Wird er antreten oder nicht? Noch immer hat Tayyip Erdogan seine Kandidatur für das Amt des Staatpräsidenten nicht offiziell erklärt. Aber es gibt kaum jemanden in der Türkei, der daran zweifelt, dass der 60-Jährige der Kandidat der AKP für die Wahl des Staatspräsidenten am 10. August sein wird. Schließlich hat er durchgesetzt, dass das Staatsoberhaupt erstmals direkt vom Volk gewählt wird. Auf diese Änderung ist Erdogan stolz:
"Am 10. August wird in diesem Land die Republik, also das Volk, seinen eigenen Staatspräsidenten wählen. Erste Runde - 10. August. Zweite Runde - 24. August. Ich bin überzeugt, dass der Kandidat der AKP - so Gott will - schon in der ersten Runde von meinem Volk zum Staatspräsidenten gewählt wird."
Eigentlich hat der Staatspräsident in der Türkei- nicht anders als in Deutschland - hauptsächlich repräsentative Aufgaben. Das hätte Erdogan gerne geändert, aber für seinen Vorstoß, ein Präsidialsystem einzuführen, hat er im Parlament nicht die nötige Zweidrittelmehrheit zusammen bekommen. Also, so vermutet der Istanbuler Publizist Aydin Engin, werde Erdogan versuchen, den starken Präsidenten durch die Hintertür einzuführen:
"Die künftigen Präsidenten werden ein ganz anderes Profil haben, als die bisherigen, vom Parlament gewählten. Ihre Stimmen werden lauter sein und sie werden unterstreichen, dass sie den Segen des Volkes haben. Die bisherigen Staatspräsidenten, darunter auch Abdullah Gül, haben ihre Befugnisse nie gänzlich ausgeschöpft. ... Der Staatspräsident kann zum Beispiel allen Kabinettssitzungen vorsitzen. Und Erdogan hat schon jetzt klargestellt, dass er von diesem Recht Gebrauch machen werde."
Mit einem Ministerpräsidenten von seinen Gnaden hätte Erdogan dann weiterhin Einfluss auf die Tagespolitik. Lange Zeit war nicht sicher, ob der bisherige Amtsinhaber Abdullah Gül selbst noch einmal für eine zweite Amtszeit antreten wolle. Doch der hat inzwischen seinen Verzicht erklärt. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Republikanischen Volkspartei CHP fühlt sich von der öffentlichen Präsidenten-Diskussion ausgeschlossen.
"Ständig wird gefragt: Wird Tayyip Erdogan Staatspräsident werden, oder Abdullah Gül? Das ist die absurdeste Frage, die ich je gehört habe. Gibt es in diesem Land keine anderen möglichen Kandidaten? Kandidaten, die versöhnend sind, saubere Westen haben, eine aufklärerische Weltanschauung haben und nicht diskriminierend sind?"
Doch die zersplitterte Opposition hat darauf selbst keine Antwort. Bislang hat sie sich nicht auf einen aussichtsreichen Kandidaten einigen können. Bis Ende Juni müssen die Kandidaturen bekannt gegeben sein. Den Erdogan-Gegner sei noch gar nicht klar, was ihnen mit einem Präsidenten Erdogan bevorsteht, meint Aydin Engin:
"Nehmen wir an, er würde als Präsident seine Befugnisse überschreiten und die Oppositionsparteien würden deshalb aufschreien. Wen soll Tayyip Erdogan fürchten, wenn er sagt: Ja und? Die Justiz hat er bereits im Griff, die Regierung wäre ihm ohnehin Untertan. Und auch das Militär gehorcht ihm."
Das Bergwerksunglück von Soma, nach dem den Behörden Untätigkeit nachgewiesen werden konnte, und der Korruptionsskandale seiner Minister haben Erdogan angreifbar gemacht. Die 1,5 Millionen erstmals wahlberechtigten Türken in Deutschland sollen sicherstellen, dass es für ihn bei den Präsidentschaftswahlen schon im ersten Wahlgang glatt geht. Darum wird Köln wahrscheinlich nicht Erdogans letzter Auftritt in Deutschland vor dem 10. August sein.