Viele reden in diesen Tagen über ihn – nur er selber schweigt. Abdullah Gül, der türkische Staatspräsident hält sich bedeckt, wenn es um seine politische Zukunft geht. Zwischen den Zeilen lesen ist gefragt, wenn man wissen möchte, was der 63-Jährige über die anstehende erstmalige Direktwahl seines Nachfolgers denkt.
Anfang August soll das neue Staatsoberhaupt gewählt werden - doch noch gibt es keinen offiziellen Kandidaten. Abdullah Gül könnte nach sieben Jahren noch einmal antreten. Aber wohl nicht gegen Tayip Erdogan, dem Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt werden. Dennoch: Das Verhältnis zwischen den einstigen politischen Weggefährten ist angespannt. Ob bei den Gezi-Protesten, den jüngsten Korruptionsskandalen oder den Internetverboten: Gül ließ in Interviews immer wieder durchblicken, dass er sich eher mehr als weniger Demokratie wünsche:
"Solche Probleme werden dadurch gelöst, indem man die demokratischen Standards weiter erhöht. Jeder sollte die Verschiedenheit des jeweils anderen in Gesellschaft und Politik akzeptieren. Der demokratische Prozess lässt sich nicht aufhalten. Heute reden wir frei über die Dinge, für die man vor 20, ja vor 10 Jahren noch ins Gefängnis gekommen wäre. Darum glaube ich, dass auch die derzeitigen Probleme in diesem Sinne überwunden werden."
Die Gesetze zur Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit und zur Internetzensur hat Gül zwar unterschrieben – aber nur widerwillig, lassen jedenfalls seine engsten Berater durchsickern. Sie wären schließlich auch ohne seine Unterschrift im zweiten Anlauf durchs Parlament gekommen. Immer wieder heißt es, Gül strebe zurück in die aktive Politik. Also eine Rochade nach dem Muster Putin-Medwedjew, will sagen: Erdogan in den Präsidentenpalast und Gül als Regierungschef? Damit müsste Erdogan seine Partei dem liberaleren Gül überlassen, denn ein Staatschef muss seine Parteimitgliedschaft ruhen lassen. Der AKP-Abgeordnete Burhan Kuzu hält einen Wechsel Erdogans bei dem derzeitigen repräsentativen Zuschnitt des Präsidentenamtes für wenig wahrscheinlich:
"Das Präsidentenamt würde Tayyip Erdogan doch umbringen – Allah bewahre. Aber ein seit Jahrzehnten so politisch aktiver Mensch - der kann sich nicht plötzlich darauf beschränken, ab und zu ein Gesetz zu unterschreiben und ansonsten Tee zu trinken und ausländischen Gästen die Hände zu schütteln."
Erdogan schwebt ein Präsidentenamt mit größerem Einfluss aufs Tagesgeschäft vor. Zum Beispiel durch das Recht auf die Teilnahme an Kabinettssitzungen. Dann aber gäbe es schnell Krach, meint der Publizist Ismet Berkan:
Erdogan schwebt ein Präsidentenamt mit größerem Einfluss aufs Tagesgeschäft vor. Zum Beispiel durch das Recht auf die Teilnahme an Kabinettssitzungen. Dann aber gäbe es schnell Krach, meint der Publizist Ismet Berkan:
"Zwischen einem direkt gewählten Staatspräsidenten und einem direkt gewählten Regierungschef wird es unausweichlich zu Spannungen kommen. Es gab ja in der Vergangenheit schon genug Probleme zwischen nicht direkt gewählten Präsidenten und Regierungen. Denken Sie an den vorletzten Präsidenten Ahmet Sezer, der viele Gesetze Erdogans nicht unterschreiben wollte, oder an die Reibungen zwischen Süleman Demirel und Tansu Ciller."
Kenner vermuten, dass Abdullah Gül seine politische Zukunft nicht von der Erdogans abhängig machen will. Er genießt nicht nur in der gemäßigt religiösen Bevölkerung Anatoliens hohe Anerkennung, sondern auch in westlich gesinnten Grosstadtkreisen. Er wünscht sich eine AKP, die an den reformfreudigen EU- Kurs der Anfangsjahre anknüpft, als er der Regierung noch als Außenminister angehörte. Aber auch eine Parteineugründung unter seiner Führung wird nicht mehr ausgeschlossen.
Wohl auch wegen Güls mäßigender Haltung der vergangenen Monate hat Bundespräsident Gauck während seines morgen beginnenden Türkei-Besuchs allein drei Begegnungen mit seinem Amtskollegen vorgesehen. Mit Ministerpräsident Erdogan trifft er sich dagegen nur zu einem protokollarischen Höflichkeitsplausch.