Die Mission des Kurden Ismail Akbulut ist heikel. Jeden Tag besucht der Vertreter des türkischen Menschenrechtsvereins die Dörfer um seine Heimatstadt Hakkari. Er will verhindern, dass sich noch mehr junge Kurden der PKK anschließen und in den bewaffneten Kampf ziehen. Doch dafür muss er zunächst mit den Alten des Dorfes sprechen – sie haben auf die Jugendlichen den stärksten Einfluss. Auch im Bergdorf Süman. Akbulut setzt sich im Schneidersitz zu ein paar älteren Männern, die im Schatten eines Vorbaus Platz genommen haben. Es wird Tee gereicht. Akbulut glaubt, dass der Friedensprozess zwischen Türken und Kurden noch eine Chance verdient habe. Zwei Jahre lang haben die Waffen geschwiegen – auch hier an der iranischen Grenze. Doch nun sei die Angst zurück, klagen die Männer von Süman und zeigen auf den Armeestützpunkt gleich nebenan.
"Unsere Schafherden sind oben auf den Bergen. Wir haben Angst, dass wir beschossen werden, wenn wir zu den Herden hoch gehen. Wir haben wirklich die Nase voll. Wenn es wieder Krieg gibt – dann soll es eben so sein."
Der türkische Staat habe den Kampf wieder angefangen, klagen die Männer dem Besucher. Von der Kurdenpartei HDP, die bei den Wahlen im Juni einen großen Erfolg feiern konnte, sind sie enttäuscht. Den Wiederausbruch der Kämpfe hätten sie nicht verhindern können. Das Parlament hat nichts gebracht, sagt einer – Ismail Akbulut hält dagegen:
"Ohne die HDP wäre der Frieden doch gar nicht möglich gewesen. Und was ist die Alternative zu Gesprächen? Krieg bedeutet, dass diese Region wieder Tod und Zerstörung erleben wird. Und davon hat doch am Ende niemand etwas."
In Hakkari traut sich nachts kaum mehr jemand auf die Straßen
Doch der Krieg ist längst zurück. Ein paar Kilometer vom Dorf entfernt hat das Militär eine Straße gesperrt. In der Nacht zuvor war am Straßenrand eine Bombe explodiert. Und fast zeitgleich ging ein mit Sprengstoff beladener Kleinlaster vor einer Kaserne in die Luft. Die Armee antwortet mit Luftangriffen auf angebliche PKK-Verstecke. In Hakkari traut sich nachts kaum mehr jemand auf die Straßen.
Dilek Hatipoglu sieht auf einer Baustelle nach dem Rechten, neue Rohrleitungen sollen die Wasserversorgung der Stadt verbessern. Erst seit eineinhalb Jahren ist die 40-jährige Kurdin Bürgermeisterin der Stadt Hakkari. Eigentlich wollte sie sich hauptsächlich um solche grundlegenden Probleme kümmern: eben zum Beispiel um ununterbrochen fließend Wasser für die Bürger, oder um die Asphaltierung der Straßen. Der kurdische Südosten der Türkei muss immer noch aufholen. Gelegenheit dafür bot der Friedensprozess zwischen dem Staat und der PKK. Doch seit die Kämpfe wieder aufgeflammt sind, sei alles anders, sagt Hatipoglu:
"Wir versuchen, den Menschen hier einen besseren Lebensstandard zu ermöglichen - aber die haben jetzt wieder andere Sorgen: Sie müssen um ihr Leben fürchten. Um Wasser und Straßen geht es jetzt leider für viele nicht mehr."
"Wir werden uns nicht einschüchtern lassen"
Dilek Hatipoglu ist für die kurdennahe Partei HDP ins Rathaus von Hakkari gewählt worden. Die HDP wollte zum Friedensprozess beitragen. Nun müssen ihre führenden Köpfe mitansehen, wie der Frieden platzt - und kommen auch noch selbst ins Fadenkreuz der Regierung:
"Gleich nach unserem Wahlerfolg am 7. Juni begannen sie mit der Repression gegen uns. Bürgermeisterkollegen wurden verhaftet und angeklagt. Und gegen uns in Hakkari hat die Regierung eine Untersuchung eingeleitet. Aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen."
Für viele junge Kurden ein Beweis dafür, dass der Frieden mit dem türkischen Staat ihnen nicht viel gebracht hat. Im Dorf Süman wendet sich ein Jugendlicher an den Menschenrechtsaktivisten Akbulut:
"Jeden Tag fliegen die Kampfhubschrauber über unsere Häuser, Leute werden verhaftet. Und wenn man auf die Straße geht, kann es sein, dass Bomben explodieren. Wir haben die Nase voll. Wir können die vielleicht nicht besiegen, aber die uns aber auch nicht."
Der Krieg ist zurück in den türkischen Kurdengebieten. Mahner wie Ismail Akbulut stehen unter den Kurden wieder allein.