Gruppen intensiv verbunden. Dort herrscht ein derartiges Chaos, dass sie bis heute nicht wirklich wissen, wen sie eigentlich unterstützen. "
    Eines sei klar, stellt der Politikwissenschaftler Aktar fest, Ankara habe in Syrien den al-Qa'ida-Ableger Jabhat al-Nusra unterstützt, der auch gegen die syrischen Kurden kämpfe. Alle befreundeten Staaten hätten die türkische Regierung davor gewarnt, sich mit diesen radikalen Gruppen einzulassen.
    Vor gut zwei Monaten hat die türkische Regierung Jabhat al-Nusra als Terrororganisation eingestuft. Über ein Jahr später als die Vereinten Nationen. Knapp drei Jahre lang hat Ankara auch die IS-Terrormiliz und ihre Vorläufer gewähren lassen. Erst am 10. Juni diesen Jahres wurde Ankara richtig bewusst, wie gefährlich die IS-Terroristen sind. An diesem Tag haben sie die Millionenstad Mosul im Nordirak in ihre Gewalt gebracht, das dortige türkische Generalkonsulat besetzt und 45 türkische Staatsbürger in Geiselhaft genommen. Seit diesem Tag schweigt die Regierung in Ankara zum Thema IS-Terrormiliz. Für alle Medien im Land gilt in Sachen IS eine Nachrichtensperre. Ankara hofft damit, das Leben der türkischen Geiseln sichern zu können. Doch Ankara sei in der Pflicht, meinte vergangene Woche während des Nato-Gipfels in Wales US-Präsident Barak Obama.
    "Es ist absolut richtig, dass wir sunnitische Staaten brauchen werden - nicht nur Saud-Arabien, sondern auch Partner wie Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei. "
    Diese Staaten müssten in den Kampf gegen die Terrormiliz eingebunden werden, denn immerhin gehe es um ihre Nachbarschaft und die bestehenden Gefahren richteten sich mehr gegen sie als gegen die USA.
    Vorsichtiger Kurs wegen der türkischen Geisel
    "Vielleicht wird zum ersten Mal richtig deutlich, dass das Problem der sunnitischen Staaten in dieser Region - von denen viele unsre Verbündete sind - nicht einfach nur der Iran ist oder die Sunni-Schia-Problematik. "
    Die brutale Gewalt im Irak und in Syrien geht dieser Tage von sunnitischen Extremi-sten aus, deren religiös verbrämter Hass sich vornehmlich gegen Schiiten und Jesiden aber auch gegen all jene richtet, die der krankhaften Interpretation islamischer Quellen durch die IS-Terrormiliz nicht entsprechen. Die türkische Regierung wirkt angesichts der Geiselname von Mosul paralysiert. Der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu drängt zu mehr Entschlossenheit.
    "Falls im Nahen Osten eine internationale Operation gegen die IS-Terrormiliz geführt werden sollte, dann wären wir nicht gegen eine Beteiligung der Türkei. "
    Die Türkei gehört unter anderem neben Deutschland zu den zehn von Präsident Obama genannten Nato-Staaten, die die Terrormiliz bekämpfen und unschädlich machen sollen. Ankara müsse zuvor das zweifelhafte Verhältnis zu radikalen Sunni-Gruppen überdenken, mahnt der Politikwissenschaftler Cengiz Aktar.
    "Sie haben so viel Nachdruck auf eine bestimmte Gruppierung gelegt, dass sie sich selbst jeglicher Aufmerksamkeit anderer Gruppen beraubt haben."
    Wie hilfreich die Türkei im Kampf gegen die Terrormiliz sein kann, wird sich möglicherweise erst nach der Befreiung – oder schlimmstenfalls der Hinrichtung – der türkischen Geiseln entscheiden. Bis dahin dürfte die Regierung in Ankara einen extrem vorsichtigen Kurs im Umgang mit der Terrormiliz an den Tag legen.