Es gibt nicht viele türkische Oppositionelle, die dieser Tage so vergnügt wirken, wie Emre Yilmaz. Der 28-Jährige ist Vorsitzender der Jugendorganisation der größten Oppositionspartei CHP, der türkischen Jusos sozusagen. Auch, wenn offiziell Präsident Erdoğan der Gewinner des umstrittenen Referendums Mitte April war. Yilmaz fühlt sich nicht als Verlierer. "Die Zukunft", sagt der Masterstudent überzeugt, "gehört uns!"
"Die Nein-Bewegung gegen Erdoğans Präsidialsystem war vor allem eins: jung. Die Wahlanalysen zeigen, dass etwa 65 Prozent der jungen Türken mit Nein gestimmt haben."
"Wir versuchen eine andere Sprache zu benutzen"
Zahlen, die der frustrierten türkischen Opposition zu Recht Hoffnung machen. Und so versucht vor allem Yilmaz' sozialdemokratische CHP, sich bereits seit einiger Zeit ein neues Image zu geben. Mit Social-Media-Kampagnen, einer Parteiband und lachenden Kindern, statt ernst dreinblickenden Politikern auf Wahlplakaten, will sie sich gezielt als junge, pluralistische AKP-Alternative präsentieren - und damit die sogenannte Generation-Gezi anlocken.
"Wir versuchen eine andere Sprache zu benutzen, mit neuen Logos und mehr Farbe gerade junge Leute anzusprechen", so Yilmaz, der offen zugibt, dass nicht jeder in der traditionsreichen Atatürk-Partei von diesem Konzept begeistert ist.
Aber nach diesem Wahlergebnis, so glaubt er, muss die Parteiführung der Jugend erst recht mehr Raum geben. Nicht nur in der CHP scheint man das Potenzial der Jugend entdeckt zu haben. Auch die AKP überraschte vor dem Referendum im April mit Evet-, also Ja-Postern im hippen Graffiti-Stil. Schon im letzten Jahr gab es sogar einen eigenen Rap-Song für die Partei.
"Um unsere Ziele zu erreichen, braucht die Türkei die Dynamik junger Menschen", betont Präsident Erdoğan nun bei jeder Gelegenheit. "Wir vertrauen unseren jungen Leuten. Wir glauben an sie. Und wir wollen, dass auch sie sich selbst, ihrem Land und ihrem Volk vertrauen."
Bei gerade einmal 30 Jahren liegt das Durchschnittsalter in der Türkei - im Vergleich zu 44 Jahren etwa in Deutschland. Wer die Jugend auf seiner Seite hat, so die einfache Rechnung der großen Parteien, dem gehört die Zukunft. Doch es gibt ein Problem: Die türkischen Jugendlichen gelten zunehmend als apolitisch. Jung-CHPler Emre Yilmaz ist eine Ausnahme. Weniger als vier Prozent seiner Altersgenossen, so eine aktuelle Studie der Istanbuler Habitat-Stiftung, engagieren sich politisch. Politikwissenschaftler Yunus Emre von der Istanbul-Kültür-Üniversitesi warnt dennoch vor voreiligen Schlüssen.
"Wenn Sie sich Bewegungen wie etwa die um den Gezi-Park im Jahr 2013 oder die gegen Erdogans Präsidialsystem jetzt ansehen, dann sehen Sie, dass die jungen Leute sich sehr wohl für die Probleme dieses Landes interessieren. Sie glauben nur offensichtlich nicht, dass sie zu ihrer Lösung beitragen, indem sie einer Partei beitreten."
Kritiker: Fehlende Offenheit und Diskussionskultur in vielen Parteien
Tatsächlich genießt längst nicht nur Erdoğans AKP den Ruf einer autoritär strukturierten Alt-Männer-Partei, in der es vor allem um Beziehungen und Gehorsam geht. Auch den anderen türkischen Parteien - mit Ausnahme der prokurdischen HDP, deren reformfreudige Vorsitzende allerdings nach wie vor im Gefängnis sitzen - fehlt es an Offenheit und Diskussionskultur, so Kritiker. An neuen Ideen und der Ausrichtung auf Themen, anstatt auf Namen.
"Das Problem ist, dass wir praktisch nur noch Berufspolitiker haben", so Jung-CHPler Emre Yilmaz.
Und das sorgt für Desinteresse bei jungen Leuten. Sie sehnen sich nach einer weniger abgeklärten, emotionaleren Politik. Zumindest in seiner eigenen Partei will Emre Yilmaz genau dafür kämpfen. Doch ob Jungpolitiker wie er sich mit ihren Ideen gegen die alten Parteikader durchsetzen können, scheint fraglich. 2019 stehen am Bosporus die nächsten Wahlen an. Die Diskussion um mögliche Kandidaten hat bereits begonnen. Um Inhalte geht es bisher nicht.