Peter Kapern: Die Türkei steckt in einer schweren Staatskrise. Die Regierung von Ministerpräsident Erdogan sieht sich schweren Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Erdogan hat die Hälfte seiner Ministerriege ausgetauscht, gleichzeitig aber übt er Druck auf die Staatsanwaltschaft aus, die Korruptionsermittlungen einzustellen. Und er lässt Demonstrationen von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen auflösen. Hintergrund dieser Korruptionsaffäre ist ein Machtkampf zwischen zwei lange Zeit Verbündeten: zwischen Erdogan und seiner AK-Partei einerseits und Fethullah Gülen und seiner Bewegung andererseits. Gülen ist ein islamischer Prediger, der in den USA lebt und ein Imperium von Schulen und Ausbildungsstätten aufgebaut hat. Diejenigen, die diese Schulen durchlaufen haben, die besetzen mittlerweile hochrangige Posten in der türkischen Administration. Bei uns am Telefon ist die Publizistin und Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek. Guten Morgen!
Necla Kelek: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Frau Kelek, ist die Gülen-Bewegung, ist Fethullah Gülen gefährlich?
Kelek: Ja, er ist gefährlich. Er ist ein orthodoxer, reaktionärer Prediger. Viele glauben, er ist ein Philosoph, aber das ist er nicht. Er ist ein Prediger. Sein Verein ist konspirativ. Sie sind missionarisch, unterwandern staatliche Institutionen. Sie sind eine Sekte, weltweit vernetzt durch Gülen-Schulen und Universitäten. Seine Anhängerschaft ist unter seiner Kontrolle und ist wie die Stasi zum Beispiel organisiert. Jeder kontrolliert den anderen und sie sind durch diese Schulen, die Sie gerade beschrieben haben, groß geworden. Das sind Vorbereitungskurse für universitäre Abschlüsse, wo überall die Studenten die Möglichkeit haben, dann zu studieren. Aber sie sind dann unter der Gülen-Bewegung.
Kapern: Welches Weltbild vermittelt Fethullah Gülen den Schülern, die seine Institutionen besuchen?
Kelek: Ganz wichtig ist für ihn, dass er behauptet, die Wissenschaft zu erlangen, die zum Beispiel die westliche Welt errungen hat. Er versucht zu beweisen, dass eigentlich die Religion die Wissenschaft erfunden hat, und das sei der Islam. Und nur weil die Muslime an den Islam glauben und gläubig sind, könnten zum Beispiel die Christen überhaupt wissenschaftlich arbeiten und hätten auch deshalb Erfindungen überhaupt ermöglicht. Das wird auch den Gläubigen oder den Anhängern so beschrieben. Sie sind so was wie technisch gut ausgebildete Studenten, die später dann irgendwie mit ihrer Ausbildung und Bildung, die sie dann erlangen in diesen Schulen, an die Macht wollen.
Gülen treibe ein falsches Spiel
Kapern: Das klingt ein wenig nach Aufstieg durch Bildung, und das ist ein Programm, das ja geradezu sozialdemokratisch klingt. Was ist Ihrer Meinung nach falsch daran?
Kelek: Falsch daran ist, dass er ein falsches Spiel spielt. Sie sind wie gesagt sehr konspirativ. Sie wollen eigentlich der Welt beweisen, dass die ganze Menschheit muslimisch ist, was ja auch die orthodoxen Muslime behaupten. Daher ist er für mich nicht eine philosophische, humanistische und Frieden suchende neue Form von Islam, was ja zum Beispiel viele Europäer glauben und mit ihm ja auch eng zusammenarbeiten. Das ist das, was er nach außen beschreibt und auch sich so gibt. Aber nach innen sind sie sehr ideologisch, wie vorhin beschrieben, und organisiert.
Seine Anhänger haben dieser Ideologie, seiner Ideologie von Wissenschaft zum Beispiel zu dienen und zu gehorchen, und wer das nicht tut, muss die Organisation verlassen. Sie sind auch nicht institutionell organisiert, sondern sie sind privat organisiert. Sie sind privat miteinander vernetzt. Daher kann man auch niemandem verbieten, oder irgendeine Schule schließen. Die Schulen geben sich auch nicht unbedingt einen Fethullah Gülen Namen, sondern unterschiedliche Namen. Sie sind in den ärmeren Ländern in Afrika, in Indonesien, in den Philippinen zum Beispiel.
Dort wo Armut ist, gründen sie eine Schule, erst in englischer Sprache, dann wird Türkisch angeboten, dann wird Arabisch angeboten. Dann wird den Kindern dort ein Stipendium angeboten für fünf Jahre zum Beispiel, und sie können dann in der Türkei studieren, und dort beginnt dann durch die Ablas und Abis – das sind Paten, die einzelne Gruppen übernehmen -, müssen sie dann die Philosophie Gülens lesen und fangen an zu beten, und sie sind mittlerweile so gut vernetzt, dass sie in der Türkei dieses alles sogar öffentlich mittlerweile tun. Bis vor fünf Jahren war das alles versteckt, aber jetzt anscheinend haben sie es gar nicht mehr nötig, sondern tun das öffentlich.
Kapern: Auch in Deutschland ist die Gülen-Bewegung aktiv. Wie muss man damit umgehen, Ihrer Meinung nach? Auch hierzulande gründet sie Schulen, Nachhilfe-Einrichtungen, Dialogforen.
Kelek: Sie sind mit Deutschland in über 60 Ländern mit Millionen von Menschen mittlerweile vernetzt und genau wie eine Sekte sind sie zu behandeln. Wir müssen ganz offen über diese Bewegung sprechen, weil sie nämlich auch hier versuchen, institutionell sich zu stärken und uns auch wie gesagt diese muslimische orthodoxe Idee zu verbreiten. Ich wundere mich natürlich, dass besonders bekannte Professorinnen und Professoren, aber auch Politiker wie Frau Süssmuth, dieses Forum für interkulturellen Dialog unterstützen.
Kapern: Das ist eine der Organisationen von Fethullah Gülen.
Kelek: Zum Beispiel hier in Berlin. Ohne kritische Hinterfragung oder irgendeinen Zweifel anzubringen, wird einfach mit dieser Bewegung zusammengearbeitet, nach dem Motto: wir haben einen europäischen Islam, was ja viele sich wünschen und endlich beweisen wollen, dass der Islam ja auch friedlich sein kann, was auf der anderen Seite verständlich ist. Aber in diesem Falle ist es nicht so und wir müssen diese kritischen Fragen unbedingt stellen, was die Europäer immer tun, in diesem Falle auch tun.
Kapern: Necla Kelek, die türkischstämmige Publizistin und Sozialwissenschaftlerin, zur Bewegung von Fethullah Gülen, heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau Kelek, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Kelek: Ich danke Ihnen, Herr Kapern.