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Türkei
Erdogans Verschwörungstheorie zur Korruptionsaffäre

Die laufenden Korruptionsermittlungen gegen Ministerpräsident Erdogan setzen den einstigen starken Mann vom Bosporus unter Druck. Der allerdings zeigt sich wenig schuldbewusst. Er erklärt die aktuelle Lage als Ergebnis einer Verschwörung von fremden Mächten und konspirativen Kräften.

Von Clemens Verenkotte |
    Porträtfoto vor der türkischen Flagge des türkischen Ministerpräsidenten.
    Der türkische Ministerpräsident hält den Korruptionsskandal für eine Verschwörung fremder Kräfte. (dpa / picture alliance / Sergey Guneev)
    Die Verteidigungsstrategie des Ministerpräsidenten ist alterprobt und krisenbewährt: Stets sind es "Kräfte", nicht näher genannte Gegner und Feinde, die sich dem weiteren Aufstieg der Türkei unter seiner Führung zum außen- und wirtschaftspolitischen Schwergewicht in der internationalen Gemeinschaft in den Weg stellen würden. Für viele Türken klingen heute die Beteuerungen Tayyip Erdogans sehr vertraut, wonach die Korruptionsaffäre nichts anderes als eine Verschwörung sei, ein Komplott von "in- und ausländischen Kräften" – gemeint ist dieses Mal die Gülen-Bewegung seines ehemaligen Weggefährten und jetzigen Widersachers Fetullah Gülen.
    Wenn Erdogan über die Größe und Bedeutung seines Landes spricht – und das kommt oft vor – dann fügt er immer wieder die angebliche Bedrohung "anderer Kräfte" in seine Reden ein:
    "Wachsende, sich entwickelnde, zu einer Macht aufsteigende Länder haben Feinde, haben Neider. Wer niederträchtige Angriffe auf unsere Flugzeuge, unsere Schiffe, unsere Soldaten, unsere Polizisten und manchmal auch unsere Fahne als außenpolitische Schwäche verstehen, der versteht nichts von Visionen großer Staaten. Je mehr die Türkei wächst, mächtiger wird und sich entwickelt, desto mehr werden einige Kreise versuchen, die Türkei in bestimmte Szenarien zu verwickeln."
    Auf der Erdogan-internen "Achse des Bösen" stehen neben der Gülen-Bewegung auch die USA und oftmals auch Israel ganz oben auf der Liste, Organisationen und Staaten, die sich immer wieder in die inneren Angelegenheiten der Türkei einmischen würden. Auf dem Höhepunkt der Massenproteste vom vergangenen Sommer brachte Erdogan, und damit überraschte er seine Landsleute nicht, erneut dunkle Kräfte ins Spiel, die hinter den Demonstrationen stünden:
    "Unsere Entschlossenheit bezüglich des Taksim-Platzes und des Gezi-Parks hält an. Ich möchte, dass die Demonstranten das größere Bild sehen und die Spiele, die hier gespielt werden, erkennen. Die wohlgesinnten, ehrlichen Demonstranten möchte ich bitten, den Park zu räumen! Diese Demonstrationen werden ganz offensichtlich von einigen Kapitalgruppen, Zinslobbys und einigen Mediengruppen ausgenutzt."
    Im politischen Vokabular des Ministerpräsidenten gehören diese unpräzisen, Ressentiments hervorrufende Verallgemeinerungen zum Alltag.
    Mit Blick auf die jüngsten Korruptionsermittlungen, die ihn innenpolitisch so arg in Bedrängnis gebracht haben wie kein Ereignis zuvor, sieht sich der Ministerpräsident als das eigentliche Ziel der angeblichen Konspiration. Gegenüber der Tageszeitung "Hürriyet" erklärte der Regierungschef nach seiner Kabinettsumbildung in dieser Woche: Seine Minister seien ins Visier dieser "Gegner" geraten, weil er – der Ministerpräsident – nicht getroffen werden könnte. Der türkische Journalist Fatik Altayli von der Zeitung "Habertürk" geht auf die jüngsten Verdächtigungen gegen Erdogan und dessen Sohn Bilal ein und stellt fest:
    "Ministerpräsident Erdoğan sagt, das eigentliche Ziel der Verschwörung sei er selber. Was er meint, das hat eigentlich mit seinem Sohn zu tun. Die Staatsanwaltschaft hat die Aktivitäten der Stiftung TÜRGEV unter die Lupe genommen. Das veranlasste Erdoğan zu sagen, es handle sich um eine Operation gegen ihn und seinen Sohn. Untersucht wird die TÜRGEV aufgrund einiger Spenden von Geschäftsleuten und die Übertragung oder Vermietung einiger Immobilien."
    Im Vorstand der Stiftung TÜRGEV, die sich dem Dienst an Jugend und Bildung verschreibt, sitzt nach Worten des Ministerpräsidenten nicht allein sein Sohn Bilal, sondern auch seine älteste Tochter Esra. Gegenüber Journalisten, die Erdogan Anfang dieser Woche nach Pakistan begleitet hatten, behauptete der Regierungschef, die gesamte Ermittlung der Justiz richte sich ihn und die Stiftung werde missbraucht. TÜRGEV sei von den Polizeiermittlern wegen der Änderung von Bauplänen eines Studentenwohnheimes ins Visier der Fahnder geraten. "Das ist ein Studentenwohnheim, und nicht Bilal Erdogans Hotel", wie der Vater von "Hürriyet" zitiert wird.
    Für die parlamentarische Opposition sind die Volten des Ministerpräsidenten unerträglich – Erdogan verzögere, verschleppe und behindere die Ermittlungen.