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Türkei
Besucherin oder Bittstellerin?

Unumstritten war die Reise nicht: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Türkei nacheinander Regierungschef Davutoglu und Staatschef Erdogan getroffen. Sie stellte Geld und Visa-Erleichterungen sowie eine Ausweitung der EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht. Und sie forderte im Gegenzug, dass die Türkei Flüchtlinge zurücknimmt, die über ihr Territorium nach Europa kommen.

    Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Präsident Erdogan in Istanbul.
    Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Präsident Erdogan in Istanbul. (picture-alliance / dpa / Türkisches Präsidialamt)
    Erdogan nutzte natürlich die Gelegenheit und ließ sein Pressebüro staatstragende Bilder von sich und der Kanzlerin machen. Und er stellte schnell klar, was ihm in den Gesprächen besonders am Herzen liegt: der EU-Beitritt seines Landes. Erdogan sagte, er habe die Kanlzerin ebenso wie Frankreich, Spanien und Großbritannien darum gebeten, den Verhandlungsprozess zu beschleunigen.
    Dass er da auf fruchtbaren Boden stieß, machte die Kanzlerin selbst deutlich. Sie kündigte an, dass man womöglich noch dieses Jahr ein weiteres Verhandlungskapitel mit der Türkei öffnen könne, und zwar das Kapitel 17, Wirtschaftspolitik. Die Kapitel 23 (Grundrechte) und 24 (Freiheit und Sicherheit) könnten vorbereitet werden. Merkel zeigte auch ein Entgegenkommen in anderen Punkten: Die Türkei wünscht sich etwa, dass ihre Bürger bald ohne Visum in die EU reisen können. Also sagte Merkel, sie sei bereit, "den beschleunigten Visaprozess" zu unterstützen.
    "Wir werden uns finanziell stärker engagieren"
    All diese Punkte stehen in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise - hier spielt Ankara eine Schlüsselrolle. Denn die Türkei hat deutlich mehr als zwei Millionen Menschen aus Syrien aufgenommen - und will drei Milliarden Euro, um sie angemessen zu versorgen. Auch hier Zustimmung von Merkel: Sie verstehe, dass Ankara zusätzliche Mittel benötige, und "deshalb werden wir uns finanziell stärker engagieren".
    Hinter all dem steht ein Abkommen, das die Rücknahme von Flüchtlingen vorsieht. Im Rahmen eines solchen Vertrages würde die Türkei alle Flüchtlinge wieder aufnehmen, die über ihr Staatsgebiet nach Europa gelangt sind. Gelingt das, wäre das eine Entlastung für die europäischen Länder. Regierungschef Davutoglu sagte in Istanbul, er hoffe, dass man die Punkte visa-freie Einreise und Rückübernahme von Flüchtlingen bis Mitte Juli 2016 in Kraft setzen werde.
    An der Türkei-Reise der Kanzlerin gab es viel Kritik. In der deutschen, aber auch in der türkischen Opposition war in den vergangenen Tagen viel die Rede von "Wahlkampfhilfe". In der Türkei wird am 1. November ein neues Parlament gewählt, und Präsident Erdogan erhofft sich eine stabilere Mehrheit für seine AKP als beim letzten Mal. Kritiker werfen der Kanzlerin vor, dass sie keine Termine mit türkischen Oppositionspolitikern wahrnehme.
    (jcs/gri)