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Türkei erlaubt Besuch in Konya
"Natürlich nur ein erster Schritt"

Nach langem Hin und Her dürfen deutsche Bundestagsabgeordnete jetzt den NATO-Stützpunkt im türkischen Konya besuchen. Vor einer Verlängerung des Bundeswehrmandats müssten weitere Komplikationen ausgeschlossen werden, forderte SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold im Dlf. Die EU müsse Ankara jetzt unter finanziellen Druck setzen.

Rainer Arnold im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Rainer Arnold, Verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, aufgenommen am 10.05.2017 in Berlin.
    "Kein gutes NATO-Mitglied", sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD über die Türkei, die Deutschland lange einen Truppenbesuch in Konya verweigert hat. Aber wie würde das Bündnis ohne sie aussehen? (dpa - Bildfunk / Michael Kappeler )
    Sandra Schulz: Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei, das ist schwierig, und wie schwierig, das lässt sich im Moment an einer kaum zu überblickenden Zahl von Streitthemen ablesen. Eines davon sind die Besuche bei Bundeswehrsoldaten in der Türkei. Aus Incirlik ist die Bundeswehr deswegen ja schon abgezogen, aber auch um den Standort Konya, einem NATO-Stützpunkt im Kampf gegen den IS, gibt es Streit.
    Im Juli sagte die türkische Regierung den Besuch einer Bundestagsdelegation bei den Bundeswehrsoldaten dort ab, begründet ausdrücklich mit den problematischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Die NATO schaltete sich ein und koordinierte die Reise, und sieben Abgeordnete sollen heute von Brüssel aus nach Konya starten. Mit dabei ist auch Rainer Arnold, SPD-Obmann im Verteidigungsausschuss. Schönen guten Morgen!
    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Frau Schulz.
    Klären, "dass es nicht jedes Mal so ein Hin und Her ist"
    Schulz: Sie können jetzt nach Konya reisen, so wie es im Moment aussieht, aber unter dem "Schutzmantel" der NATO. Reicht Ihnen das?
    Arnold: Ja, es ist natürlich zunächst nur ein erster Schritt. Das nimmt den Druck aus dem Kessel, wenn wir jetzt wenigstens reisen können. Aber strukturell muss bis zu einer Mandatsverlängerung, die ja dann dieses Jahr noch ansteht, natürlich geklärt sein, dass es nicht jedes Mal so ein Hin und Her ist, sondern dass wirklich fest vereinbart ist, dass deutsche Bundestagsabgeordnete auch reisen können. Wenn dies unterm Dach der NATO ist, ist das nicht das eigentliche Problem, sondern entscheidend bleibt: Abgeordnete müssen die Soldaten im Auslandseinsatz besuchen können. Das ist grundsätzliche Bedingung für eine Mandatierung.
    Schulz: Aber wenn das bisher grundsätzliche Bedingung war, warum dann dieses Weniger-Akzeptieren, so wie es jetzt im Moment der Fall ist?
    Arnold: Nein, es ist ja nicht weniger. Wir reisen ja hin. Für uns Abgeordnete ist ja die Wirkung des Besuches kein anderer. Wir sind dort, wir können mit den Soldaten reden. Es ist ein NATO-Einsatz. Insofern haben wir durchaus ein Interesse, auch diese NATO-Sichtweise auf dieser Reise mit diskutieren zu können, zu sehen, was die NATO dort tut. Es geht ja nicht nur um den Besuch der Soldaten, sondern es geht schon auch darum, mitzubekommen, wie sieht es in diesem Luftraum aus, in dem die AWACS-Flieger ja die Luftsortierung machen. Das sind ja Radarstationen in der Luft, weil ja auch deutsche Flugzeuge, dieses Tankflugzeug und bald auch wieder die deutschen Aufklärungstornados in diesem Luftraum unterwegs sind. Es geht uns nicht nur um die Soldaten, sondern um den Einsatz insgesamt, und da ist die NATO schon ein wichtiger Gesprächspartner.
    "Kein Besuch in Ankara, was ich sehr bedauere"
    Schulz: Ist denn klar, wie frei Sie sich werden bewegen können?
    Arnold: Wir können uns auf militärischen Stützpunkten eh nie frei bewegen. Insofern ist das natürlich alles organisiert und ein Stück weit vorgegeben. Wir machen jetzt keinen Besuch in Ankara, was ich sehr bedauere. Mir wäre es natürlich mindestens so wichtig, auch mit türkischen Abgeordneten, insbesondere mit Oppositionsabgeordneten sprechen zu können. Das findet jetzt aber nicht statt. Wir besuchen ausschließlich den Luftwaffenstützpunkt.
    Schulz: Das heißt, es wird auch überhaupt keine Gespräche, keinen Kontakt zu den türkischen Partnern, die es ja nach wie vor sind, geben?
    Arnold: Doch, es wird Kontakte und auch ein Gespräch mit den türkischen Partnern geben, die dort auf dem Luftwaffenstützpunkt Verantwortung tragen. Wir werden Gelegenheit haben, dort mit den führenden Soldaten auch zu reden.
    Lässt die Türkei alle wieder raus - auch den Linken?
    Schulz: Jetzt ist in der Delegation auch der Linken-Abgeordnete Alexander Neu. Die Linke, das wissen wir, wird genau beobachtet von türkischen Sicherheitskräften. Es gibt die Forderung aus der Linken, auch die PKK nicht mehr als Terrororganisation einzustufen. Wir wissen alle, dass es im Moment ja nicht allzu viel braucht, um in der Türkei unter Terrorverdacht zu geraten. Es sind ja auch immer wieder deutsche Staatsbürger festgehalten worden. Wie sicher sind Sie, dass Alexander Neu heute Nachmittag mit Ihnen zusammen die Türkei auch wieder verlässt?
    Arnold: Ich gehe schon davon aus, dass die NATO all die Dinge natürlich geregelt hat. Herr Erdogan weiß, dass nicht nur die Türkei für die NATO wichtig ist, auch wenn es ein extrem schwieriges Verhältnis im Augenblick ist. Aber die Türkei ist natürlich geostrategisch und von den militärischen Fähigkeiten für die NATO schon von Relevanz. Aber umgekehrt ist die NATO für die türkische Seite wahrscheinlich noch wichtiger und ich kann mir jetzt überhaupt nicht vorstellen, dass er sich dann direkt mit der NATO anlegen würde. Er braucht die NATO und deshalb wäre ich dort jetzt zunächst gelassen.
    Schulz: Aber so, wie Sie das schildern, wenn Sie sagen, ich gehe davon aus, dass die NATO das geregelt hat, dann ist es schon Ihre Einschätzung im Moment, dass ein deutscher Abgeordneter, der zu Bundeswehrsoldaten reist, dass der vorher die Abklärung der NATO braucht, auch unter anderem, um das Land wieder verlassen zu können.
    Arnold: Bei dieser türkischen Regierung weiß man nichts wirklich mit letzter Sicherheit und deshalb kann ich gut verstehen, dass Linken-Abgeordnete, wenn sie privat oder in einer Delegation in die Türkei reisen, also nicht unter Obhut der NATO wären, dass sie sich Sorgen machen, angesichts der Verhaftungen, wo man ja den Eindruck hat, deutsche Staatsbürger werden ein Stück weit als Geisel von der Türkei genommen. Ohne Anklage kann man ja sieben Jahre lang in Untersuchungshaft gehalten werden, und das ist natürlich unerträglich und ich verstehe da schon die Befürchtungen der Linken. Aber in diesem konkreten Fall kann ich das nicht so erkennen.
    "Kein gutes NATO-Mitglied" - aber wäre es ohne Türkei besser?
    Schulz: Was heißt das denn für die NATO? Die arbeitet ja als Militärbündnis eigentlich, damit die Partner sich untereinander schützen. Jetzt muss die NATO vermitteln zwischen zwei Partnern. Werden da nicht auch unheimliche Kapazitäten gebunden?
    Arnold: Ja. Das ist aber natürlich leistbar im Rahmen dieses Bündnisses. Das ist sicherlich nicht das große Problem. Der NATO-Generalsekretär, in diesem Fall jetzt die stellvertretende NATO-Generalsekretärin, tut natürlich eh auch gut daran, NATO-Einsätze zu besuchen, und die Dinge kann man verbinden, weil die natürlich eh stattfinden. Aber klar ist natürlich: Die Türkei ist für die NATO nicht unbedingt angenehm im Augenblick. Das ist kein gutes NATO-Mitglied. Die Frage ist nur: Wäre die Situation für uns alle besser, wenn die Türkei nicht in der NATO wäre? Das glaube ich eben nicht. Ich glaube, es wäre alles noch schwieriger, und in diesem Spannungsfeld bewegt sich natürlich die Debatte auch strategisch innerhalb der NATO.
    Schulz: Da bewegt sich die Debatte. Eine andere Debatte hat der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ja am vergangenen Wochenende angestoßen, als er sich dafür ausgesprochen hat, die Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei abzubrechen, wenn er zum Kanzler gewählt werden sollte. Auf das Thema müssen wir jetzt natürlich auch noch schauen. War das denn ein hilfreiches Signal von Martin Schulz?
    Arnold: Die Bundesregierung hat ja insgesamt vor einigen Wochen schon angekündigt, der Umgang mit der Türkei wird neu überdacht. Natürlich ist es völlig ausgeschlossen, dass, so wie die Türkei derzeit verfasst ist, ernsthaft über Beitrittsverhandlungen weiter verhandelt und gesprochen wird. Es hat jeder gewusst, das war eigentlich immer nur eine taktische Frage: Kündigt man die Beitrittsverhandlungen auf und ermöglicht Erdogan deshalb, in seinem Land zu sagen, Leute, ich hab's doch immer gewusst, die Europäer wollen uns doch wirklich gar nicht, oder lässt man dies einfach so stehen, ohne dass man aber konkret weiterverhandelt?
    EU muss Türkei jetzt den Geldhahn zudrehen
    So lief die Debatte, und wir glauben schon, dass jetzt ein Zeitpunkt erreicht ist, wo Herr Erdogan am ehesten deutliche Signale braucht. Die Beitrittsverhandlungen sind vielleicht gar nicht das Entscheidende, weil eh nicht konkret weiterverhandelt wurde. Da geht es ja dann auch um Gelder, die bisher geflossen sind. Es geht um wirtschaftliche Beziehungen. Hier ist Herr Erdogan sicherlich natürlich auch ein Stück weit zu treffen, und ich finde, die Europäer müssen hier geschlossen auftreten und müssen alles tun, damit sich die Politik in der Türkei in eine vernünftigere Richtung entwickelt.
    Schulz: Herr Arnold, damit wir das alle zusammen noch besser verstehen können. Das war ja jetzt überhaupt nicht klar. Es gab diesen Vorstoß von Schulz, es gab gestern in Tallin einen Sigmar Gabriel, einen Außenminister, der gesagt hat, das war jetzt aber keine Kehrtwende. Wofür setzt sich die SPD jetzt ein, für den Stopp der Beitrittsverhandlungen oder dafür, noch mal darüber zu reden?
    Arnold: Die SPD setzt sich dafür ein, dass innerhalb der europäischen Gremien, der Europäischen Union dieser Stopp gemeinschaftlich beschlossen wird. Das ist ja Voraussetzung, dass dieses Signal gegeben wird. Das sind zwei Stufen. Zunächst müssen wir mit den Europäern reden. Da ist, glaube ich, inzwischen klar, dass nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch andere jetzt dieses Signal setzen werden. Aber dieser Prozess dauert etwas.
    Schulz: Aber doch die Kehrtwende. Richtig verstanden?
    Arnold: Nein! Wir haben die Entscheidung neu justiert. Bisher hat man gesagt, man stoppt deshalb nicht, um ihm diese Möglichkeit der Argumentation nicht zu geben. Gleichzeitig hat man aber gesagt, die Verhandlungen sind selbstverständlich ausgesetzt, und man hat immer gesagt, die Türkei hat so nie und nimmer eine Chance, wie Herr Erdogan im Augenblick die Demokratie mit Füßen tritt, eine Autokratie errichtet. Darüber bestand ja immer Einigkeit. Es geht jetzt letztlich um das Signal.
    Wichtiger ist – und dies ist neu -, dass auch die finanziellen Mittel damit gestoppt werden, und das sehe ich so, dass dieses notwendig ist.
    Schulz: Rainer Arnold, SPD-Obmann im Bundestags-Verteidigungsausschuss und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk im Interview. Ganz herzlichen Dank.
    Arnold: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.