Ein Austritt der Türkei aus der NATO war weder ein Thema, als das Militär mehrfach die Macht in dem Land an sich riss, noch als islamisch-konservative Regierungen das Ruder übernahmen. Bis am vergangenen Sonntag Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erstmals öffentlich die türkische NATO-Mitgliedschaft infrage stellte. An die USA gewandt sagte Erdogan:
"Wir bilden gemeinsam die NATO, aber Sie wollen mit Terroristen zusammenarbeiten. Was für ein Bündnis ist das? In diesem Fall müssen wir unsere NATO-Mitgliedschaft mit neuen Augen sehen."
Während die NATO jahrelang die Türkei bedrängte, sich endlich am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zu beteiligen, wirft die Türkei nun dem Nato-Partner USA vor, in Nordsyrien selbst gemeinsame Sache mit Terroristen zu machen. Gemeint sind die Waffenlieferungen der Amerikaner an die Kurdenmiliz YPG. Das widerspreche den NATO-Statuten, beklagte sich Erdogan. Und es bleibe nicht nur bei Waffen, sagt Vizepremier Nurrettin Canilki:
"PKK-Mitglieder, nach denen in der Türkei gefahndet wird, kämpfen in Syrien in YPG-Uniformen. Dabei treten sie auch noch gemeinsam mit Vertretern der USA und anderer Verbündeter auf. Das geht überhaupt nicht!"
Türkei befürchtet, dass Waffen in Hände der PKK gelangen
Die Kurden sollen eine zentrale Rolle bei der Rückeroberung der IS-Hochburg Rakka spielen. Doch die Türkei befürchtet, dass Waffen, die an die YPG geliefert werden, früher oder später in die Hände der als Terrororganisation verbotenen türkisch-kurdischen PKK gelangen und eines Tages gegen türkische Sicherheitskräfte gerichtet werden. Ministerpräsident Binali Yildirim:
"Die Türkei und die USA sind innerhalb der NATO wichtige Verbündete, deshalb können wir es nicht hinnehmen, wenn die USA meinen, sie müssten sich zwischen einem strategischen Partner und einer Terrororganisation entscheiden."
In der Nacht zum Mittwoch beschoss die türkische Armee Stellungen der kurdischen YPG im Norden Syriens. Nach eigenen Angaben reagierte sie damit auf einen Angriff von YPG-Kämpfern auf von der Türkei unterstützte Rebellen der Freien Syrischen Armee.
Folgen der Entlassungswelle in türkischer Armee
Das Verhältnis der NATO leidet auch unter dem gescheiterten Militärputsch im vergangenen Sommer. Die anschließende Entlassungs- und Verhaftungswelle traf große Teile der Armee. So etwa mehr als die Hälfte aller türkischen Kampfpiloten und etwa ein Drittel des Generalstabs. Die Türkei beorderte mehr als 100 erfahrene Offiziere aus den Hauptquartieren der NATO zurück oder suspendierte sie. Zwar wurden die Stellen neu besetzt, doch NATO-Partner beklagen unter anderem die schlechten Englischkenntnisse der Nachrücker. Ranghohe NATO-Diplomaten äußerten deshalb Zweifel an den operationellen Fähigkeiten der türkischen Streitkräfte.
Die Regierung in Ankara regte sich hingegen darüber auf, das NATO-Staaten desertierten türkischen Soldaten Schutz gewähren, so wie etwa Deutschland. Im Gegenzug verweigerte die Türkei Bundestagsabgeordneten, die deutschen Soldaten auf der Luftwaffenbasis Incirlik zu besuchen. Incirlik im Süden des Landes ist zwar eine türkische Basis, wird aber seit Jahrzehnten von der NATO genutzt. Aber bald eben nicht mehr von der Bundesluftwaffe – so die deutsche Entscheidung. Und wofür entscheidet sich die Türkei?
Erdogan sucht Nähe zu Putin
Präsident Erdogan sucht demonstrativ die Nähe zum russischen Präsidenten Putin. Dass die Türkei neue Raketensysteme nicht etwa von einem NATO-Partner, sondern ausgerechnet aus Russland kauft, hat im Bündnis Kopfschütteln ausgelöst und dürfte einer der Gründe sein, warum die Türkei nicht Gastgeber des nächsten NATO-Gipfels sein soll.