Eine Stiftung für Journalisten und Autoren hat in ein Istanbuler Hotel geladen, und die Korrespondenten ausländischer Medien drängeln sich in dem engen Konferenzraum. Sie alle wissen: Hinter dieser Stiftung steckt die von Prediger Fethullah Gülen ins Leben gerufene weltweite islamische Gülen-Bewegung. In der Türkei heißt sie bloss Cemaat, Gemeinde.
Sie galt bislang als machtvolle Stütze der Regierung Erdogan. Doch nun tobt zwischen Erdogans AK-Partei und dem Cemaat ein offener Krieg, der die Machtverhältnisse im Land verschieben könnte. Denn die Regierung will die mehrheitlich von der Gülen-Bewegung betriebenen Nachhilfeinstitute schließen lassen. Knapp 4000 davon gibt es landesweit, sie bereiten auf die Zulassungsprüfungen für Gymnasien und Universitäten vor und sind mutmaßlich die Haupteinnahmequelle der Gülen Bewegung. Cemal Usak von der Gülen-nahen Stiftung für Journalisten versteht die Welt nicht mehr:
"Wenn es die Absicht dieser Maßnahme war, unserer Bewegung eine Lektion zu erteilen, dann finde ich das ziemlich irritierend. Ich denke nicht, dass Fetullah Gülen Hoca Efendi irgendetwas getan hätte, das eine solche Strafe rechtfertigen würde. Die Mitglieder der Bewegung werden nach dieser Entscheidung jedenfalls der Politik viel distanzierter gegenüber stehen."
Das ist zurückhaltender formuliert, als in Gülen-nahen Medien wie der Zeitung Zaman. Die läuft seit Wochen gegen die Entscheidung der Regierung Sturm und spricht von einem Putsch. Nachhilfeinstitute, Privatschulen und Studentenwohnheime sind für die Gülen-Bewegung nicht bloß eine wichtige Einnahmequelle, sondern sichern ihnen auch den Nachwuchs. Viele Jugendliche dürfen die Schulen mit Hilfe eines Stipendiums besuchen - lebenslange Treue zur Bewegung als Gegenleistung vorausgesetzt. Die Gülen-Bewegung betreibt mittlerweile hunderte Schulen weltweit - von Russland bis Äthiopien.
Westliche Kritik an Erdogan deckte sich oft mit Cemaat
Auch in Deutschland betreibt ein der Bewegung nahe stehender "Deutsch-Türkischer Bildungsverein" fünf Privatschulen. Für den Politikwissenschaftler Ahmet Altan ist die internationale Vernetzung der Gülen-Bewegung ein Grund für das Zerwürfnis mit Erdogan:
"Die Bewegung hat ein anderes Verständnis von Außenpolitik als Erdogan. Anders als er sehen sie über die nationalen Interessen hinaus. Das hat man beobachten können, als Gülen die Regierung für den Bruch mit Israel kritisierte. Und auch der Umgang mit den Gezi-Protesten wurde von Gülen kritisch beurteilt. Da spielt sicher eine Rolle, dass Gülen seit 15 Jahren in den USA lebt. Jedenfalls war auffällig, dass sich die Kritik des Cemaat an der Regierung häufig mit der Kritik des westlichen Auslandes deckte. Das hat Erdogan Gülen wohl übel genommen."
Alle Wahlsiege seit 2002 soll Tayyip Erdogan einer inoffiziellen Koalition mit der Gülen-Bewegung zu verdanken haben. Erdogan revanchierte sich mit einflussreichen Staatsposten für Gülen Anhänger, etliche Gouverneure und Polizeichefs sollen darunter sein. Er schulde dem Cemaat also nichts, antwortete Erdogan nun seinen Kritikern. Die Entscheidung zur Schließung der Nachhilfeschulen werde nicht zurückgenommen, sie würden nicht mehr gebraucht und belasteten die Kinder nur zusätzlich. Seine Gegner kontern mit Meinungsumfragen, die zeigen, dass die Entscheidung selbst AKP-Wählern mehrheitlich missfällt. Besonders arme Familien fürchten, ihre Kinder ohne die sehr preisgünstigen Gülen-Schulen nicht mehr auf die Universität schicken zu können.
Schon bei den Kommunalwahlen im kommenden März könnte die Gülen-Bewegung, so wird hinter vorgehaltener Hand verbreitet, Kandidaten der Opposition unterstützen. Doch das scheint Erdogan egal zu sein, meint Ahmet Altan: "Er glaubt: Ich kann dieses Land auch ganz allein zu einem religiös geprägten Land umbauen. Auf das Cemaat glaubt er nicht mehr angewiesen zu sein. Bis zu seiner wahrscheinlichen Wahl zum Staatspräsidenten im nächsten Jahr will er sich als einsamer, starker Mann präsentieren.“