Gülsüm Kavs Fuß wippt ruhelos auf und ab. Die türkische Frauenaktivistin ist nervös. Statt hier in diesem Café im Zentrum Istanbuls zu hocken, wäre sie jetzt lieber bei Protestveranstaltungen oder im Gerichtssaal. Irgendwo, wo sie etwas tun könnte eben.
"In Zeiten, wo die Verletzung der Rechte türkischer Frauen so offensichtlich ist, müsste es eigentlich Massendemonstrationen geben. Und wir müssten sie organisieren. Aber wegen des anhaltenden Ausnahmezustandes sind uns die Hände gebunden. Demonstrationen werden verboten, Gerichtsverfahren vertagt."
Willkürliche Verhaftungen schüchtern die Opposition ein
Tatsächlich beweist die Vorsitzende der Istanbuler "Plattform gegen Frauenmorde" schon damit Mut, dass sie mit einer ausländischen Journalistin über den Druck spricht, der dieser Tage auf türkischen Bürgerinitiativen und NGOs lastet. Viele andere lehnen Interviews ab, haben Angst Aufmerksamkeit zu erregen. Zu Recht, wie die jüngste Verhaftung des Türkei-Chefs von Amnesty International beweist: Eine Messenger-App auf seinem Handy, die angeblich unter Anhängern der Gülen-Bewegung verbreitet ist, reichte dem Staatsanwalt, um Untersuchungshaft wegen Terrorverdachts gegen den Menschenrechtsanwalt anzuordnen.
"Nichts von dem, was Taner Kılıç vorgeworfen wird, entspricht einer Straftat", schimpft Emma Sinclair-Webb von Human Rights Watch in Istanbul. "Diese Verhaftung dient nur dazu, Amnesty International zu diskreditieren. Sie ist Teil einer politischen Kampagne gegen diese Organisation, die immer wieder über die Entlassungen von Beamten und Verhaftungen von Journalisten berichtet hat. Dafür bestraft die türkische Regierung sie nun."
Wer die Folter in Gefängnissen anprangert landet selbst im Knast
Wenige Wochen nach dem Putschversuch im vergangenen Juli kritisierte die Organisation Folter und Misshandlungen von Gefangenen in türkischen Gefängnissen. Präsident Erdogan höchstpersönlich griff Amnesty dafür an, stellte die Glaubwürdigkeit der Organisation in Frage.
"Sie bringen uns wegen jeder Kleinigkeit vor Gericht", klagt auch Ali Hacıalioğlu, Generalsekretär der Istanbuler Architektenkammer, die sich durch ihre Kritik am profitorientierten Städteumbau der Bosporusmetropole unbeliebt gemacht hat. "Außerdem ändern sie die Gesetze, um den Einfluss kritischer Organisationen zu verringern. In unserem Fall wollen sie zum Beispiel dafür sorgen, dass wir als Architektenkammer nicht mehr das Recht haben, städtische Bauprojekte auf ihren öffentlichen Nutzen zu überprüfen."
Andere trifft es noch härter: 370 türkische NGOs wurden im vergangenen Dezember per Regierungsdekret über Nacht ganz geschlossen. Frauenhäuser, Kinderhilfsprojekte, Flüchtlingsinitiativen und Umweltschützer mussten ihre Arbeit einstellen, weil sie angeblich eine "Bedrohung der öffentlichen Sicherheit" darstellten.
Zahlreiche Frauenorganisationen verboten
"Vor allem in Südostanatolien haben sie zahlreiche Frauenorganisationen verboten", so Frauenaktivistin Gülsüm Kav. "Und kurz darauf eröffnete dann immer KADEM ein Büro dort. KADEM ist eine regierungsnahe Frauenorganisation, in deren Beirat Erdogans Tochter sitzt. Sie kommen also leicht an öffentliche Gelder und haben vor allem einen anderen Blick auf die Probleme der Frauen. Einen, der dem konservativen Familienbild der Familie entspricht."
"GONGOS" – "governmental organized non governmental Organisations" – heißen solche Organisationen, die den Eindruck einer freien Zivilgesellschaft vermitteln sollen, letztendlich aber Hand in Hand mit der Regierung entstehen und arbeiten. Ein Phänomen, das sich in der Türkei inzwischen alarmierend häufig beobachten lässt, so Emma Sinclair-Webb von Human Rights Watch:
"All das richtet sich gegen die Vielfalt", glaubt sie. "Die Gesellschaft soll wissen: Wenn ihr nicht denkt wie wir, wenn ihr aufmuckt und Kritik übt, dann bestrafen wir euch. So forcieren sie eine gehorsame Gesellschaft, in der die Menschen sich von zivilgesellschaftlichem Engagement fernhalten."
Noch aber wehren sich zahlreiche Türken genau dagegen. Noch gibt es Menschen wie Frauenaktivistin Gülsüm Kav, die nicht schweigen wollen – wohlwissend, dass die Verhaftung des Türkei-Chef von Amnesty International nicht die letzte gewesen sein dürfte.